Daniel Wimmer

Sportjournalist | Kommentator, Landshut

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Die kleinste Liga der Welt

Die Trikots sowie die schwarze Maske von Klaus Hirche aus dieser Zeit sind Exponate des Eishockey-Museums in Augsburg (Foto: Oliver Schwarz )

Die Sportnation DDR. Bei olympischen Spielen und weiteren hochangesehenen Wettbewerben konnten Athleten aus dem Osten in vielen Sportarten große Erfolge feiern und zahlreiche Goldmedaillen verbuchen. Die Kufenflitzer des Landes waren allerdings nicht so erfolgreich, was ihnen zum Verhängnis werden sollte. Auch im Westen, in der Eishockey-Bundesliga, änderte sich laufend die Anzahl der teilnehmenden Mannschaften der höchsten Spielklasse, aber ein Einschnitt wie in der DDR im Jahre 1970 suchte vergeblich seinesgleichen...

Wie in der Bundesrepublik wurde auch in der DDR einige Jahre nach dem Krieg wieder Eishockey gespielt. Eine Meisterschaft gab es erstmals 1949, qualifiziert waren alle Meister der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sowie ein Vertreter Ost-Berlins. Sieger der damaligen in Turnierform ausgespielten „Ostzonenmeisterschaft" war die SG Frankenhausen. Nach einem weiteren Jahr, in dem der Champion, diesmal auch offiziell DDR-Meister, in einem Turnier ermittelt wurde, führte man zur Spielzeit 1950/51 die sogenannte „Liga" ein. Nachdem diese in der Saison 1951/52 bereits sieben Mannschaften zählte und weitere Interessenten vorhanden waren, folgte der nächste Schritt:

Die oberste Spielklasse des Ostens erhielt den Namen DDR-Oberliga, die Liga wurde zur zweithöchsten Spielklasse. Die Größe der neuen Eliteklasse wurde vom Präsidium der Sektion Eishockey auf fünf festgelegt, um - so wie es damals hieß - im Kampf annähernd gleichwertiger Mannschaften eine weitere Leistungssteigerung zu erzielen. Die fünf Gründungsmitglieder waren somit der amtierende und auch spätere Meister BSG Chemie Weißwasser sowie BSG Wismut Erz Frankenhausen, BSG Turbine Crimmitschau, BSG Einheit Berliner Bär und BSG Einheit Dresden Süd.

Wie in allen anderen Sportarten hielt auch im Eishockey im Laufe der Zeit immer mehr die Leistungssportkultur und dessen Effektivierung durch die Staatsführung Einzug. So wurden beispielsweise die Vereine nach sowjetischem Vorbild sogenannten Sportvereinigungen unterstellt. Auch die Gründung der Oberliga war dadurch motiviert. Mitte der 50er wurden zusätzlich die besten Mannschaften als Eishockey-Sektionen in Sportclubs aufgenommen, die zukünftig als Leistungszentren auftraten.

Der Modus der DDR-Oberliga wurde mehrfach verändert. Wurde bis 1958/59 stets eine Einfachrunde zur Ermittlung des Meisters gespielt, trug man ab der Folgesaison unter den mittlerweile acht Mannschaften eine Vorrunde in zwei Staffeln, später eingleisig, mit anschließender Meister- und Abstiegsrunde aus. Dies wurde aber bereits drei Jahre später wieder verworfen und zur einfachen Runde zurückgekehrt, bis 1965/66 zunächst die Plätze vier bis acht der Vorsaison eine Vorrunde bestritten, deren Sieger mit den drei Erstplatzierten der letzten Spielzeit den Meister ausspielte. Nachdem zwei Jahre danach wieder Vernunft einkehrte und einmal mehr eine Einfachrunde mit anschließenden Finalrunden gespielt wurde, gab es 1969/70 erneut einen solch kuriosen Modus.

Unverändert in diesen Jahren blieb die Dominanz der Weißwasseraner, die nach der ersten Oberligaspielzeit mit dem Namen SG Dynamo an den Start gingen. Mit Ausnahme der Jahre 1966 - 1968, in denen sich die Dynamo-Namenskollegen aus Berlin den Titel sicherten, gewannen die Sachsen bis 1969/70 jeden Oberligatitel; ganz gleich wie viele Mannschaften der Liga angehörten. Diese Zahl pendelte zwischen drei und acht Teams, im Jahre 1970 zählte die DDR-Eliteliga sieben Clubs. Diese Saison sollte die letzte Oberligaspielzeit nach altem Muster sein; schuld daran war der Leistungssportbeschluss des SED-Politbüros von 1969:

Am 8. April trat dieser in Kraft. Er sah vor, bestimmte olympische Sportarten stärker zu fördern - auf Kosten anderer Disziplinen. Einfach formuliert bedeutete dies nichts anderes, als dass nur noch bzw. hauptsächlich Sportarten gefördert werden sollten, in denen sich die DDR gute Medaillenchancen ausrechnete, da diese dem Staat Ansehen verleihen würden. Hintergrund waren auch die olympischen Spiele in München, die im Jahre 1972 stattfinden sollten. Man wollte im Medaillenspiegel unbedingt besser als die Bundesrepublik abschneiden, was in der Endabrechnung auch gelang. Im Zuge dessen wurden finanzielle Mittel und Personal zu Gunsten der aus dieser Sicht besonders förderungswürdigen Sportarten gelenkt. Für das Eishockey bedeutete diese Maßnahme die Einstufung in Kategorie zwei, was eine deutliche Kürzung der Fördermittel mit sich brachte. Als Begründung wurde unter anderem der hohe Devisenaufwand der Sportart angeführt, da Schläger und viele andere Ausrüstungsgegenstände importiert werden mussten. Zudem hatte Eishockey als Teamsport in Anbetracht der zunehmenden Medaillenfokussierung einen erheblichen Nachteil gegenüber Einzeldisziplinen.

Dies hatte zur Folge, dass die Eishockey-Leistungszentren in der DDR aufgelöst wurden. Einzige Ausnahme bildeten hierbei Berlin und Weißwasser, die aufgrund einer Intervention des Ministers für Staatssicherheit und Vorsitzenden der Sportvereinigung Dynamo, Erich Mielke, weiter bestehen durften. Es wurde überlegt, diese beiden „Überlebenden" in die erste Liga Polens einzugliedern. Diese Erwägungen wurden jedoch verworfen und festgelegt, der DDR-Meister solle jährlich zwischen diesen beiden Teams in der weiterhin bestehenden Oberliga ausgespielt werden. Die kleinste Liga der Welt, sie war geboren.

Die restlichen Mannschaften verschwanden nicht komplett. Auf Bezirksebene wurde weiterhin gespielt, auch ohne Fördergelder, und ab 1971 wurde unter allen Bezirksmeistern der DDR-Amateurmeister ausgespielt. Da diese Bezeichnung allerdings sportpolitisch problematisch war, erhielt die Austragung den Namen „Bestenermittlung".

In der Oberliga hieß es forthin Berlin gegen Weißwasser, Weißwasser gegen Berlin und wieder von vorne. In den Siegerlisten der DDR-Oberliga war diese einschneidende Maßnahme gar nicht so präsent. Seit der Spielzeit 1958/59 standen mit einer einzigen Ausnahme, der Vizemeisterschaft des TSC Berlin 1969/70, nur die Namen der beiden Dynamos in den Spalten Meister und Zweitplatzierter. In den folgenden Jahren blieb dies auch so, nun allerdings gezwungener Maßen. Die erste auf diesem Wege ausgetragene DDR-Meisterschaft fand zur Saison 1970/71 statt; gespielt wurden acht Partien, vier in Weißwasser, vier in Berlin. Mit 9:7 Punkten setzten sich die Sachsen durch und sicherten sich damit den ersten Titel der neuen Ära.

Mal waren es sechs, mal acht, mal zehn und einmal zwölf Duelle (1978/79), die über die Meisterschaft in der kleinsten Liga der Welt entschieden. Und immer dasselbe Bild: SG Dynamo Weißwasser - SC Dynamo Berlin SC Dynamo Berlin - SG Dynamo Weißwasser

Es hatte etwas von Playoff-Charakter, nur dass direkt mit dem Finale gestartet und immer die festgelegte Anzahl an Duellen auch ausgetragen wurde. Bis zur Saison 1974/75 behielten die Weißwasseraner ihr Meisterabonnement, dann verschoben sich die Kräfteverhältnisse in Richtung der Hauptstadt der DDR - mit Ausnahme der Spielzeit 1980/81 ging bis einschließlich 1987/88 der Titel nach Berlin.

Diese Dominanz und die bedingt nur kurze Eishockey-Saison sorgten dafür, dass die Zuschauer zusehends dem Sportforum Hohenschönhausen, der Heimspielstätte der Berliner Dynamos, fernblieben. Gegenteiliges war in der Lausitz der Fall: Nicht selten war das Freiluftstadion in Weißwasser mit rund 15.000 Zuschauern restlos ausverkauft - die Eishockeybegeisterung war ungebrochen. Vereinzelt kam es sogar zu Spielabbrüchen auf sächsischem Eis: Es hielten sich hartnäckige Gerüchte um eine Bevorteilung des Berliner Rivalen bei strittigen Entscheidungen durch die Schiedsrichter, was zu vereinzelten Aufständen auf den Zuschauerrängen führte.

Zur Saison 1986/87 wurde der Modus geändert, um die Attraktivität des immerwährenden Duells zu steigern. Statt in einer Mehrfachrunde wurde nun in mehreren Best-of-Five Serien gegeneinander gespielt. Wer zwei dieser Serien gewann, konnte die DDR-Meisterschaft feiern.

Im Zuge dieser Maßnahme wurde auch das Unentschieden abgeschafft und ein Sieger in Form von Verlängerung oder Penaltyschießen ermittelt. Nachdem Dynamo Weißwasser 1988/89 nach acht Jahren wieder den Titel holte und die Entscheidung schon nach sechs Spielen feststand - die Sachsen gewannen die ersten beiden Serien jeweils mit 3:0 - mussten in der Folgesaison drei dieser Serien gewonnen werden, um den Titel zu erringen. Dass dies gleichzeitig der letzte überhaupt sein sollte, war da noch nicht absehbar.

Alle Serien der Spielzeit 1989/90 endeten 3:0, einmal gewann Berlin, dreimal Weißwasser. Es war der zweite in Folge und der 25. Titel insgesamt für die Sachsen. Gleichzeitig war es die letzte Saison der DDR-Oberliga - der Mauerfall im November 1989 sorgte für ihr Ende. Noch vor der politischen Wiedervereinigung und als erste Sportart in Deutschland vollzog das Eishockey die Wende und nahm die beiden DDR-Oberligisten in die Bundesliga auf.

20 Jahre lang existierte sie - die DDR-Oberliga bestehend aus nur zwei Vertretern und einem immer wiederkehrenden Duell. Das Durchhaltevermögen der Eishockey-Begeisterten im Osten war bemerkenswert. Die Eisbären Berlin, der Nachfolgeverein des ehemaligen SC Dynamo darf sich heute gemeinsam mit den Adler Mannheim Rekordmeister der DEL nennen. Möglich wurde dies wohl nur durch die Aufrechterhaltung des Spielbetriebs in der kleinsten Liga, die die Sportwelt je gesehen hat!

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