Erstens, sagt Jason Isbell, könne man gar nicht gleichzeitig das Maul halten und singen. Und zweitens glaubten nicht mal diejenigen, die das von ihm fordern, ernsthaft daran, dass Musiker keine politischen Ansichten äußern sollten. „Mir wäre es lieber, wenn die Leute mir ins Gesicht sagen würden, was sie meinen, nämlich: ‚Ich finde, ich habe Recht und du nicht, also halt die Klappe', als wenn sie irgendeine Bullshit-Logik erfinden, laut der ich meine Meinung nicht sagen darf, weil ich Eintrittsgeld für meine Konzerte verlange."
Shut up and sing, dieses amerikanische Unwort hat Isbell schon öfter gehört. Er stammt aus dem erzkonservativen Alabama. Er ist nicht erzkonservativ. Bei seinen Auftritten verlassen Fans während „White Man's World", in dem Isbell sich und seine weißen Zuhörer für Amerikas tiefgreifenden Rassismus in Mithaftung nimmt, manchmal demonstrativ den Raum. Sie wollen den Isbell zurück, der über fetten G-Akkorden von Vätern und Söhnen singt, von Lynyrd-Skynyrd-Männern und hartem Südstaatenstolz, wie damals mit den Drive-By Truckers in Songs wie „Outfit". Nicht den, der reflektiert über Feminismus spricht und den Präsidenten angreift. Nicht den, der nach dem Tod von George Floyd auf Twitter schreibt: „Der amerikanische Rassismus gegen Schwarze ist real, und er ist systematisch."
Auf Isbells neuem Album „Reunions" findet sich dazu eine Klarstellung. „We don't take requests / We won't shut up and sing / Tell the truth enough / You find it rhymes with anything", bellt Isbell in „Be Afraid", einem wütenden Song über die Angst, die der Songwriter im Vorzimmer der öffentlichen Meinung spürt, wenn er denn ehrlich mit sich ist. „Immer wenn mir der Gedanke kommt: ‚Könnte sich das finanziell rächen, wenn ich diese Zeile singe?', weiß ich, dass ich sie singen muss", sagt Isbell. „Be afraid, be very afraid / But do it anyway",heißt es in dem Song. Auf seinem Twitterprofil hat Isbell kürzlich eine Botschaft angepinnt: „‚Du wirst einen Teil deines Publikums verlieren!'", zitiert er die Unbelehrbaren. Und antwortet: „Vielleicht, aber ich darf meine ganze Seele behalten." (...)
FAZ.net, 5. Juni 2020.
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