Connie Meyer

Freie Journalistin, München

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WM 2018: Sind Hooligans eine Gefahr?

Während der EM 2016 in Frankreich sorgten russische Hooligans für erschreckende Bilder. Nun, zwei Jahre später, lädt Russland die Welt zur Fußballweltmeisterschaft ein. Präsident Wladimir Putin hat sein Land auf eine sichere WM eingeschworen. Hat die Regierung die Lage im Griff?

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Marseille, während der EM 2016: Dutzende russische Hooligans prügeln sich im Stadion und auf den Straßen mit englischen Fußballfans.

Die internationale Empörung ist groß, besonders, als sich auch russische Offizielle wie der Vorsitzende des russischen Fußballbundes, Igor Lebedev, wohlwollend über die Krawalle äußern und die Hooligans loben ("Gut gemacht, Jungs").

Die Bilder der Gewalt von Marseille sind vielen Menschen bis heute im Gedächtnis geblieben. Und sie fragen sich: Wie groß ist die Gefahr von Hooligans bei dieser WM?

Der Autor und Fankultur-Experte Robert Claus hat sich intensiv mit der Hooligan-Szene beschäftigt. Zu dem Phänomen gebe es allerdings kaum verlässliche und repräsentative Studien, so Claus.

Die Szene hat in ihrer knapp 40-jährigen Geschichte einen Wandel mitgemacht. Das Klischee vom betrunkenen und übergewichtigen Hooligan, der sich spontan prügelt, treffe kaum noch zu.

"Der Hooliganismus hat sich professionalisiert", sagt Claus. Die Szene sei besser organisiert. Viele Hooligans achteten auf eine gesunde Lebensweise, trainierten regelmäßig Kampfsport. Manche verzichteten sogar auf Alkohol und Drogen, um "fit" für die Kämpfe zu sein.

"Es geht um Gewalt, um Macht", erklärt Claus. Hooligans sehen es als sportlichen Wettkampf an, in dem sie sich miteinander messen.

Die Rivalität zwischen den verschiedenen Gruppen wird betont - auch international. Die Attacke der russischen Schläger auf die Briten wurde "in der russischen Szene wie ein Sieg gefeiert", berichtet der Hooligan-Experte.

Rassismus im Stadion

Die Hooligan-Kultur fasste in Russland relativ spät Fuß. In den 1990er-Jahren, in der politischen und wirtschaftlichen Umbruchzeit nach dem Zerfall der Sowjetunion, bot die Szene Halt und Identität, was sie gerade für junge Männer attraktiv machte.

Häufig ist sie eng mit Neonazi-Kreisen verknüpft. "In Osteuropa sind mir Hooligan-Gruppen, die nicht rechts, nationalistisch oder rechtsextrem positioniert sind, gänzlich unbekannt", meint Claus. "Diese Männer sind es gewohnt, sich mit der Faust durchzusetzen, mit dem Recht des Stärkeren."

Oft erfahren die Hooligans Duldung oder sogar Rückhalt aus der russischen Politik. Dem Fußballverband wird immer wieder vorgeworfen, Rassismus und Homophobie im Stadion nicht streng genug zu ahnden.

Erst im März gab es bei einem Freundschaftsspiel in St. Petersburg rassistische Gesänge gegen dunkelhäutige Spieler der französischen Nationalmannschaft. Die FIFA erhob daraufhin eine Geldstrafe gegen den russischen Fußballverband.

Russland wappnet sich

Doch Russland weiß selbst, dass während der WM Kameras aus der ganzen Welt auf das Land gerichtet sein werden.

Krawalle wie jene in Marseille wollen Wladimir Putin und die russische Regierung unbedingt vermeiden. Die Gesetze wurden vor der WM noch einmal verschärft, zudem greift die Polizei nun härter durch.

Besonders deutlich wurde das neue Vorgehen im Fall Alexander Schprygin. Der damalige Vorsitzende des Dachvereins russischer Fußballfans provozierte bei der EM in Frankreich, als er nach seiner Ausweisung direkt wieder einreiste.

Er war von den französischen Behörden als Drahtzieher der Hooligan-Attacke in Marseille verdächtigt worden. Schprygin bestreitet das.

Nach der EM wurde seine Vereinigung in Russland aufgelöst und er selbst vor laufenden Kameras auf der Toilette eines Moskauer Hotels festgenommen.

Bei einem Interview mit "VICE" bestätigt Schprygin, dass die Polizei in Russland mittlerweile härter durchgreife: "Keine Ausschreitungen im Stadion bleiben mittlerweile unbestraft, das ist ganz anders als früher."

"Datscha oder Sibirien!"

Angesprochen auf Sicherheitsbedenken ausländischer Fans meint er an gleicher Stelle: "Russland ist für Touristen das sicherste Land der Welt und das Sicherheitsniveau wird während des Turniers seinesgleichen suchen." Man müsse sich keine Sorgen machen.

Bekannte russische Hooligans sollen von den Behörden Hausbesuche erhalten haben. "Sie haben gesagt: Datscha oder Sibirien!", zitiert das Fußballmagazin "11 Freunde" in seiner aktuellen Ausgabe einen russischen Hooligan.

Wer sich also während der WM keinen Urlaub nimmt und unangenehm auffällt, dem droht das Arbeitslager.

Bisher hat Russland alle Bewährungsproben auch bestanden: Weder bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 noch beim Confederations Cup, der "Mini-WM" und Generalprobe im vergangenen Sommer, wurden Vorfälle bekannt.

Der gläserne Fan

In den Spielstätten werden strenge Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Herzstück ist die "Fan-ID", die jeder Besucher braucht, um ins Stadion zu gelangen.

Zudem werden an den Stadien und anderen WM-Anlagen Gesichtserkennungssysteme eingesetzt. Wer auf Russlands "schwarzer Liste" steht, erhält keine Fan-ID. Laut russischen Medien sind das 467 bekannte "Rowdys".

Inwiefern es auch schwarze Listen für ausländische Hooligans gibt, ist unklar. "Der Austausch internationaler Sicherheitsbehörden beim Thema Hooligans funktioniert auch innerhalb der EU oft nicht so gut", meint Robert Claus.

So schlug die Warnung des DFB vor deutschen Hooligans beim Länderspiel in Prag im September 2017 ins Leere. Zudem sei der Austausch von Daten mit Russland aufgrund des Datenschutzes heikel.

Ob es bei der WM friedlich bleibt, kann auch der Hooligan-Experte nicht vorhersehen. Immerhin sehe der Spielplan bisher kein vergleichbares Duell wie zwischen England und Russland vor, das schon in Frankreich als Risiko-Spiel galt.

Aber: "Hooligans sind eine international gut vernetzte Szene", sagt Claus. Für viele Gruppen sei Russland sogar besonders interessant.

"Aufgrund des Zweiten Weltkriegs ist es beispielsweise für deutsche Neonazis spannend, sich in Russland mit NS-Devotionalien zu zeigen", meint Claus.

Auch denkbar sind gewalttätige Aufeinandertreffen ohne starke Bilder und Aufmerksamkeit der Medien, etwa bei vorab abgesprochenen Treffen auf freien Wiesen, in Parkanlagen oder Waldstücken.

Claus kann sich zudem vorstellen, dass kleine "Hooligan-Trupps" von drei bis vier Männern in den Straßen gezielt schwarze Fans oder anderer Nationalitäten ansprechen und möglicherweise attackieren. So erging es bereits deutschen Fans bei Champions-League-Spielen in St. Petersburg.

Sicherheitsguide für WM-Besucher

Das Netzwerk "FARE" ("Football against Racism in Europe") hat extra einen Guide mit Sicherheitstipps für WM-Besucher, insbesondere ethnische Minderheiten und LGBT-Personen (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender, Anm. d. Red.), herausgegeben und eine eigene WhatsApp-Hotline eingerichtet.

Für Claus ist der russische Aktionismus vor der WM nicht genug, um die Gewalt durch Hooligans langfristig einzudämmen. "Russland unternimmt vieles, was man mit Repression tun kann", sagt der Fankultur-Experte.

Aber Prävention, beispielsweise in Form von pädagogischer Arbeit oder Faninitiativen gegen Rassismus, gebe es in Russland nur sehr wenig.

Aber auch Deutschland hat im Kampf gegen Hooligans noch Nachholbedarf. Neben dem Fußball gehöre auch der Kampfsport zu den Szenen, in denen Hooligans hauptsächlich rekrutiert würden, berichtet Claus.

Während der Fußball in Deutschland allerdings stark in der Öffentlichkeit stehe und auch genug Geld für Präventivprogramme abwerfen könne, fehle beim Kampfsport oft noch das Bewusstsein für das Thema.

Robert Claus arbeitet bei der "Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit" (KoFaS gGmbH) in Hannover.

Zudem ist der gebürtige Rostocker freiberuflicher Autor und Moderator. Im vergangenen Jahr erschien sein Buch "Hooligans - Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik".

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