Wie über Misogynie urteilen? Ein Fallbeispiel aus der norwegischen Literaturgeschichte: Agnar Mykles Romane "Liebe ist eine einsame Sache" und "Das Lied vom roten Rubin".
Agnar Mykles Romane "Liebe ist eine einsame Sache" und "Das Lied vom roten Rubin" lassen sich am besten im Zusammenhang mit zwei Büchern verstehen, deren Einfluss auf Mykles Schreiben über Sex nicht zu leugnen ist. 1955 erschien Vladmir Nabokovs "Lolita" über den pädophilen Literaten Humbert Humbert - und wurde in Frankreich und Großbritannien verboten. Fünf Jahre später fand in London ein aufsehenerregender Gerichtsprozess um D. H. Lawrence' "Lady Chatterley" statt - mit dem Ergebnis, dass der Roman über die Affären der Adligen Constance Chatterley, der nach seiner Veröffentlichung drei Jahrzehnte zuvor als obszön eingestuft worden war, in Großbritannien erstmals in unzensierter Fassung verlegt werden konnte.
Genau dazwischen, im Jahr 1957, stand in Oslo der Schriftsteller Agnar Mykle vor Gericht, um sich für das angeblich obszöne "Lied vom roten Rubin" zu verantworten. Darin stehen Sätze wie "Sie ist eine knospende Rose, aber eben eine richtige Rose (...), meine kleine Geliebte, fünfzehn Lenze alt!", und der 23-jährige Protagonist Ask Burlefot giert in Humbert-Humbert-Manier nach den "pfirsichrunden Kinderwangen" eines Mädchens, das er zwei Wochen lang stalkt.
Das Gericht erließ schließlich ein Verbot gegen den im Jahr zuvor erschienenen Roman. Norwegens Oberster Gerichtshof hob das Urteil ein paar Monate später zwar wieder auf, sodass das Buch sich zusammen mit "Liebe ist eine einsame Sache" (1954), dem ersten Teil des Ask-Burlefot-Epos, bis Ende des Jahrzehnts eine halbe Million Mal verkaufte. Von dem Prozess erholte sich Mykle jedoch nie ganz. Bis zu seinem Tod 1994 schrieb er nur noch wenig.
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Agnar Mykle: Liebe ist eine einsame Sache. Roman. Aus dem Norwegischen von Lothar Schneider. Ullstein Verlag, Berlin 2019. 768 Seiten, 28 Euro.
Agnar Mykle: Das Lied vom roten Rubin. Roman. Aus dem Norwegischen von Ulrich Sonnenberg. Ullstein Verlag, Berlin 2019. 448 Seiten, 26 Euro.
29. Januar 2020.
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