Im Interview mit Daniela Becker erzählt eine Aktivistin, warum sie sich der Bewegung angeschlossen hat
Francesca E Harris/Extinction Rebellion
München, den 1.10.2019
Sophie Schade: Wahrscheinlich über die sozialen Medien. Da sind mir Beiträge auf meiner Facebook-Wall und Instagram begegnet.
Wie haben diese Beiträge auf Dich gewirkt?Ich finde schon alleine den Namen "Rebellion gegen das Aussterben" sehr ansprechend. Ich wusste vorher nicht, ob sich das nur auf Menschen oder verschiedene Spezies bezieht. Dieses Thema interessiert mich, wie man sich gegen die Ausrottung unserer Selbst und aller anderen Lebewesen zur Wehr setzen kann.
Wie hast Du dann letztlich von dem Aktionstraining erfahren?Ich bin Tierrechtsaktivistin und unter anderem bei „Anonymous for the Voiceless" aktiv. In einer dieser Tierrechtsgruppen wurde das glaube ich geteilt. Und als ich die Einladung zur Einführung gelesen habe, hatte ich Lust die Gruppe näher kennen zu lernen.
Was war das für eine Gruppe, die sich zu dem „Training" eingefunden hat?Wir waren so 30 bis 40 Leute; ich war total erstaunt, dass es so viele waren. Ich habe nicht gezählt, aber vom Geschlechterverhältnis fühlte es sich wie eine Gleichverteilung an. Vom Alter her war eine große Spanne vertreten, von "Ich habe gerade Abi gemacht", über "Ich studiere noch" bis zum Rentenalter war alles dabei. Die Mehrheit waren schon jüngere Leute, aber insgesamt war alles vertreten.
Was habt ihr gemacht?Wir haben zu Beginn über die Grundwerte von Extinction Rebellion gesprochen, um ein gemeinsames Bild davon zu bekommen, was der Bewegung wirklich wichtig ist und womit ich übereinstimmen sollte, wenn ich mich der Gruppe anschließe.
Habt ihr euch auch auf ein Thema geeinigt, oder ist das eher ein Sammelbecken für Leute die insgesamt der Meinung sind, vieles läuft nicht rund?Das Kernthema ist der Klimawandel. Ein Hauptziel ist, dass die Politik transparent machen soll, was die Klimakrise wirklich bewirkt. Was sich verändert und was das für Auswirkungen auf Menschen und Ökosysteme hat. Es ist insofern ein Sammelbecken, als dass Menschen aus sehr verschiedenen Kontexten zusammenkommen, deren innerer Antrieb ist, aktiv etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen.
Dann gab es eine Einheit zum Thema Recht, also bspw. Aufklärung, darüber, was, wenn wir in eine Aktion gehen, eine Ordnungswidrigkeit ist und was eine Straftat. Was habe ich dann zu befürchten: Bußgelder? Muss ich vielleicht in polizeilichen Gewahrsam? Dann haben wir geübt, wie man sich bei einer Aktion verhält, also zum Beispiel bei einer Besetzung einer Brücke.
Was bedeutet „geübt"?Eine Gruppe von Menschen hat die Blockade simuliert, indem sie sich in der Mitte auf den Boden gesetzt hat. Dann gab es welche, die in die Rolle der Polizisten und Polizistinnen geschlüpft sind und die Blockade auflösen sollten. Und Passanten und Passantinnen. Das heißt, wir haben die Situationen aus drei verschiedenen Perspektiven beleuchtet und darüber reflektiert. Das war sehr spannend, sich da reinzuversetzen und auch zu erleben, wie sich das anfühlt, weggetragen zu werden oder wie man in so einer Situation als Polizist* reagieren muss. Es geht darum, Mitgefühl mit den Menschen zu entwickeln. Im Fokus steht immer die Reaktion der Passanten und Passantinnen. Das ist das wichtigste: Wie fühlen die sich? Denn alles ist darauf ausgerichtet, dass die PassantInnen XR als gewaltfreie Bewegung wahrnehmen, um möglichst viele Menschen dazu zu bewegen, mitzumachen.
Von vielen Medien wird Extinction Rebellion als radikal bezeichnet. Wie beurteilst Du das Wort „ radikal" in diesem Zusammenhang?
Mit dem Begriff habe ich mich tatsächlich schon auseinandergesetzt, weil ich in Zusammenhang meiner aktivistischen Tätigkeit für Tierrecht von Familie und Freunden auch schon als radikal bezeichnet wurde, und das auch irgendwie als Angriff empfunden habe. Weil für mich, wie für viele andere vermutlich auch, das Wort irgendwie negativ konnotiert ist. Bei längerem Nachdenken geht es aber darum, meine innere Haltung offen zu zeigen. Wenn „radikal" bedeutet, an die Grenzen des gewaltfrei machbaren zu gehen, um Aufmerksamkeit zu erzielen, dann ist das, was Extinction Rebellion macht, radikal: also zum Beispiel eine Brücke zu besetzen, eine unangemeldete Aktion durchzuführen, die dann aufgelöst werden kann. Wenn man mit „radikal" meint, das Leid von anderen in Kauf zu nehmen, dann ist XR definitiv nicht radikal. Die Intention hinter der Bewegung ist aus meiner Sicht die Beste.
Wenn ich das richtig verstehe, ist die Strategie von XR, die Teilnehmenden selber entscheiden zu lassen, welchen Härtegrad des Ungehorsams man sich selbst zumuten möchte. Ein Die-In ist ja was anderes als eine Besetzung eines Kohlekraftwerkes. Inwieweit wurde darauf eingegangen?Wir haben über Aktionslevel gesprochen, wobei es da keine einheitliche Meinung darüber gab, welches Aktionslevel was bedeutet. Das ist ja eine subjektive Wahrnehmung, was passt zu mir, was ist stimmig. Wir sollten uns selbst einschätzen. Das fand ich gut, für mich erstmal zu überlegen, ob ich eher jemand bin, der im Hintergrund bleibt und zum Beispiel administrative Themen unterstützt, zu einem Die-In geht oder bei einer Blockadeaktion mitmache: Bleibe ich also bei einer angemeldeten Veranstaltung oder gehe ich sogar darüber hinaus? Und dann nochmal die Unterscheidung, ob ich mich wegtragen lasse oder entscheide ich mich, wenn die Polizei dreimal dazu aufgerufen hat, zu gehen? Nehme ich ein Bußgeld in Kauf, eine Ingewahrsamnahme oder ist es mir ganz egal, was da auf mich zukommt?
Du kanntest in dem Training niemanden vorher, oder?Nein.
Wenn du da jetzt zu einer Aktion gehen würdest, würdest du dann darauf vertrauen, dass die anderen im Kollektiv sich tatsächlich an die Vorgabe halten, gewaltfrei zu bleiben? Im Grunde kann da doch jederzeit immer jemand austicken?(Überlegt kurz). Ja, ich habe ein starkes Vertrauen. Weil das auch an diesem Tag immer wieder thematisiert wurde. Bei so einer simulierten Besetzung haben wir zum Beispiel gesungen und dann sollten wir mal ein Szenario durchspielen, bei dem von irgendwem aus der Gruppe beleidigende Sprüche gegen Polizist*en rausgehauen werden. Wir haben darüber gesprochen, wie man dem entgegenwirkt, wie man solche Menschen beruhigt und wieder an die gemeinsame Werte erinnert. Es ist also ganz klar, dass solches Verhalten nicht erwünscht ist und nicht geduldet wird.
Diejenigen, die das Aktionstraining geleitet haben, waren einfach unfassbar gut. Die haben immer wieder wiederholt, dass diese Friedlichkeit der Grundwert, das Wichtigste überhaupt ist. Die haben schon in ihrer Sprache darauf geachtet, gewaltfrei zu sein. Ich habe an dem Tag eine echte Willkommenskultur gespürt, die sehr motivierend und einladend wirkt und nicht ein "ihr gehört nur dazu, wenn ihr eine Brücke besetzt".
Manche TeilnehmerInnen haben die Stimmung als „herzlich" beschrieben, als „gesehen und gehört werden". Es ist ein gutes Gefühl, in einer Gruppe zu sein, in der man wegen seiner Ängste wegen des Klimawandels nicht belächelt wird und gleichzeitig keine Sorge haben muss, ausgegrenzt zu werden, wenn man nicht alles mitmacht.
Du sprichst von mehreren „Trainern". Wer waren diese Trainer?Das waren vier Personen, die selbst der Bewegung angehören, und nach eigenen Aussagen selbst auch schon an Aktionen, zum Beispiel im Umfeld der Proteste zum Hambacher Wald, teilgenommen haben. Sie haben gesagt, dass sie zum ersten Mal so ein Training anleiten und dass sie zuvor eine Schulung von XR erhalten hatten, wie man sowas macht. Sie haben signalisiert, dass sie keine Profis sind und gebeten, dass wir es ihnen nachsehen, wenn sie unsicher sind oder wenn was nicht so rund läuft.
Was ist Dein Fazit? Kannst Du Dir vorstellen an einer Aktion teilzunehmen?Ja, auf jeden Fall. Meine Grundwerte werden dort verkörpert. Ich unterschreibe total diesen Ansatz der absoluten Gewaltfreiheit und damit möchte ich was bewegen. Zu zeigen, dass man mehr bewegt, wenn wir alle in Verbindung miteinander sind mit anderen Gruppen, uns nicht abgrenzen, sondern einladend sind. Ich möchte diesen Weltschmerz, den ich in mir trage, meine Hoffnung, meinen Kampfgeist in dieser Gruppe ausleben. Ab dem 8. Oktober gibt es in Berlin eine Klima-Demowoche, für die ich mich schon angemeldet habe.
Mit welchen Erwartungen fährst Du nach Berlin?Ich bin abwechselnd aufgeregt, entschlossen bis freudig. Zum einen bin ich gespannt auf die Wirkung an sich, das heißt wie viele Menschen kommen, wie die Aktionen gelingen und entsprechend die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wird. Da bin ich auch neugierig, meine eigenen Grenzen kennenzulernen. Zum anderen erlebe ich solche Ereignisse immer als Krafttankstelle, denn die Energie, die entsteht wenn man sich mit Gleichgesinnten verbindet, ist wirklich unglaublich bewegend. Das hilft mir dann wieder mich zu erinnern, nach welchen Werten ich handele und diese Werte auch im Alltag zu vertreten.
Dieser Artikel erscheint in der Koralle KlimaSocial von Riffreporter.de. KlimaSocial steht für einen Perspektivwechsel. Die Klimaforschung, über die wir hier schreiben, richtet ihren Blick weder auf Physik noch Technik, sondern auf soziale Prozesse. Alle unsere Texte finden Sie hier.
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