2 Abos und 4 Abonnenten
Artikel

Das Denken der Anderen

Spätestens seit dem Sieg Donald Trumps macht der Begriff „Filterblase" eine steile Karriere. Dahinter steckt die Annahme, dass wir uns online verstärkt durch undurchsichtige Algorithmen, aber auch im echten Leben, allzu oft nur mit Leuten umgeben, die uns in unserer Meinung bestärken. Das ist menschlich und bequem, denn wer will schon ständig den Quatsch der anderen anhören. Doch Hand auf's Herz: ist die Meinung „der anderen" wirklich ausnahmslos Quatsch, könnte nicht auch ein kleines bisschen eine berechtigte Position enthalten sein?

„Für einen gesunden politischen Diskurs ist es wichtig sich verschiedene Perspektiven anzuhören und sich damit auseinanderzusetzen", sagt Felix Friedrich. Mit seinen Kommilitonen Dario Nassal und Alexander Diete aus dem inzwischen abgeschlossenen Politikwissenschaftsstudium hat Friedrich das Medien Start-up The Buzzard gegründet, dass es sich zur Aufgabe gemacht hat, ein möglichst vielfältiges politisches Meinungsspektrum abzubilden, jenseits der großen Tageszeitungen. Unparteiisch und aus der Vogelperspektive, wie der Bussard, Namenspatron des Unternehmens. „Wir wollen Themen beleuchten, von denen wir denken, dass sie relevant sind und wert sind, breit diskutiert zu werden. Und bei denen wir denken, dass eine gewisse Einseitigkeit oder Geformtheit besteht, " sagt Friedrich. Als Beispiele nennt er die Griechenland-Debatte, den Ukraine-Konflikt oder den Syrienkrieg.

Anzeige

Keine Algorithmen, sondern menschliche Kuratoren

Wöchentlich beschließ das Team in einer Redaktionssitzung ein neues Thema, zu dem anschließend ausführlich recherchiert wird. „Man kann sich das wirklich so vorstellen, dass wir am Rechner sitzen und das komplette Internet durchforsten, um so viele verschiedene Stimmen wir möglich einzufangen und daraus die acht bis zehn besten unterschiedlichen Argumente herauszufiltern, " sagt Friedrich. Zu den ausgewählten deutsch und englischsprachigen Beiträgen, die nach Ansicht der Redaktion die besten pro und contra-Standpunkte enthalten,verfasst das Team kurze Texte, die die Stücke zusammenfassen. Angemeldete Community-Mitglieder bekommen die Recherche wöchentlich als Newsletter zusammengefasst. Wer weiterlesen möchte, findet zu jeder Position den Link zum Original-Artikel.

Als Quellenbasis nennt Friedrich eine umfangreiche Datenbank von über 1.000 Meinungsseiten von Bloggern, Aktivisten und unabhängigen Journalisten aus diversen Ländern, die regelmäßig durchleuchtet werden. Doch nach welchen Kriterien wird entschieden, welchem Blog Gehör geschenkt wird und welchem nicht? „Wir haben für uns ein „Credibility-Ranking" entwickelt, um festzustellen, was die Mindeststandards sein müssen. Eine Grenze ist für uns erreicht, wo Meinungsäußerungen illegal werden." Darunter fallen laut Friedrich Volksverhetzung, rassistische und fremdenfeindliche Äußerung oder auch plumpe Bekleidungen. „Darüber hinaus sind wir aber extrem offen, weil wir dem Leser die Freiheit bieten wollen, die ganze Bandbreite wahrzunehmen," sagt Friedrich. Ohne diesen sehr offenen Diskurs zuzulassen, so Friedrich, bestünde die Gefahr, dass sich auf der politischen Ebene sich festgezurrte Denkmuster durchsetzen und sich die Bevölkerung immer mehr polarisiere, weil sie sich nicht gehört fühlt.

Sollte wirklich jede Position gehört werden?

Ein solches Vorgehen birgt natürlich Probleme. In einem der ersten Übersichten widmet sich The Buzzard dem Thema „ Ist der Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen wirklich so schlimm?" Unter den von The Buzzard ausgewählten Texten findet sich ein auf „ Politically Incorrect ", der den menschengemachten Klimawandel schlicht leugnet. Das Netz ist voll von derartigen Beiträgen, die jegliche wissenschaftliche Erkenntnis zum Klimawandel verdrehen und daraus auch krudeste Verschwörungstheorien entwickeln. Illegal ist das nicht. Aber sollte so ein Text wirklich gleichberechtigt und unkommentiert neben einem wissenschaftlich belegten Text stehen? Dürfen solche Falschaussagen überhaupt „Meinung" genannt, ihnen eine Plattform gegeben und dadurch möglichweise sogar zusätzlich weiterverbreitet werden?

„Die Gefahr besteht, dass wir mit der Auswahl mancher Texte auch Positionen stärken, die unwissenschaftlich, populistisch oder gar postfaktisch argumentieren", gibt Friedrich unumwunden zu. Die Entwicklung sei jedoch in jeder demokratischen Gesellschaft ohnehin möglich und nennt als jüngste Beispiele den polarisierten US-Wahlkampf und den Sieg Donald Trumps oder die extrem aufgeheizte Brexit-Kampagne. Mit dem Ansatz des offenen Diskurses überwiege für ihn die Chance, der Polarisierung und Zersplitterung der Gesellschaft entgegenzuwirken. „Auseinandersetzung mit Gegenpositionen hilft bei offensichtlichen Gegensätzen auch Gemeinsamkeiten zu entdecken, die andernfalls verborgen bleiben, und so konstruktive Lösungen zu entwickeln." Für besonders umstrittene Standpunkte möchte das Team ein redaktionelles Fact-Checking einführen, das auch durch die Schwarmintelligenz der Gemeinschaft ergänzt wird, um die Plausibilität der ausgewählten Quellen zu überprüfen. Aktuell arbeite das Team auch an einem Redaktionsstatut, das sowohl die Diversität der Quellen als auch die Kriterien der Textauswahl transparent machen soll. Noch befindet sich das Projekt in der offenen BETA-Test Phase. In der kurzen Zeit seit dem Launch der Webseite konnte das Start-up nach eigenen Angaben bereits rund 1.300 Nutzer gewinnen. Die angemeldet Mitglieder können unter den einzelnen Artikeln kommentieren und auch Feedback geben, welche Themen das Buzzard-Team in der kommenden Zeit beleuchten soll. „Geplant ist, dass alle Nutzer künftig ihr eigenes Profil bekommen sollen und unter ihrem Namen mitdiskutieren und selbst Themenvorschläge machen", sagt Friedrich.

Anzeige

Für Laien und Politikprofis

Das Konzept findet Anklang. Es wurde von der Bundesregierung als Kultur- und Kreativpiloten ausgezeichnet und wird vom Journalismus-Netzwerk VOCER und vom Media Lab Bayern gefördert. Finanziellen Spielraum ermöglicht den Gründern ein kürzlich gewonnenes Preisgelder Google Digital News Initiative in Höhe von 50.000 Euro. „Damit wollen wir ein Innovationsprojekt fortführen, das sich damit beschäftigt inwieweit Algorithmen und Künstliche Intelligenz die Recherche unserer menschlichen Kuratoren unterstützen und erleichtern kann", sagt Friedrich.

The Buzzard geht es darum, Filterblasen aufzustechen. Ob das Start-up es selbst schafft, außerhalb der Medienblase wahrgenommen zu werden, wird sich ich in den nächsten Monaten von den Kundenzahlen ablesen lassen. Finanzieren will sich das Gründerteam künftig über zwei Abonnementangebote, einerseits für den politisch interessierten Bürger und andererseits für Politprofis beispielsweise aus Parteien, NGOs oder Gewerkschaften, die darauf angewiesen sind, zu wissen, was Menschen fühlen und denken und sich gezielt auf kontroverse Meinungen vorbereiten müssen. Das wöchentliche Angebot für den interessierten Bürger soll zehn Euro, reduziert fünf Euro pro Monat kosten. Eine abgespeckte Version wird weiterhin kostenfrei angeboten. Ob sich über einen solchen Ansatz auch Menschen ansprechen lassen, die bereits tief in einer Echokammer versunken sind oder sich bereits in der Fundamentalopposition befinden, ist fraglich. Aber der Versuch ist es wert.

Zum Original