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Den Main flussabwärts Richtung Santiago

Neue Perspektiven eröffnen sich allen, die sich auf den Pilgerweg machen, wie hier am Ludwig-Emmel-Weg in Bergen-Enkheim. © Michael Schick


Inmitten von Wiesen und Feldern steht die mit Patina überzogene Tafel. Sie markiert nicht nur das „Entrée" zur Hohen Straße und Stationen der „Via Regia". Dort, am nordöstlichen Ortsrand Bergen-Enkheims, vielmehr Bergens, führt neben den ehemaligen Handelsstraßen auch eine Route des Jakobsweges entlang. Aus Fulda und Gelnhausen kommend, schlängelt sich der Pilger:innenpfad über die Hohe Straße nach Frankfurt und rund 17 Kilometer quer durch die ganze Stadt. Auf der rostigen Tafel ist am äußersten Rand auch die Endstation aller europäischen Jakobswegrouten verzeichnet: Santiago de Compostela - wo sich das Grab des Apostels Jakobus befinden soll und womit sicher die meisten den Jakobsweg in Verbindung bringen.

Dass auch Bergen zum Jakobsweg gehört, zeigt sich gleich am Ortsrand an den Pfosten von Verkehrsschildern. Dort klebt neben anderen Wegmarkierungen, etwa dem Grüngürtel-Rundweg oder Eintracht-Stickern, die „Jakobsmuschel auf blauem Grund". Mit ihrer strahlenartigen Form erinnert sie an eine wahlweise auf- oder untergehende Sonne. „Das Schloss der Muschel, wo die Strahlen zusammenlaufen, sollte Richtung Santiago zeigen", berichtet Karl-Heinz Kohn, von der „Hessischen St. Jakobusgesellschaft" der mit einer Handvoll Jakobsweg-Paten und -Patinnen ein- bis zweimal pro Jahr prüft, ob die Symbole noch vorhanden sind, und nachklebt oder neue Plastikschilder aufhängt, wenn welche fehlen. Auch hinter Sträuchern zugewucherte Markierungen werden von den Ehrenamtlichen freigeschnitten. „Alle 500 Meter sollte ein Versicherungszeichen zu sehen sein", sagt Kohn.

Weiter dem Schloss der Muschel hinterher geht es einen schmalen Pfad entlang mit lohnenswerten Ausblicken ins Rhein-Main-Gebiet. Auch die Frankfurter Bankentürme sind zu sehen. Der Pfad mündet in eine wenig befahrene Straße, an der hinter der ehemaligen Stadtmauer hübsch am Hang die barocke evangelische Laurentiuskirche steht. Die Markt- und die vielbefahrene Vilbeler Landstraße führen dann zum Kirchbergweg. Dort ist keine gelbe Muschel in Sicht, was für etwas Irritation sorgt. Es scheint aber die einzige Möglichkeit zu sein, dem Autolärm zu entrinnen. Also geht es auf die ehemalige Straßenbahnstrecke, deren Schienen nur noch am oberen Wendehammer zu sehen sind. Leichtes Gefälle erleichtert den Weg bergab, vorbei an Kleingärten mit noch immer schönen Aussichten.

Über ungekannte Schleichwege durch Seckbach und unter der hohen Brücke der A661 hindurch führen die Muschelzeichen am Bornheimer Hang vorbei und durch den Ostpark. Neue Perspektiven auf die eigene Stadt ergeben sich durch diese ungewohnte Streckenführung. Hinter der EZB ist mit dem Mainufer wieder gewohntes Land in Sicht. Flussabwärts ergibt sich der nächste Stopp an der katholischen Leonhardskirche. Mit ihren mehr als 800 Jahren zählt sie zu Frankfurts ältesten Kirchen. Trotz Covid-19-Pandemie ist sie sogar geöffnet. Davor steht ein Pilger:innendenkmal aus Bronze: Drei schmale Figuren mit Hüten, Stäben und Muscheln um die Hälse. Es ist ein Werk der Frankfurter Künstlerin Franziska Lenz-Gerharz aus dem Jahr 1989 und soll an die Wandernden erinnern, die schon im Mittelalter auf diesem Pilger:innenpfad vorbeigekommen sind. Denn als „Stationskirche" bot die Leonhardskirche Unterkunft für müde Durchreisende.

Uferwechsel: „Auf der Alten Brücke entscheidet sich der Pilger, ob er nach Santiago, Rom oder Jerusalem will", sagt Karl-Heinz Kohn. Wer nach Santiago de Compostela möchte, sollte sich weiter flußabwärts halten. Am Niederräder Licht- und Luftbad vorbei steht rund zwei Kilometer später an der Schwanheimer Brücke die nächste Flussquerung an. Das Höchster Schloss im Blick ist die nächste Pilger:innenstation die karolingische Justinuskirche. Sie ist das älteste Bauwerk Frankfurts und wurde in den Jahren 830 bis 850 erbaut. Letzter Halt vor der Frankfurter Stadtgrenze ist Zeilsheim. Dort lohnt sich ein Abstecher in die Kolonie, wo Anfang des 20. Jahrhunderts eine Siedlung nach dem Vorbild englischer Gartenstädte entstanden ist. Über Mainz setzt sich der Jakobsweg dann weiter fort bis nach Trier oder Worms und, circa 2000 Kilometer entfernt, auch bis nach Santiago de Compostela.


JAKOBSWEG IN FRANKFURT

Bei „Punctum" , einer Info- und Beratungsstelle der Katholischen Stadtkirche sowie des Bistums Limburg, Liebfrauenstraße 2 in Frankfurt, gibt es neben Infomaterial zum Jakobsweg auch Karten zur Bonifatiusroute, zum Elisabethenpfad und zum Lutherweg. Ein Pilgerpass ist dort gegen eine Spende von sechs Euro auch erhältlich. Geöffnet hat der Pavillon an der Liebfrauenkirche dienstags von 10 bis 14 Uhr, mittwochs bis freitags von 10 bis 18 Uhr sowie samstags von 10 bis 16 Uhr. Telefon: 069 / 1310467

Weitere Infos bietet die hessische St. Jakobusgesellschaft: https://jakobus-hessen.de Eine gute Übersicht an Jakobswegrouten deutschlandweit gibt es hier: http://www.deutsche-jakobswege.de/wege-uebersicht.html Zum Entrée der Hohen Straße gelangt man per U-Bahn-Linie 4 bis Endstation „Enkheim" und mit dem Bus M43 bis zum letzten Halt „Bergen Ost". Von dort sind es nur wenige Gehminuten zur Hohen Straße, wo die Jakobswegroute von Fulda durch Frankfurt und über Mainz nach Trier oder Worms führt. Zeilsheim ist per S-Bahn zu erreichen. cd


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