Die gute Nachricht zuerst: Im tieferen Sinne sind wir alle Idioten, so wahr es ist, dass unsere Fingerabdrücke nicht denen unserer Nachbarn gleichen. „Die Idiotie", erklärt Zoran Terzić am Anfang seiner Geistesgeschichte derselben, „bezeichnete einmal die Einzigartigkeit der Dinge und Wesen. Idion ist das Besondere, das Eigene. Ein Idiot ist jemand, der besondere Eigenschaften hat, die sich von den üblichen Eigenschaften unterscheiden." Die erste Lehre dieses mit philosophischen und popkulturellen Referenzen vollgestopften Buches besteht also darin, dass zwischen dem ursprünglichen Idioten - dem neutralen Idiosynkraten - und dem modernen Schimpfwort-Idioten eine erhebliche Distanz liegt.
So war der „idiotes" im antiken Athen nicht der Einfältige, sondern der zurückgezogene, für das Staatswesen unnütze Privatier - ein Egoist eher als ein Dummkopf, ein „nützlicher Idiot" schon gar nicht. Der folgte später, ebenso die titelgebende „Idiokratie". Während der Aufklärung wurde der Idiot sogar zum Kern der politisch mündigen Gesellschaft. Bei Rousseau etwa sei das buchstäblich eigenartige Merkmal des Idioten „gerade die Voraussetzung des Gesellschaftsvertrages, in dem Moral und Politik auf den Fundamenten eines als natürlich verstandenen, für sich bestehenden Subjekts fußen". Sein Echo lässt sich noch heute vernehmen, wenn man den absurd-individualistischen Imperativ „Sei ein Idiot" schlicht mit dem allgegenwärtigen „Sei du selbst" ersetzt. (...)
19. März 2020. Zum Original