1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Wassermelone: Grün, weiß, rot ist das Obst des Sommers

Ach, Italien! Es gibt kaum einen schöneren Seufzer, um unserer ewigen Sehnsucht nach mehr Lebensfreude und Genuss Ausdruck zu verleihen. Unsere Sommerkolumne nimmt Sie mit auf die Reise.

Der kleine Lastwagen war von der piazza abgebogen und holperte auf uns zu. Zum Haus meiner nonni, der Großeltern, in einem kleinen Dorf in Apulien. Meine Schwester und ich hörten ihn schon von Weitem durch die Schlaglöcher rumpeln, früh morgens, wenn wir uns für den Tag am Meer fertig machten und gerade die Taucherbrille zum passenden Schnorchel suchten. Auf dem Fahrerdach des Lastwagens war ein Megafon montiert, daraus schepperte es mit zunehmender Lautstärke: "Mellllloonnni". Wer Melonen wollte, musste jetzt aufspringen, um den Wagen anzuhalten.

Ein paar Sekunden später stand mein nonno, ein kleiner, dünner Mann, schon draußen vor dem Haus und verhandelte mit dem Fahrer. Wie viel willst du für das Kilo? Auf der Ladefläche lagen ein paar gelbe Melonen und unzählige, riesige, ovale angurie, Wassermelonen, die er mit dem Verkäufer inspizierte.

Manche hob mein nonno an, andere kullerte er hin und her und klopfte auf ihnen herum. Er untersuchte sie und kaufte immer die besten. Selbst die Melonen, die von außen ramponiert aussahen, komisch verformt, platt gelegen und mit weißen Stellen, schmeckten, wenn er sie ausgesucht hatte, besser als die äußerlich makellosen, die wir ohne ihn kauften. Vielleicht auch nur, weil es dann nicht mehr die Melonen von nonno waren. Er hob sie auf die Schultern und verschwand Richtung Garage. Wir sahen staunend zu. Einige Sommer später packten wir mit an.

Heute sitzen wir hier in einem Restaurant am Meer, auf Plastikstühlen, vor völlig verschmierten Papiertischdecken, leeren Tellern und nach dem Essen so voll, dass eigentlich kein dolce mehr reinpasst. Der Kellner fragt: "Anguria?" als wäre Wassermelone kein Essen. "È acqua", heißt es dann, ist nur Wasser. Va bene. Auf einem kleinen Teller kommt eine drei Finger breite Scheibe, auf ein Messer gespießt, kalt, zu kalt fast, im Mund dann doch ein dolce - der perfekte Nachtisch.

Die Wassermelone gehört zum Sommer in , wie die auf der Rückfahrt vom Meer diskutierte Frage, wer als Erstes duschen darf (meist meine Schwester). Sogar die Scheiben sind grün, weiß und rot. Die Farben Italiens, es muss so etwas wie das offizielle Obst des Sommers sein. Bis heute überzeugen mich keine Minz-Feta-Variationen oder sonstige Rezeptspielereien rund um die Frucht. Die Wassermelone steht für sich.

Heute empfinde ich sie mit ihren feinen dunkelgrünen Streifen als elegant. Fast rätselhaft erschien sie mir als Kind. Etwa das Klopfen. Mein Vater, ein großer Wassermelonenklopfer, führte die Tradition von meinem nonno im Supermarkt fort. Ganz nah kam dann sein Ohr an die Melone heran, während er seinen Zeigefinger vorsichtig, als handele es sich bei der Frucht um ein Dinosaurierei, auf die Schale schnippte und lauschte. Als könne sie ihm zuflüstern, wie süß sie sei. Irgendwann nickte er und hob sie in den noch leeren Einkaufswagen.

Nonno trug sie früher in einen an die Garage angrenzenden Vorratsraum, wo auch die Flaschen der selbst gemachten salsa, der Tomatensauce, lagerten. Viel zu viele Wassermelonen befanden sich dort. Das dachten wir zunächst immer. Aber wir hatten einen Sommer Zeit, sie zu essen. Und meistens aßen wir sie doch alle auf. Scheiben morgens, Scheiben mittags, Scheiben abends. Die angebrochene Wassermelone kühlten wir, weil sie so viel Platz wegnahm, in einem zweiten Kühlschrank. Oft wurde ich geschickt, um sie zu holen. Niemand aus meiner Familie mochte die anguria so gern wie ich. Es gab Abende, da fühlte ich mich nach der fünften Scheibe selbst wie eine.

Ich legte sie auf den Tisch, wir schnitten die Enden ab und die Melone an. Sie brach knirschend auf. Rot glänzend, duftend. Der Länge nach wurden Scheiben geschnitten und an alle verteilt. Mit einem Messer pickten wir die Kerne raus. Die, die wir nicht fanden, spuckten wir auf die Teller: Pfuh. Pfuh. Pfuh. An all das denke ich kurz im Restaurant hier am Meer, spucke die Kerne aber auf die Gabel.

Zum Original