Daniel Urban

Wort & Ton, Frankfurt am Main

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Artikel

Mastering the Art of Foley

Wenn Maisstärke zu Schneekirschen und den Kokosnusschalen ein Pferdegalopp entlockt wird, dann findet man sich wohl im Studio eines Foley-Artists. Die hohe Kunst des Geräuschemachens macht noch heute den Unterschied für jeden Kinobesuch. 

Ein düste­res Zimmer, ange­spannte Stim­mung: zwei Männer, hoch­kon­zen­triert, umge­ben von unzäh­li­gen, martia­lisch anmu­ten­den Uten­si­lien. Einer nimmt sich eine Brech­stange zur Hand, der andere greift nach einer Art Holz­knüp­pel. Es dauert nicht lange, bis es zu Hand­greif­lich­kei­ten kommt: Schließ­lich fliegt einer der beiden über einen Schrank in eine dunkle Ecke, der andere schlägt wie wild um sich.

In dem Zimmer entsteht ein grotes­kes Chaos, auf dem Boden liegen kaputte Holz­bret­ter, Essens­reste flie­gen herum, ein Flei­scher­ha­ken in der Mitte des Zimmers evoziert ungute Befürch­tun­gen. Plötz­lich eine Stimme aus dem Off: „Cut! We’re out of sync!“, die beiden Männer können sich ein herz­haf­tes Lachen nicht mehr verknei­fen. So beschreibt die Szene­rie nämlich keinen Gewalt­ex­zess zwischen zwei Wider­sa­chern, sondern zeigt einen Einblick in den Arbeits­all­tag zweier Foley-Artists, im hiesi­gen Sprach­raum auch als Geräu­sche­ma­cher bekannt. Sie stammt aus Terry Burkes Kurz­film-Doku­men­ta­tion „Track Stars: The Unseen Heroes of Movie Sound“ aus dem Jahre 1979.

WAS HABEN „PLANET EARTH“, „AVENGERS“ UND FASSBINDERS „MARTHA“ GEMEINSAM?

Denn was haben komplett unter­schied­li­che Film-Produk­tio­nen wie die große BBC-Doku­men­ta­ti­ons­reihe „Planet Earth II“, Holly­wood-Block­bus­ter à la „Aven­gers: Endgame“ oder beispiels­weise einem Rainer Werner Fass­bin­der-Film wie „Martha“ aus den 1970er Jahren gemein­sam? Alle sind zu einem nicht zu unter­schät­zen­den Maß auf Foley-Artists ange­wie­sen. Sie verlei­hen dem Film den gewohn­ten Realis­mus und lassen die Zuschauer über­haupt erst in das Film­ge­sche­hen eintau­chen.

FOLEY-ARTISTS, IMAGE VIA INFO­CUS­FILM­SCHOOL.COM

Das Bedürf­nis, die Immer­si­ons­fä­hig­keit eines Films mittels Effek­ten und Geräu­schen zu verstär­ken, stammt noch aus der Zeit des Stumm­films. Schon in den 1910er Jahren hatten einige Film­or­ches­ter mitun­ter Geräusch­ma­schi­nen, die bis zu 50 verschie­dene Effekte abspie­len konn­ten. Im gewöhn­li­chen Licht­spiel­haus mit seinen Stumm­film­pia­nis­ten oder -orga­nis­ten nutzen diese simple Hupen oder Klin­geln, um bestimmte Effekte zum Besten zu geben – manch­mal zum Unwil­len des Publi­kums.

So beschwerte sich 1920 beispiels­weise ein Kriti­ker im Film­ku­rier: „[…] sobald ein Auto zu sehen war, was reich­lich oft vorkam, dröhnte das Tut-Tut durch den Raum. Das war des Guten zuviel, klang barba­risch und zerriss die Stim­mung voll­stän­dig.“ 1927 veröf­fent­lich­ten Warner Bros. dann mit „The Jazz Singers“ einen Film, in dem es nicht nur synchro­ni­sierte Musik­pas­sa­gen sowie Gesang gab, sondern auch verein­zelte Dialog­sequen­zen vertont wurden – in dieser Kombi­na­tion ein Novum. Der Film wurde inner­halb kürzes­ter Zeit zum ersten großen Tonfil­mer­folg und trieb den Umstieg von Stumm- auf Tonfilm massiv voran.

DAS WAR DES GUTEN ZUVIEL, KLANG BARBA­RISCH UND ZERRISS DIE STIM­MUNG VOLL­STÄN­DIG.

KRITIKER IM FILMKURIER

Univer­sal arbei­tete zu dieser Zeit gerade an der Verfil­mung des Broad­way-Publi­kums­lieb­lings „Show­boat“, eine groß ange­legte Stumm­film­pro­duk­tion. Das Studio geriet nach Fertig­stel­lung des Films durch den immen­sen Erfolg von „The Jazz Singers“ in Panik, befürch­te­ten die Bosse doch sicher nicht unge­recht­fer­tigt, dass das Publi­kum von einer Musi­cal-Verfil­mung nun eben­falls eine Tonver­sion erwar­ten würde. Die Veröf­fent­li­chung von „Show­boat“ wurde also kurzer­hand verscho­ben und diverse Szenen wurden nach­ge­dreht, sodass der Film mit Tonse­quen­zen in einer Länge von 30 Minu­ten ange­rei­chert wurde. Für die Nach­ver­to­nung holte man Jack Dono­van Foley mit an Bord, der seiner­zeit bereits als Geräu­sche­ma­cher im Radio gear­bei­tet hatte.

JACK FOLEY, IMAGE VIA IRIS­HAME­RICA.COM

Da es aufgrund tech­ni­scher Begren­zun­gen kaum möglich war, Umge­bungs- oder sons­tige Atmo­sphä­ren­ge­räu­sche (die berühmte „Atmo“) während der Drehs aufzu­neh­men, kam Foley auf eine bahn­bre­chende Idee: Die Film­sze­nen soll­ten live im Studio, synchron zur Sich­tung des Filmes, aufge­nom­men und nicht, wie sonst üblich, ledig­lich mit vorab produ­zier­ten Effek­ten unter­legt werden.

DAS STUDIO EINES GERÄU­SCHE­MA­CHERS GLEICHT DEM HOBBY­KEL­LER EINES ALTEN KINDES

Foley versprach sich hier­von einen deut­li­chen gestei­ger­ten Realis­mus, und der Erfolg sollte ihm Recht geben. Bald bedien­ten sich alle größe­ren Produk­ti­ons­stu­dios jener Tech­nik, um ihre Filme nach zu verto­nen. Mögen sich die Aufnah­me­tech­ni­ken seit­dem auch stetig verbes­sert haben, die Arbeit des Geräu­sche­ma­chers ist grund­le­gend gleich­ge­blie­ben: Heut­zu­tage dient die Tontech­nik am Film­set haupt­säch­lich dazu, Dialoge möglichst störungs­frei aufzu­neh­men, sodass so wenig Spra­che wie möglich nach­syn­chro­ni­siert werden muss. Hierzu werden beispiels­weise Schuh­soh­len abge­klebt und sons­tige Neben­ge­räu­sche voll­stän­dig ausge­merzt, um eine möglichst klare Aufnahme zu erhal­ten. 

FOLEY ART, IMAGE VIA WWW.​BERKLEE.​EDU

Eine der Haupt­auf­ga­ben des Foley-Artists ist nach wie vor, Schritte und Bewe­gungs­ge­räu­sche synchron zur Film­hand­lung aufzu­neh­men. Sons­tige Neben­ge­räu­sche werden zwischen den verschie­de­nen Sound­de­par­te­ments aufge­teilt. Werden Maschi­nen­ge­räu­sche eher durch Synthe­si­zer oder exis­tie­rende Stock-Sounds nach­ver­tont, ist es nach wie vor sowohl zeit­spa­ren­der und unkom­pli­zier­ter, beispiels­weise Türen­ge­räu­sche, Regen, das Inha­lie­ren von Ziga­ret­ten­rauch, tosende Wellen oder Tier­ge­räu­sche einem Foley-Artist zu über­las­sen.

Das Studio eines Geräu­sche­ma­chers gleicht daher auch dem Hobby­kel­ler eines alten Kindes: Ein ganzes Arse­nal an Schu­hen, diverse Unter­gründe, Türen, Schränke, aller nur denk­ba­rer Klim­bim, der Klänge von sich geben kann, kleine Wasser­be­cken und diverse Essen­su­ten­si­lien zur Nach­ver­to­nung von Splat­ter-Geräu­schen (wenn im Film der Schä­del zertrüm­mert wird, platzt im Studio des Geräu­sche­ma­chers zum Beispiel eine Wasser­me­lone). 

FOLEY ART REQUI­SI­TEN, IMAGE VIA COLUM­BIAN.COM

Der Ton dringt unver­mit­tel­ter und unge­fil­ter­ter in unser Wahr­neh­mungs­zen­trum als das Bild, das wir gelernt haben anzu­zwei­feln. Ohne groß nach­zu­den­ken vermu­ten so sicher einige, in Tier­do­ku­men­ta­tio­nen wie beispiels­weise „Planet Earth“ das tatsäch­li­che Flat­tern des Koli­bris, das Brül­len des Löwen, das Galop­pie­ren der Anti­lope oder die Schwimm­ge­räu­sche eines Haies zu hören, während man tatsäch­lich dem Werk eines Geräu­sche­ma­chers lauscht. Das Schaf­fen des Foley-Artists und das des gesam­ten Sound­de­par­te­ments hat hier­bei auch Einfluss auf die grund­sätz­li­che akus­ti­sche Wahr­neh­mung des Zuschau­ers. 

Weit­hin bekannt ist wohl, dass sich Pisto­len­schüsse und Faust­hiebe im echten Leben deut­lich dump­fer anhö­ren als jene im Film – und trotz­dem: würde das fakti­sche Geräusch dort genutzt, so täte man es mit eini­ger Wahr­schein­lich­keit als „unrea­lis­tisch“ ab. So werden Geräu­sche­ma­cher zu neuzeit­li­chen Magi­ern der Sinnes­wahr­neh­mung: aus Mais­stärke in einem Sack zaubern sie das Schnee­knir­schen eines Winter­spa­zier­gangs, Kokos­nuss­scha­len entlo­cken sie einen Pfer­de­ga­lopp und aus einer Tasse erklingt plötz­lich das Quaken eines Frosches. Terry Burke nannte Foley Artists die „unge­se­he­nen Helden“ des Films, und in der Tat, sie erwe­cken den Tonfilm zum Leben.

JACK FOLEY WURDE IN KEINEM EINZI­GEN FILM FÜR SEINE ARBEIT IM ABSPANN GENANNT

Der Zuschauer ist eher dazu geneigt, schlech­tes Bild zu verzei­hen, als schlech­ten Ton. Der sorgt unwill­kür­lich dafür, dass man eine Produk­tion als amateur­haft oder, eben als nicht „echt“ empfin­det. Ange­mes­sen gewür­digt wurde dieses bahn­bre­chende Enga­ge­ment um den Tonfilm übri­gens nicht: Über 33 Jahre arbei­tete Jack Foley als Geräu­sche­ma­cher für Univer­sal, in keinem einzi­gen Film wurde er für seine Arbeit im Abspann genannt. Seine Bekannt­heit beschränkt sich haupt­säch­lich auf die Riege der Film­schaf­fen­den: Geräu­sche­ma­cher benen­nen sich inter­na­tio­nal nach ihm und Foley wurde im Jahre 1997 post­hum mit dem Motion Picture Sound Editor Award ausge­zeich­net.

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