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Rezension

Joan Shelley: „Like the River Loves the Sea“

Zwei Stimmen, zauberhaft versetzt, umspielen einander und singen vom Echo verbrannter Lungen, das übers versengte Flachland hallt. Joan Shelleys Gesang ist so ruhig und unaufdringlich, dass er fast über die apokalyptische Landschaft hinwegtäuscht, die ihr Song „Coming Down for You“ zeichnet. Doch wer könnte bei den Zeilen „On the plains where the burn has gone / Scarred the locust and the oak“ nicht sofort an den Amazonas-Regenwald denken, der ungleichen Vegetation zum Trotz? Landes- und Kontinentalgrenzen sind auf „Like the River Loves the Sea“ (No Quarter) sowieso sekundär. Den großen amerikanischen Musikmetropolen hat die aus Kentucky stammende Songwriterin, deren Stimme mitunter an die ihres Idols Sandy Denny erinnert, sich immer widersetzt: Nashville sei zu zynisch, New York zu teuer. Ihr sechstes Soloalbum hat Shelley im isländischen Reykjavík aufgenommen. In traumschwerem Tempo und subtiler Naturbildsprache erzählt sie vom langsamen Schwinden liebgewonnener Dinge. „Sing me a song of brand new graves / Of how we are breaking“, heißt es in „Awake“, und man wünscht sich fast, dass es hier nur um Liebeskummer geht. Aber vielleicht kommt das darauf an, ob man in Island sitzt, in Deutschland oder in einem der Amerikas. „When it breaks down / Babe, let’s try / To see the beauty in all the fading“, singt Shelley. Die richtige Vanitas für diesen traurigen Sommer.

9. September 2019.