Daniel Urban

Wort & Ton, Frankfurt am Main

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Nichts als die reine Gegenwart

Künstlerin Melanie Matranga zeigt in ihren Filmen, wie junge Menschen vertraut miteinander umgehen ohne einander wirklich wahrzunehmen. Die filmische Tour de force "Frownland" von Ronald Bronstein ist ihr DOUBLE FEATURE.

Von Daniel Urban

In dem 1994 veröf­fent­li­chen Cover des Kinks-Songs „People taking pictu­res of each other“ sangen „Die Golde­nen Zitro­nen“ keck: „Menschen machen Fotos gegen­sei­tig, zu bewei­sen dass sie wirk­lich exis­tier­ten, auf Nummer sicher zu gehen dass sie da sind“. Heut­zu­tage ließe sich dies recht tref­fend auf die Insta­gram-Kultur anwen­den, bei der jedoch weni­ger der andere als viel­mehr man selbst und die eigene alltäg­li­che Umge­bung in Szene gesetzt werden.

Die Ästhe­tik einer Groß­zahl der dort veröf­fent­lich­ten Bilder könnte man pole­misch als Kata­log-Insze­nie­rung des eige­nen Lebens bezeich­nen, bei der User das eigene Er- und Leben so porträ­tie­ren, wie es die Werbung zur Produktan­prei­sung zu tun pflegt. Solche Bilder dienen, folgt man beispiels­weise Medi­en­theo­rie-Profes­sor Wolf­gang Ullrich, sodann auch weni­ger der Doku­men­ta­tion und Erin­ne­rung denn der Kommu­ni­ka­tion, stel­len also eine grund­le­gende Verän­de­rung des Medi­ums Foto­gra­fie dar.

Weiß die dominierende Farbe

In der Video­ar­beit „You“ (2016) der fran­zö­si­schen Künst­le­rin Mélanie Matranga (*1985) ist die Insta­gram-Ästhe­tik, die in der Kunst­zeit­schrift Mono­pol einst mit den Stich­wor­ten „Viel Weiß, viel Vase, viel Bett“ zusam­men­ge­fasst wurde, allge­gen­wär­tig. Ein Mann und eine Frau sitzen auf einem Bett, das Zimmer ist licht­durch­flu­tet, Weiß die domi­nie­rende Farbe. Die Frau schubst den Mann, es entsteht eine kleine Kabbe­lei, bevor der Mann sich schließ­lich anzieht und geht.

Szenen­wech­sel: Mann und Frau liegen beiein­an­der, der Mann strei­chelt die Frau, erzählt schließ­lich eine Anek­dote über eine ältere, elegante Nach­ba­rin, der er als Junge heim­lich beob­ach­tete und über die er phan­ta­sierte. Im Folgen­den würfelt Matranga die Prot­ago­nis­ten aus diesen zwei Szenen munter durch­ein­an­der: der Mann aus der zwei­ten Szene hat auf einer Toilette Sex mit der Frau aus der ersten, die Frau aus der zwei­ten Szene erzählt die ihr erzählte persön­li­che Anek­dote leicht verän­dert als eigene Erfah­rung dem Mann aus der ersten Szene, zwischen­zeit­lich landen drei der vier in einem Bett oder sie tref­fen sich alle auf einer Party.

Jeder im eigenen Kosmos

Matranga insze­niert Moment­auf­nah­men aus Liebes­be­zie­hun­gen, genauer viel­leicht: film-ästhe­tisch aner­kannte Reprä­sen­ta­tio­nen aus solchen, während die Prot­ago­nis­ten selt­sam fremd und distan­ziert blei­ben. Die zur Schau gestellte innige Inti­mi­tät, in der Regel Ausdruck der Gefühle zweier Indi­vi­duen zuein­an­der, scheint hier eher selbst als Kommu­ni­ka­tor aufzu­tre­ten; die Ausfüh­ren­den sind kaum mehr als handelnde Gegen­stände. In „Jour & Nuit“ (2015) hinge­gen, der im Rahmen der Instal­la­tion „反复 (FANFU)“ erst­ma­lig zu sehen war, beschäf­tig­ten sich die Prot­ago­nis­ten noch ausschließ­lich mit sich selbst.

Vier Freunde, die sich in einem Restau­rant tref­fen, reden anein­an­der vorbei, fokus­sie­ren osten­ta­tiv das eigene Essen, hören sich nicht zu und verschwin­den schließ­lich jeder wieder im eige­nen Kosmos, den sie nie rich­tig verlas­sen haben. In „You“ wiederum schei­nen die getrenn­ten Indi­vi­duen in einem gemein­sa­men, über­sub­jek­ti­ven Wir aufge­gan­gen zu sein: Das titel­ge­bende Du wird seiner ihm je beson­de­ren Exklu­si­vi­tät beraubt, die Gren­zen zwischen Ich und Du zerflie­ßen und exis­tie­ren fortan als Über-Subjekt in einer reinen Gegen­wart, die weder Vergan­gen­heit noch Zukunft in sich zu tragen scheint.

Getrieben von Dämonen

Rein in der Gegen­wart stol­pert auch Keith (Dore Mann) von einer Situa­tion in die nächste: Dem twen­ty­so­me­thing folgen wir in Ronald Bron­steins „Frown­land“ (2007) in den letz­ten Atem­zü­gen seiner Bezie­hung zu Laura (Mary Bron­stein), in Ausein­an­der­set­zun­gen mit seinem Mitbe­woh­ner Charles (Paul Grim­stad) oder während seiner erfolg­lo­sen Tätig­keit als Teil einer Drücker­ko­lonne.

Keith ist ein rast­lo­ses, neuro­ti­sches Nerven­bün­del, stetig in Bewe­gung, sprach­lich verwor­ren und nicht zum Punkt kommend, von Unsi­cher­heit und Angst getrie­ben und hoff­nungs­los verlo­ren. Unfä­hig, seine eige­nen Wünsche auch nur zu erken­nen oder zu arti­ku­lie­ren, trei­ben ihn seine Dämo­nen von einer aussicht­lo­sen Situa­tion in die nächste, während­des­sen der soziale Abstiegs­druck immer weiter zunimmt.

Psychische Leiden ohne Niedlichkeit

Bron­stein arbei­tete über fünf Jahre an „Frown­land“ und finan­zierte den Film haupt­säch­lich durch seine Einnah­men als Film­vor­füh­rer. Exzes­siv wie auch zeit­in­ten­siv arbei­tete er mit den Laien­dar­stel­lern an „Frown­land“ und was als Resul­tat auf der Lein­wand zu sehen ist, über­schrei­tet oft genug die Grenze des Erträg­li­chen: Dore Manns Darstel­lung des stets unru­hi­gen wie getrie­be­nen Keiths, der sich in einer selbst erschaf­fe­nen Welt aus Zwei­fel und Unsi­cher­heit von einem Moment in den nächs­ten hangelt, berührte einen Zuschauer in einer Film­vor­füh­rung in Las Vegas so unan­ge­nehm, dass es fast zu einer Schlä­ge­rei gekom­men wäre. Jene Inten­si­tät macht aus „Frown­land“ eine wahr­haf­tig authen­ti­sche Tour de force, in der psychi­sche Leiden weder dem Altar der Nied­lich­keit geop­fert noch Figu­ren zu Vermitt­lern einer über­ge­ord­ne­ten Botschaft degra­diert werden.


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