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Guerilla-Photovoltaik ist legalisiert

Mit der Neufassung der DIN-Norm VDE 0100- 551 ist der erste Schritt gemacht, um auch Mieter an der Energiewende teilhaben zu lassen. Mit der Überarbeitung der grundlegenden Norm für elektrotechnische Sicherheitsbestimmungen ist es nun grundsätzlich jedem erlaubt, steckbare Photovoltaikmodule direkt an normale Haushaltsstromkreise anschließen.

"Die neue Norm hat auch für die Bau- und Wohnungswirtschaft weitreichende Konsequenzen. Sie eröffnet sowohl in Bezug auf Mieterstrom durch mehrere Teilanlagen als auch durch Einzellösungen neue Perspektiven", sagt Marcus Vietzke von der Deutschen Gesellschaft für Sonnenergie (DGS). Er vertreibt unter dem Label Indielux.com selbst steckbare Module.

Vermieter werden nun entscheiden müssen, ob sie ihren Mietern die Nutzung von Fassaden- und Dachflächen für steckbare Solargeräte erlauben möchten. Ohne Zustimmung des Vermieters darf ein Miethaushalt nämlich keine Photovoltaikanlage an Balkon oder Hauswand anbringen. Das Gleiche gilt bei Eigentumswohnungen, bei denen die Zustimmung der Eigentümergemeinschaft erforderlich ist. "Durch die Balkonmodule ergeben sich aber zahlreiche neue Möglichkeiten, die Attraktivität einer Immobilie zu steigern oder weitere Geschäftsmodelle zu entwickeln", sagt Vietzke.

Neue Mieterstrommodelle

Das einfachste Szenario wäre das Setzen einer Einspeisesteckdose auf Balkon oder Terrasse veranlasst durch den Hauseigentümer. "Auf diese Weise kann der Vermieter einen Installationsbetrieb vorgeben, um die Sicherheit und Qualität der PV-Installation zu gewährleisten", sagt Vietzke. Ebenfalls möglich ist es, mehrere Einspeisesteckdosen an geeigneten Gemeinschaftsflächen bereitzuhalten. Damit wäre es denkbar, Flachdachflächen für die Eigenversorgung zu vermieten und den Mietern auf diese Weise eine effektive Reduktion der Miet- und Energiekosten zu ermöglichen.

"Die veränderte Norm erlaubt eine neue Systemarchitektur, die Mieterstrommodelle für die Wohnungswirtschaft attraktiv machen", sagt Vietzke. Er verweist auf ein Projekt, dass sein Unternehmen 2017 bei einem Neubauprojekt in Vaterstetten bei München umgesetzt hat. Dabei wurden auf 62 Wohneinheiten Module zu je 150 kW verteilt. Die Mieter konnten optional Speicher und Ladesäulen an ihrem Tiefgeragenstellplatz buchen.

Energiekosten in Mieteinnahmen verwandeln

Die Handhabung ist dabei vergleichsweise unbürokratisch. Sofern die Nennleistung der Teilgeneratoren unter zehn Kilowatt peak (kWp) liegt, wird keine EEG-Umlage fällig. Vermieter müssen keine Mieterstromdienstleister beauftragen oder Energiegesellschaften gründen, da keine Einnahmen entstehen, die ihr Gewerbesteuerprivileg gefährden. Es ist auch keine Abrechnung oder Energiemessung nötig: Jeder Mieter verbraucht so viel er kann, der Rest kann gespeichert, abgeregelt oder bei Anlagen unter 30 Kilowatt Leistung pro Grundstück vom Mieter vermarktet werden. "Auch die klassische Aufdach-Photovoltaikanlage kann auf diese Weise aus mehreren Teilanlagen je Wohnung bestehen", sagt Vietzke.

Für die Wohnungswirtschaft sei dieses Modell attraktiv, weil sie mit der Installation von PV-Anlagen auf Wohnungsebene wie bei anderen energetischen Sanierungsmaßnahmen die Möglichkeit habe Energiekosten in Mieteinnahmen zu verwandeln, so Vietzke. Teilgeneratoren, die Hausstrom liefern, sind als energetische Sanierungsmaßnahme umlagefähig. Wenn die Minikraftwerke zur Warmwasserbereitung dienen, verbessern sie die Werte des Energieausweises der Immobilie und können mit einem zinsfreien KfW-Kredit finanziert werden.

Einfache Anwendung

Zwanzig verschiedene steckbare Photovoltaikmodule mit einer Nennleistung zwischen 150 und 540 Watt von neun Herstellern listet das Fachmagazin Photovoltaik aktuell in seiner Marktübersicht auf. Es ist anzunehmen, dass sich die Zahl weiter erhöht, denn mit den sogenannten Minibalkonkraftwerken haben erstmals auch Mieter die Möglichkeit an der Energiewende zu partizipieren.

Die Anwendung ist denkbar einfach. Das Balkonmodul wird auf dem Balkon, Fensterbrett, auf der Terrasse oder auf der Garage platziert oder auch an der Hausfassade montiert. Ein integrierter Modulwechselrichter wandelt den erzeugten Gleichstrom in Wechselstrom. Für den Anschluss erfolgt wird der am Modul angeschlossenen Stecker in eine dafür geeignete Steckdose gesteckt.

An einer entsprechenden Norm für spezielle Einsteckvorrichtungen arbeitet der VDE aktuell noch. "Wichtig ist in der Praxis, dass die Stifte am Stecker nicht berührbar sein dürfen. Denn falls an dem Schutzstecker noch Spannung anliegt, kann man beim Anfassen einen Stromschlag erleiden", sagt Alexander Nollau, Abteilungsleiter Energy & Mobility bei der Deutschen Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE). Über diese Verbindung wird der erzeugte Solarstrom in das Hausnetz eingespeist und angeschlossene Elektrogeräte wie Waschmaschine oder Computer darüber betrieben. Mit drei Modulen à 150 W mit einer guten Südausrichtung, könne man etwa 15 Prozent eines Jahresverbrauchs eines typischen Vier-Personen-Haushalts damit einsparen, so Nollau. Der Einzelfall ist abhängig davon, wie viele Geräte tagsüber laufen.

Wenn ein Stecker-Solar-Gerät mehr Strom erzeugt, als im selben Moment verbraucht wird, wird die Energie entweder abgeregelt oder ins öffentliche Stromnetz eingespeist. Herkömmliche Zähler, so genannte Ferariszähler mit Drehscheibe, können dabei unter Umständen rückwärts laufen. Da es sich dabei aber nur um geringe Mengen handelt, haben erste Netzbetreiber bereits signalisiert, dass sie einen Zählertausch nicht zwingend für erforderlich halten, sofern nur ein Modul angeschlossen wird, informiert die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Bei elektronischen Zählern besteht das Problem des Rückwärtslaufen nicht.

Solarstrom günstig erzeugt

"Bauherren und Architekten unterschätzen oft, wie günstig sich PV-Strom erzeugen lässt", sagt Vietzke. In einem Versuch mit 74 Lastprofilen habe sein Unternehmen gemeinsam mit der Forschungsgruppe Solarspeichersystem an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin den vermiedenen Netzbezug durch ein 600 Watt PV System mit sekündlich aufgelösten Bestrahlungsdaten des Deutschen Wetterdienst des Jahres 2014 am Standort Oldenburg simuliert.

Demnach kann selbst in diesem sehr nördlich gelegenen Ort an der Nordfassade Strom für nur neun Cent pro Kilowattstunde produziert werden. An sonnigeren Standorten seien sogar sechs Cent pro Kilowattstunde möglich. Steile Anstellwinkel verbessern die Eigenverbrauchsquote, da die Module dann auf die tiefere Wintersonne ausgerichtet sind. Auch die Ost-West Aufständerung führt zu einer besseren Deckung von Angebot und Nachfrage. "Damit ist Solarstrom so billig, dass man ihn zum Beispiel sinnvoll zum Heizen einsetzen kann", sagt Vietzke.

Mit Photothermie, also der direkten Nutzung von Solarstrom zur Wärmegewinnung mittels Heizstab oder Wärmepumpe, könne Wärme für fünf Cent pro Kilowattstunde mit sehr wartungsarmer Technik gewonnen werden, sagt der Experte. "Dafür bekommt man nicht mal Gas geliefert, geschweige denn eine Heizung eingebaut oder gewartet", sagt Vietzke. Denkbar sind aus seiner Sicht neben dem Balkonsolarmodul auch viele andere steckbare Erzeugungsgeräte, wie etwa stromproduzierende Heizungen und Speicher, aber auch Kleinwindkraftanlagen.

Netzbetreiber reagieren unterschiedlich

Der Anschluss eines Balkonmoduls muss dem zuständigen Netzbetreiber gemeldet werden. "Die überarbeitete VDE-AR-N 4105 Anwendungsregel Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetzsoll sehen vor, dass für steckbare Balkonmodule ein einfaches Anmeldeformular ausreicht", sagt Alexander Nollau. Die Anwendungsregel definiert technische Mindestanforderungen für den Anschluss von Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz. "Klar, wenn nur Gerät angeschlossen wird, ist das für den Netzbetrieb nicht ausschlaggebend. Aber wenn es plötzlich tausende sind, dann sind das Lasten von denen der Netzbetreiber wissen muss, um sie zu managen", begründet Nollau die Meldepflicht. Mit dem Erscheinen sei im dritten Quartal 2018 zu rechnen.

Die DGS bemängelt, dass es trotz Normänderung immer noch Netzbetreiber gäbe, die Bürger vom Betrieb eines steckbaren Solargerätes abhalten wollten. "Die Normen können jetzt herangezogen werden, aber am Ende muss der Netzbetreiber entscheiden, was er in seinem Bereich zulässt und was nicht. Von einigen Netzbetreibern wissen wir, dass sie solche Module im Zuge der Installationsnorm nun erlauben wollen, andere sind noch unentschlossen", sagt Nollau.

Der DKE-Experte rät Gebäudebesitzern, die ihren Mietern entsprechende Stecklösungen anbieten wollen, einen Fachbetrieb hinzunehmen, um zunächst zu prüfen, ob Stromleitungen und die Stromzähler die im Bestand verbaut worden sind, geeignet sind. Zudem solle der Netzbetreiber frühzeitig miteingebunden werden. von Daniela Becker

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