Daniel Urban

Wort & Ton, Frankfurt am Main

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Artikel

THE WORLD'S MOST MONSTROUS MOVIEMAKER

Wenn man die Schnittstelle von Kunst und Okkultismus sucht, begegnet man zwangsläufig dem Filmkünstler Kenneth Anger. Mit seinem 1969 uraufgeführten „Invocation of my Demon Brother“ rückt Anger die magischen Rituale in den Fokus.


Kenneth Anger, bürger­lich Kenneth Wilbur Angle­meyer, wird 1927 in Santa Monica, Kali­for­nien gebo­ren. Bereits im Alter von 10 Jahren dreht er seinen ersten Kurz­film. 1947 gelingt ihm der Durch­bruch mit dem Film „Fire­works“, der heute als Klas­si­ker des expe­ri­men­tel­len Under­ground-Kinos gilt. Der fran­zö­si­sche Künst­ler Jean Cocteau lädt Anger darauf­hin nach Paris und führt ihn in die euro­päi­sche Avant­garde-Szene ein. Aus Geld­not schreibt Kenneth Anger dort später „Holly­wood Baby­lon“, eine Samm­lung teils morbi­der Klatsch­ge­schich­ten über Holly­wood­stars der 1920er- bis 50er-Jahre wie Mary­lin Monroe, Rudolph Valen­tino oder Mae Murray, die 1959 in Frank­reich veröf­fent­licht wird. In Amerika erscheint das Buch erst 1965 und löst einen Skan­dal aus. Es wird zehn Tage nach der Veröf­fent­li­chung verbo­ten und erscheint erst 1975 in einer Neuauf­lage.

Anger kam früh mit der glamou­rö­sen Film­welt in Kontakt und wurde von ihr stark beein­flusst. Seine Groß­mut­ter arbei­tete als Kostüm­bild­ne­rin in der Film­in­dus­trie des „alten“ Holly­woods und nahm den jungen Kenneth des Öfte­ren zu ihrer Arbeit mit. Im Laufe dieser Jahre entwi­ckelte er eine nahezu obses­sive Faszi­na­tion für die Film­welt. Die mythisch über­höhte Legen­den­bil­dung, die er in „Holly­wood Baby­lon“ mit den Stars der Film­in­dus­trie betrieb, wandte er immer wieder auch auf sein eige­nes Leben an. So behaup­tet Anger, dass er 1935 im Film „A Midsum­mers Night’s Dream“ von Max Rein­hardt und William Diet­erle als Mädchen verklei­det eine kleine Rolle gespielt habe – es konnte nie abschlie­ßend bestä­tigt werden. 1967 schal­tet er in der Zeitung „The Village Voice” seine eigene Todes­an­zeige, um sich anschlie­ßend als Künst­ler neu zu erfin­den.

Anger kehrt aus Frank­reich zurück nach Amerika, expe­ri­men­tiert mit hallu­zi­no­ge­nen Drogen wie LSD und dreht weitere Filme, von denen heute „Luci­fer Rising“ zu den Bekann­tes­ten zählt. Diese Filme festi­gen seinen Ruf als avan­g­ar­dis­ti­schen Filme­ma­cher, brin­gen ihn in Kontakt mit der ameri­ka­ni­schen Under­ground-Szene und schließ­lich mit unzäh­li­gen bekann­ten Persön­lich­kei­ten aus der Pop- und Kunst­welt, unter ande­rem auch mit dem Church of Satan-Grün­der Anton LaVey. Kenneth Anger inter­es­siert sich schon seit seiner Jugend sehr stark für Okkul­tis­mus, insbe­son­dere für den Mysti­ker Aleis­ter Crow­ley, und ist beken­nen­der Anhän­ger des von Crow­ley gegrün­de­ten heid­ni­schen Thelema-Kultes. 1966 beginnt er die Arbeit an dem Film „Luzi­fer Rising“, die ein Jahr später wieder verwor­fen wird. Kenneth Anger behaup­tete seiner­zeit, dass sein Haupt­dar­stel­ler Bobby Beau­sol­eil das Film­ma­te­rial geklaut hätte. Beau­sol­eil bestritt dies vehe­ment, beschul­digte Anger viel­mehr, er habe das Geld für den Film einfach verprasst. Aus Teilen des schon gedreh­ten Film­ma­te­ri­als schnei­det Anger 1968 „Invo­ca­tion of my Demon Brother“.

Der wort­lose Expe­ri­men­tal­film erweist sich als wahr­hafte Bilder­flut, die ohne eine klas­sisch narra­tive Erzäh­lung auskommt. Verschie­dene Sequen­zen werden in schnel­len Schnit­ten inein­an­der verwo­ben: ein weiß­blon­der Knabe, diverse okkulte und altägyp­ti­sche Symbole, Dämo­nen, kiffende Hippies, Doku­men­tar­auf­nah­men von Solda­ten, Ausschnitte aus einem Rolling Stones-Konzert, Anton LaVey als Satan – und natür­lich Kenneth Anger als Magier. Der Film greift jene Themen und Bilder auf, die Kenneth Angers Gesamt­werk durch­zie­hen und verdich­tet sie zu einem 11-minü­ti­gen psyche­de­li­schen Trip.

Das Gezeigte verstört und lässt den Betrach­ter mit einem unbe­hag­li­chen Gefühl zurück. Gleich­zei­tig sind die genutz­ten Effekte und Bilder unge­mein bekannt, in ihrer Form den Sehge­wohn­hei­ten vertraut und inzwi­schen zum festen Bestand­teil der kultu­rel­len Pop-Geschichte gewor­den: Psyche­de­li­sche Film­pro­jek­tio­nen und Stro­bo­skop-Effekte, wie sie auch Andy Warhol in seinen Multi­me­dia-Happe­nings nutzte, Kalei­do­skop-Effekte, die mitt­ler­weile etli­che Plat­ten-Cover zieren und in unzäh­li­gen Musik-Videos zu sehen sind.

Unter­legt ist der Film durch eine Kompo­si­tion von Rolling Stones-Sänger Mick Jagger, die sich grob in drei Abschnitte unter­tei­len lässt. Sie besteht größ­ten­teils aus expe­ri­men­tel­len Synthe­si­zer­kol­la­gen, explo­diert dann in ein sich wieder­ho­len­des, hypno­ti­sches Gitar­ren-Gewit­ter, einem Mantra nicht unähn­lich, und mündet schließ­lich in einer wehmü­tig anklin­gen­den Folk-Pop-Melo­die. Anger nannte die Film­mu­sik den „beson­de­ren Sound, der den Film hypno­tisch macht. Das elek­tro­ni­sche Äqui­va­lent zu afri­ka­ni­schen Trom­meln.”

„Invo­ca­tion of my Demon Brother“ zählt zu Angers spiri­tu­ells­tem Werk. Der Künst­ler selbst sieht es als filmi­sches Gedicht, als durch und durch senso­ri­sches Erleb­nis. Beach­tens­wert bleibt dabei jedoch auch Angers Sinn für Humor, der kurz vor Ende des Films noch einmal durch­schim­mert: Die Treppe, zuvor noch Kulisse einer Prozes­sion, glei­tet nun ein verbrann­ter Korpus hinab. Auf einem Schild vor seiner Brust ist zu lesen: „Zap, You’re Pregnant – That’s witch­craft”. Dieses bizarre Bild führt das Voran­ge­gan­gene beinahe ad absur­dum. Kenneth Anger sagte einmal: „Der Grund, warum ich Aleis­ter Crow­ley so sehr mag, ist sein unglaub­lich beißen­der Sinn für Humor.” Nicht zuletzt kann der Film auch als Hommage verstan­den werden: Die Ehrer­wei­sung des selbst­er­nann­ten „most mons­trous movie­maker“ Anger an sein großes Idol, „the wicke­dest man in the world” Aleis­ter Crow­ley.


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