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Negroni: Ein echter Florentiner

Ach, Italien! Es gibt kaum einen schöneren Seufzer, um unserer ewigen Sehnsucht nach mehr Lebensfreude und Genuss Ausdruck zu verleihen. Unsere Sommerkolumne nimmt Sie mit auf die Reise.

Um Ferragosto, den 15. August, komme ich mir in italienischen Städten immer ein bisschen blöd vor. Es ist einer der wichtigsten Feiertage des Jahres, Mariä Himmelfahrt. An den Geschäften wird das sympathische Schild " Torno subito", bin gleich zurück, durch das entschlossenere " Chiuso per Ferie" ersetzt: Alle sind im Urlaub. Ein "Du etwa nicht?" schwingt mit, wenn man vor einem kleinen, verriegelten Laden steht und nur schnell selbst gemachte Pasta kaufen will. Wer Ferragosto nicht mit Freunden im Wasser planscht, hat irgendetwas falsch gemacht. An keinem anderen Tag ist in mehr Sommer.

Florenz, Piazza della Signoria, ein paar Tage vor Ferragosto: Tauben, Kinderwagen, Kutschen mit Menschen mit Hüten drin, schnaubende Pferde, Selfies, dichtes Gedränge, große Hitze. Zu den Uffizien kommt man kaum und die Statue von David von Michelangelo schaut auch so, als wäre sie lieber am Meer. Im Radio stellen sie die immer gleiche Frage an die Zuhörerinnen: Wo seid ihr gerade, mare o montagna? Am Meer oder in den Bergen? Weder noch. Ich stehe hier, mitten in , weil ich dachte, das sei im August eine gute Idee. Così così, geht so, lautet das Zwischenfazit.

Auf der Piazza, dem Palazzo Vecchio gegenüber, liegt das Rivoire, eine 1872 eröffnete Bar und Restaurant, ursprünglich eine Chocolaterie. Die Gäste sitzen draußen, auf pinken Stühlen, unter Sonnenschirmen. Es ist einer dieser Orte, vor denen Einheimische warnen, weil der Espresso 4,50 Euro kostet. Dafür sitzt man auf der Piazza, das ist eben der Deal. Und hier soll der Negroni erfunden worden sein, so steht es zumindest drinnen auf einem goldschimmernden Schild.

Ein Cocktail mit Geschichte

Der Negroni ist einfach zu machen: Eiswürfel, zu gleichen Teilen Gin, roter Wertmut, und er verklebt den Mund nicht so süß, wie zum Beispiel ein Aperol Spritz. Außerdem ist er ein Stück Florentiner Geschichte. Ich frage bei Rivoires Head Bartender Elisa Randi nach und sie setzt sich zu mir, drinnen, wo es kühl ist und sonst niemand sitzt und erzählt sofort die Geschichte des Conte Camillo Negroni.

Der Florentiner Graf sei gerne ins Casoni gegangen, um dort einen Americano zu trinken, einen Aperitivcocktail aus Campari und Wermut. Eines Tages im Jahr 1919 - vielleicht hatte er einen schlechten Tag oder einen besonders guten, das ist nicht überliefert - war ihm der Drink zu schwach. Der Bartender fügte Gin hinzu. Andere Gäste bestellten, was der Conte trank. Er soll übrigens viel davon getrunken haben. Luca Picchi, ein ehemaliger Kollege von Elisa Randi, habe dies und mehr herausgefunden und darüber ein Buch geschrieben, auch mit Unterstützung von Erben des Grafen, die eines Tages mit privaten Dokumenten im Rivoire aufgetaucht seien.

Nun ist es aber so, dass das Casoni, das in der Via de' Tornabuoni lag, später Caffè Giacosa hieß, mittlerweile schließen musste und eine Modeboutique dort einzog. An der Straßenecke erinnert, wie ich später sehen werde, seit dem hundertjährigen Jubiläum ein Schild an den Grafen und seinen Drink. Da sowohl das Giacosa, als auch das Rivoire einst derselben Familie gehörten, hängt das andere goldene Schild nun eben im Rivoire. Über dem Tresen leuchtet außerdem in pinken Neonröhren: "House of Negroni", was ziemlich schick aussieht, aber erfunden wurde er hier eben doch nicht. Gleich mehrere Bars in Florenz behaupten übrigens, sie hätten den echten und besten Negroni der Stadt.

Was soll's? Elisa Randi sagt, das Schönste am Negroni sei, dass man ihn nachmittags oder am frühen Abend, als Aperitivo, oder auch als After-Dinner-Drink, zu sich nehmen kann. Also eigentlich immer, nur nicht zum Frühstück. Und er lasse sich gut variieren. Allein auf der Karte im Rivoire gibt es fünf verschiedene Interpretationen. Randi serviert den klassischen Negroni mit ein paar Spritzern Bergamotte, er kostet 15 Euro und schmeckt natürlich fantastisch. Zum Abschied gibt es noch eine hausgemachte Negronipraline und man ahnt langsam, wie sich der Graf damals gefühlt haben muss.

Die Sonne senkt sich und der Arno schimmert jetzt auch fast wie ein Negroni. Mal ehrlich, es gibt ja immer jemanden, der irgendetwas nicht mag, aber ich frage mich wirklich ernsthaft: Gibt es Menschen, die Florenz nicht mögen?

Auf der anderen Seite des Flusses, keine 20 Gehminuten vom Zentrum entfernt, liegt an einer Straßenecke noch eine Bar, die treffenderweise "Eckbar" heißt: Bar d'Angolo. Rechts und links rauschen die motorini und Busse vorbei. Auf dem Platz vor dem Tor parken Autos nach dem Spielprinzip von Tetris, die verbleibenden Lücken füllend, bis ein Fahrer erkennt, dass er da wirklich nicht rauskommen kann und zu hupen beginnt.

Der Negroni ist dort in zehn Sekunden fertig, dunkler, stärker als der im Rivoire. Er kostet fünf Euro. Die Bar ist voll und so wird es den Abend bleiben. Die Besitzer tanzen zu Rockmusik hinterm Tresen, junge Menschen kommen vorbei und rufen hinein: " Ci vediamo dopo", wir sehen uns später. Ich bin erleichtert, es sind doch nicht alle am Meer, das gibt es in Florenz nämlich nicht - ein Minuspunkt. Die meist befahrene Straße, man sieht und hört es aus der Bar, führt dennoch stadtauswärts, Richtung Meer. Buon Ferragosto!

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