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Netzsperren: Deutsche Kinderhilfe kämpft um Deutungshoheit

Mit einer bundesweiten Unterschriften-Kampagne versucht die Deutsche Kinderhilfe, das Image der Netzsperren aufzupolieren. Doch hat der Verein selbst keinen guten Ruf

Von Daniel Schlicht


Kaum ein Thema beschäftigt derzeit die deutsche Online-Gemeinde so sehr wie die geplante Sperre von Kinderporno-Seiten im Internet. Das, was Familienministerin Ursula von der Leyen unermüdlich als effektive Bekämpfung von Kinderpornografie anpreist, werten Kritiker als ersten Schritt zur staatlichen Internet-Zensur. Im Internet haben inzwischen mehr 90.000 Menschen gegen diese Pläne gestimmt und vom Bundestag gefordert, sich erneut mit ihnen zu befassen. In den nächsten Tagen wollen die Sperrgegner die 100.000 schaffen.

Der Streit wird inzwischen auch auf der Straße ausgetragen. Seit der vergangenen Woche sammelt der Verein "Deutsche Kinderhilfe" vor Fußballstadien und auf öffentlichen Plätzen Unterschriften für die Sperren und für das Gesetzesvorhaben. Mit der Kampagne "Stop! - Meine Stimme gegen Kinder'pornographie'" hat er sich zum Ziel gesetzt, bis Ende Mai ebenfalls mindestens 100.000 Namen und Adressen vorweisen zu können.

Was klingt wie lebendige Demokratie, ist so einfach nicht. Denn an dem Vorhaben der "Deutschen Kinderhilfe" und an dem Verein selbst gibt es einige Kritik.

Die Kinderhilfe setzt nicht auf das Internet, sondern auf den klassischen Weg. Dazu sucht sie anscheinend auch professionelle Unterschriftensammler. Zumindest klingt eine Stellenanzeige beim Jobvermittler "Promotionbasis" so, als wäre sie von der Kinderhilfe aufgegeben, auch wenn dort kein Auftraggeber steht. 50 Euro wird für zweieinhalb Arbeitsstunden von der Firma "FirstClassService Promotion" versprochen - dafür, vor Fußballstadien Unterschriften für das "Anti-Kinderporno-Gesetz" zu sammeln.

Das ist nicht anrüchig, im Gegensatz zur Argumentation der geworbenen Promoter. Blogger Oliver Lysiak beispielsweise berichtet von einer Begegnung mit zweien von ihnen. Deren Werbung gipfelte in dem Satz: "Aber es ist doch gegen Kinderpornografie! Da können Sie doch nicht dafür sein!" Felix Schwenzel bloggte bei wirres.net eine ähnliche Erfahrung.

Ähnlich argumentiert das vorgelegte Unterschriftenblatt, auf dem nur ein Satz steht: "Ja, ich stimme für das Gesetz gegen Kinder'pornographie' im Internet". Recht missverständlich und suggestiv, kritisiert nicht nur Markus Beckedahl von Netzpolitik.org. Erweckt der Satz doch den Eindruck, man wolle ein Verbot von Kinderpornografie im Internet erreichen. In Wirklichkeit existiert ein solches Verbot bereits seit vielen Jahren. Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt hält die Kampagne deswegen für " pure Demagogie". Und das Blog Spiegelfechter sieht darin den Versuch eines " konservativen Roll-Backs".

Die Kritiker sehen in solchen Äußerungen ihre Meinung bestätigt, dass die Kampagne der Kinderhilfe irreführend ist, und versucht den Widerstand dagegen zu diffamieren. Immerhin postuliert der Verein: "Es darf kein Grundrecht auf Verbreitung kinder'pornographischer' Seiten geben." Dieses Grundrecht allerdings fordert niemand. Im Gegenteil. Organisationen wie beispielsweise CareChild und Mogis wollen unbedingt Kinderpornografie bekämpfen. Das aber, so glaubensie, ist mit den Plänen Ursula von der Leyens gar nicht möglich.

Die Kinderhilfe sieht das anders und sammelt weiter. Seit Jahren schon beteiligt sich der als unionsnah geltende Verein an der Debatte um Internetsperren. Unumstritten allerdings ist er nicht.

So gab es in der Zeitung Die Welt Berichte über dubiose Spenden- und Geschäftspraktiken. Außerdem erhoben demnach auch Datenschutzbeauftragte Vorwürfe gegen die Kinderhilfe. Die Weltberichtete auch von undurchsichtigen Geschäftsmodellen. Unter anderem soll es eine "enge Verquickung kommerzieller mit gemeinnützigen Zwecken" geben. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Georg Ehrmann, hat die Vorwürfe stets dementiert. Im Juni 2008 wurde der Verein aus dem Deutschen Spendenrat ausgeschlossen, und der Landesverband in Nordrhein-Westfalen verlor seine Gemeinnützigkeit.

Zumindest vielen Fußballclubs genügt das, um lieber nichts mit dessen Verein zu tun haben zu wollen. Die Kinderhilfe hatte angekündigt, vor allem vor Fußballstadien zu agitieren. Das aber finden einige Fußballfans nicht gut. Anhänger von Schalke 04 beispielsweise zeigten sich verärgert über die Aktion. Und über den E-Mail-Verteiler der Fanbeauftragten der oberen vier Ligen lief laut Netzpolitik der Aufruf: "Wir Fußballfans sollten uns dagegen wehren, derartig für diffamierende Regierungskampagnen missbraucht zu werden."

Im Familienministerium scheint man durchaus dankbar für die Unterstützung durch die Kinderhilfe und will nichts zu der Kritik an ihr sagen: "Jede Organisation, jeder Bürger ist aufgerufen, sich zu dieser Initiative zu verhalten. Wir begrüßen die bundesweite Debatte, kommentieren aber keine Einzelaktionen", sagte Pressereferent Hanno Schäfer ZEIT ONLINE. Von einer direkten Zusammenarbeit mit Ursula von der Leyen wollte er nichts wissen: Frau von der Leyen habe keinerlei Verbindung zur Deutschen Kinderhilfe.

Auch wenn es keine direkte Kooperation gibt, der Verein schmückt sich gern mit politischem Personal, beispielsweise mit Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Oder mit dem Deutschen Ärztetag. Dessen Beschluss, von der Leyens Gesetzentwurf zu unterstützen, kommentierte Kinderhilfe-Vorstand Ehrmann so: "Das Kampagnenziel, 100.000 Unterstützer für den Kampf gegen Kinder'pornographie' im Internet zu gewinnen, ist durch den Beschluss des Deutschen Ärztetages jetzt schon erreicht." Wie die Rechnung dazu aussieht, sagte er nicht.

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