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Solarenergie und Eisspeicher: Ein prima Duo

Mit der Massenfertigung von Kühlschränken sind Eisspeicher in Vergessenheit geraten. Nun könnte ausgerechnet der Solarboom dieser Technologie zu einer Renaissance verhelfen.

Das Kühlen von Lebensmitteln war früher echte Knochenarbeit. Im Winter wurden dafür von Hand große Eisblöcke aus Weihern und Teichen geschlagen und mit dem Pferdekarren in unterirdische Gewölbe, die sogenannten Eiskeller, transportiert. Mit den ersten elektrisch betriebenen Eisschränken und Kühlmaschinen geriet diese Art der Kühlenergie in Vergessenheit. Zu Unrecht, denn „Eis ist eine hervorragende Speicherform, " sagt Stephan Baumgartner. Der Elektromeister aus dem oberbayrischen Ramsau konzentriert sich mit seinem Betrieb darauf, dem Eisspeicher zu einer Renaissance zu verhelfen. Ganz ohne Schinderei, dafür mit der Kraft der Sonne.

Wie es funktionieren kann, zeigt das Beispiel der Milchwirtschaft Zacherl im oberbayrischen Emmering, die pro Jahr rund 620.000 Liter Milch zu kühlen hat. Der Betrieb besitzt seit einigen Jahren eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 30 Kilowatt, die in Ost-West-Ausrichtung installiert ist, um den Tagesverlauf bestmöglich abzudecken. Tagsüber werden damit alle Gebäude und verschiedene Geräte des Bauernhofs von der Anlage versorgt, wie zum Beispiel die vollautomatische Fütterung und der Melkroboter. Zudem wird mit Hilfe des Solarstroms Wasser in einem Boiler auf 95 Grad Celsius erhitzt, womit nachts der Melkrobotor hygienisch gereinigt wird. Der restliche Strom wird dazu verwendet, Wasser im Speicher in Eis zu verwandeln.

„Wenn man die Kälte direkt nutzen kann, dann ist es sehr sinnvoll einen thermischen Speicher einzusetzen", sagt Stefan Gschwander, Leiter der Arbeitsgruppe Wärme- und Kältespeicher am Fraunhofer ISE. Das bedeutet, Eisspeicher sind besonders effizient, wenn die Eisenergie nicht wieder in elektrische Energie umgewandelt werden muss, sondern Kälte bei null Grad benötigt wird. In Baumgartners Fokus stehen deswegen bislang ausschließlich Viehwirte, die große Mengen zu kühlen haben. Die Milchkühlung, so Gschwander, sei eine besonders naheliegende Anwendung weil das Lebensmittel bei etwa 4-6 Grad Celsius gekühlt werden muss, was nicht weit weg liegt von der Eistemperatur. Gebäudekühlungen beispielsweise benötigen bereits tiefere Temperaturen.

Kristallisationsenergie setzt Energie frei

Die physikalische Begründung für diese ideale Verquickung ist die Kristallisationsenergie, die bei der Eisschmelze freigesetzt wird. Wenn minus 0,1 Grad kaltes Eis in plus 0,1 Grad kaltes Wasser geschmolzen wird, steckt darin so viel Energie, wie wenn null Grad kaltes Wasser auf 81 Grad erwärmt würde.

Um die Energieversorgung zuverlässig zu steuern, hat Stephan Baumgartner eine Software entwickelt, mit der mehrere Gebäude wie der Stall, Wohnhaus und die Maschinenhalle miteinander vernetzt werden können. Sein Fullenergy-Energiemanagement erfasst die erzeugte Energie aus Photovoltaik-Anlage, und erkennt, welchen Bedarf die einzelnen Verbraucher haben.

Bei kleineren Tanks befindet sich der Eisspeicher unter dem Milchtank und bildet mit diesem eine Einheit. Um die Verdampferrohre herum wird ein Eisvorrat aufgebaut. Das Kühlaggregat wird immer dann angesteuert, wenn die Fullenergy-Steuerung meldet, dass ausreichend Strom aus der PV-Anlage vorhanden ist. Die Kühlung der Milch erfolgt, indem die Außenwände des Innentanks mit dem restlichen Eiswasser besprüht werden. Bei größeren Mengen sind Eisspeicher und Kühltank getrennte Einheiten. Der Kältevorrat wird im separaten Eisspeicher aufgebaut.

Der Eisspeicher System hat laut Baumgartner einen rund sieben Prozent schlechteren Wirkungsgrad als bei einem normalen Direktverdampfer, der in der Regel bei der Milchkühlung zum Einsatz kommt. Dabei strömt ein Kältemittel durch den Verdampfer und kühlt die Milch im direkten Kontakt ab.

Potenzial für die Lebensmittelkühlung

Die Anschaffung eines Eisspeichers sei für Landwirte immer dann ökonomisch interessant, wenn sie ohnehin neue Milchkühltechnik anschaffen müssten, erklärt Baumgartner. Den Mehraufwand beziffert der Unternehmer mit 5.000 bis 6.000 Euro für die Technik und rund 5.000 Euro für die Energiesteuerung. „Damit erkauft sich der Landwirt ein Speichermedium mit rund 50 Kilowattstunden". Der Eisspeicher ist damit deutlich günstiger als ein Batteriespeicher mit einer vergleichbaren Leistung, der heute rund 50.000 Euro kostet. Eine Selbstentladung wie beim Batteriespeicher gibt es nicht. Die Eisspeicher sind isoliert, der Wärmeverlust gering. Es gibt auch keinen Verschleiß im Sinne einer Tiefenentladung, da sich Eis immer wieder vollständig auf und abtauen lässt. Als Konkurrenz seien die beiden Technologien aber nicht zu betrachten, sondern vielmehr als sinnvolle Ergänzung, so Baumgartner.

Denn die Kombinationsmöglichkeiten seien mannigfaltig. Egal ob vollautomatische Fütterung, ein Melkroboter, ein Warmwasserboiler, eine Elektroheizung, eine Ladesäule für Elektroautos oder eben auch ein Batteriespeicher - all diese Geräte lassen sich über das Energiemanagementsystem mit Strom vom Dach versorgen.

„Das Konzept könnte aber auch für Supermärkte interessant sein", meint Stefan Gschwander vom Fraunhofer ISE. Viele Betreiber hätten ohnehin schon eine Anlage auf dem Dach und gleichzeitig einen hohen Kühlbedarf, zum Beispiel für Molkereiprodukte oder Getränke.

Tagespendelspeicher zur Gebäudekühlung

Die Idee des Eisspeichers ist nicht neu: In Asien, zum Beispiel Japan und China, werden große Tanks zur Gebäudekühlung verwendet. Weil dort Strom überwiegend aus wenig flexiblen Braunkohle- und Atomkraftwerken erzeugt wird, fallen große Mengen günstiger Nachtstrom an, mit dem das Eis produziert wird. Würde man diesen durch Sonnenstrom ersetzen, wäre dies sofort erheblich umweltfreundlicher.

„Das Thema wird in Deutschland bislang eher stiefmütterlich behandelt", sagt Christoph Rosinski, Geschäftsführer der GEFGA Energiesysteme GmbH. Rosinski hat gemeinsam mit der BeKa Heiz- und Kühlmatten GmbH einen Hochleistungseisspeicher entwickelt, der durch eine besonders große Wärmeübertragerfläche auch sehr kurzfristig hohe Leistung abführen kann. „Damit können wir den kompletten Kühlbedarf eines Gebäudes über den gesamten Tagesverlauf abdecken", sagt der Unternehmer. Die Anlage würde sich nach Rosinskis Angaben auch ideal eignen, um Peaks bei der Solarstromproduktion abzufangen. Es gebe zwar inzwischen erste Anfragen von Bauherren, die überschüssigen Solarstrom auf diesen Weise zwischenspeichern und damit Einfamilienhäuser kühlen wollen, doch keines der Projekte habe es bisher über Konzeptphase hinaus geschafft.

Eigenverbrauchsquote optimieren

Auch der Chemie- und Pharmakonzern Merck setzt bereits seit 2015 an seinem Stammsitz in Darmstadt auf zwei Eisspeicher. Solarstrom kommt hier nicht zum Einsatz, sie werden zur Optimierung der Eigenverbrauchsquote und zum Peak-Shaving genutzt. „Wir haben nach einer Lösung gesucht, um Maschinen vorzuhalten, die wir in Schwachlastzeiten laden und bei Spitzenlastzeiten einsetzen können. Und uns außerdem die große Investition in eine komplette Kältemaschine zu sparen", erklärt Rolf Plessow, zuständig für die Energie- und Medienversorgung von Merck in Darmstadt.

Auf dem Werksgelände erzeugt eine Absorptionskältemaschine aus der Abwärme eines BHKW Kaltwasser für das Leitungsnetz auf dem Werksgelände. Ergänzt wird die Anlage mit zwei Eisspeichern mit einer Speicherkapazität von gesamt rund 20 Megawattstunden. In Zeiten mit einem Stromüberangebot und nachts wird die Energie für das Laden der Eisspeicher verwendet und das Wasser gefroren. In den warmen Stunden ab etwa 12 Uhr mittags wird das das Eis aufgetaut und so die Energie genutzt. Die Eisspeicher werden genutzt, um die Zeiten mit höchstem Bedarf abzudecken. Die Entladung erfolgt in der Regel mit 2 Megawatt pro Stunde, das heißt nach fünf Stunden ist das Eis geschmolzen und der Speicher entladen. „Wir mussten etwas üben, bis wir die optimale Fahrweise gefunden hatten und wussten, wie wir den Eisspeicher richtig laden und auch entladen. Aber ansonsten ist das wirklich eine ausgereifte Technologie und funktioniert sehr gut", resümiert Plessow.

Nächste Komponente: Elektrische Autos und Maschinen

Zu diesem Schluss kommt auch Stephan Baumgartner. Die nächste Komponente bei dieser Form der Solarstromnutzung liegt für Baumgartner auf der Hand. „Elektromobilität ist in der Landwirtschaft im Moment zwar noch kein großes Thema, aber ich denke, in wenigen Jahren werden wir da ganz anders drüber reden", meint er. Auf den Messen, auf denen er sein Energiemanagementsystem präsentiert, stellt der Elektromeister deswegen gerne gemeinsam mit Unternehmen aus, die elektrisch angetriebenen selbstfahrenden Futtermischwagen im Programm hat und einen elektrischen Traktor. Baumgartner geht es darum Berührungsängste abzubauen: „Damit man mal sieht, wie so ein E-Truck aussieht, wie leise der ist und dass der wirklich einfach nur in die Steckdose eingesteckt wird." Er hält all diese Angeboten für eine interessante Ergänzung, um den Eigenverbrauch des Solarstroms zu optimieren. „Sowas läuft ja maximal zwei Stunden am Tag, das ist ideal um Spitzen von der Photovoltaik-Anlage abzufangen. Noch schneller werde sich aus einer Sicht die E-Mobilität jenseits der Arbeitsfahrzeuge durchsetzen. „Auf dem Land sind meistens Zweit-Autos im Einsatz, um Einkäufe oder private Fahrten wie zum Kindergarten, Schule oder zum Einkaufen zu tätigen. Für diese Kurzstrecken sind E-Autos ideal. Vor allem wenn der Strom dafür vom eigenen Dach kommt."

Über 30 landwirtschaftliche Betriebe hat der Elektromeister inzwischen mit Eisspeichern ausgerüstet, Nachfrage steigend. Bislang vorwiegend bei jenen, die neue Kühltechnik benötigten. Doch schon bald fallen die ersten größeren Photovoltaik-Anlagen aus der Vergütung des Erneuerbare-Energie-Gesetz. Dann könnte für viele Hofbesitzer die Optimierung des Eigenverbrauchs durch einen Eisspeicher erst recht interessant werden.

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