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Frankreichs Firmen nutzen neue Regeln

Nur wenige Wochen nach Inkrafttreten der neuen Arbeitsmarktreformen aus der Feder von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron machen erste Unternehmen in Frankreich von den gelockerten Regeln Gebrauch. Die Ankündigung des größten französischen Autoherstellers, sich von 1.300 Beschäftigten zu trennen, war ein Paukenschlag, auf den Medienberichten zufolge noch viele weitere folgen werden.

„Unternehmer werden alles Mögliche unter dem neuen Recht versuchen, um ihre Flexibilität zu erhöhen und Arbeitnehmer zu entlassen", ist Jean-Paul Fitoussi, Wirtschaftsprofessor am Institut für politische Studien in Paris, überzeugt. „Im Moment ist es Flexibilität und keine Sicherheit", warnte Fitoussi gegenüber der „New York Times" (Dienstag-Ausgabe).


  Regierung will Arbeitslosigkeit senken


Die Änderungen des umfangreichen Arbeitsgesetzbuches (Code du Travail) sind Teil von Macrons Plänen, Frankreichs Wirtschaft in Richtung eines liberalisierten Wirtschaftsmodells bringen soll. Bei dem Arbeitsmarktgesetz drückte Macron aufs Tempo. Dass er bei der umstrittenen Reform auf Verordnungen zurückgriff und damit den üblichen parlamentarischen Weg umging, rief Kritiker auf den Plan. Hunderttausende Menschen gingen Ende letzten Jahres auf die Straße. Angesichts seiner Parlamentsmehrheit gab es keinen Zweifel daran, dass die Verordnungen ratifiziert werden könne.


Macrons erste große Reform soll helfen, die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Die französische Regierung erhofft sich, dass Unternehmen bei einem flexibleren Arbeitsrecht eher neue Mitarbeiter einstellen. Die Zahl der Arbeitslosen liegt in Frankreich seit Langem bei über neun Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei knapp 23 Prozent.


  Stellenabbau ohne Sozialplan


Der gelockerte Kündigungsschutz ermöglicht Unternehmen einen Stellenabbau, ohne einen Sozialplan vereinbaren zu müssen. Nach dem neuen Gesetz können Unternehmen Arbeitsplätze abbauen, indem sie freiwillige Abfindungspakete anbieten, anstatt einen unternehmensweiten Umstrukturierungsplan aufzustellen, der von dem Unternehmen den Nachweis verlangt, dass es finanzielle Schwierigkeiten hat.

Auch wurden Entschädigungen für ungerechtfertigte Kündigungen begrenzt, und internationale Konzerne können Kündigungen aussprechen, wenn sie Schwierigkeiten in Frankreich haben - bisher war die Lage des Gesamtkonzerns ausschlaggebend. Einige Gewerkschaften befürchten nun, dass Macrons Reformen den hart erkämpften Arbeitnehmerschutz in Frankreich untergraben werden.


Für Kritik sorgt insbesondere, dass andere Regelungen, die darauf abzielen sollen, die Auswirkung der Reform abzufedern, nicht umgesetzt worden sind. Dabei geht es etwa um die Verbesserung von privaten und öffentlichen Umschulungsprogrammen für Arbeitssuchende, in die Macron 15 Milliarden Euro investieren will. Die Gesetzgeber sollen Medienberichten zufolge nicht vor April darüber entscheiden. Bis die Änderungen Früchte tragen, könnten dann Monate bis Jahre vergehen.

Auch Pimkie und Carrefour streichen Stellen


Der Autohersteller PSA ist eines der ersten Unternehmen, welche die Regelung nutzen. Auch die Bekleidungskette Pimkie kündigte kürzlich an, in Frankreich nach den neuen Regeln mehr als 200 Stellen abbauen zu wollen. Zuletzt gab der französische Supermarktkonzern Carrefour am Dienstag bekannt, 2.400 Stellen in der Frankreichzentrale zu streichen.


Was die 1.300 Mitarbeiter bei PSA betrifft, so sollen sie das Unternehmen auf freiwilliger Basis verlassen, wie der Opel-Mutterkonzern am Dienstag bekanntgab. Gleichzeitig will PSA 2018 mehr als 1.300 Mitarbeiter mit unbefristeten Verträgen neu einstellen, mindestens die Hälfte davon junge Nachwuchskräfte. Zudem sollen 2.000 junge Menschen Praktikums- oder Ausbildungsplätze bekommen, rund 1.000 Mitarbeiter sollen intern umgeschult werden.


  Gewerkschaften fürchten Präzedenzfall


Fünf von sechs Gewerkschaften stimmten der Entscheidung des Opel-Mutterkonzerns zu. Nur die Gewerkschaft CGT weigerte sich. Sie fürchtet einen Präzedenzfall, der andere Unternehmen motivieren könnte, Arbeitnehmer durch günstigere Arbeitskräfte zu ersetzen. „Für die Unternehmen bedeutet die Regelung, dass sie die hochbezahlten Dienstältesten loswerden und gleichzeitig jüngere Arbeiter mit prekären Verträgen rekrutieren können", sagte Philippe Martinez, Generalsekretär des französischen Gewerkschaftsbunds (CGT) laut „New York Times".


Andere Gewerkschaften wie die CFDT äußerten sich positiver: Es sei wichtig, Veränderungen des Unternehmens vorausschauend zu begleiten. Sie bezeichneten die Entscheidung von PSA „nicht als Gefahr für Mitarbeiter", sondern als Chance für „die, die es wollen". Ähnliche Regelungen habe es auch schon in den vergangenen Jahren unter der alten Rechtslage gegeben, so die CFDT. Auch sie kritisierte aber, dass PSA nicht mehr neue Festanstellungen in der Produktion plane - dort arbeiteten derzeit rund 8.000 Leiharbeiter.


Kritik kam auch von der geschlagenen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen: „Das Arbeitsrechtgesetz erlaubt großen Firmen, Entlassungen schneller und leichter auszusprechen", schrieb Le Pen, Parteivorsitzende des rechtsextremen Front National (FN) auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. „Die menschlichen Dramen werden sich vervielfachen".


Lockerungen soll Investoren locken


Die neuen Regelungen könnten Frankreichs schlechtes Image als Wirtschaftsstandort, das es seinen komplexen Arbeitsgesetzregeln zu verdanken hat, verbessern, so die „New York Times". Das zeige sich schon jetzt an dem gestiegenen Interesse ausländischer Investoren.


Der Onlinehandelsgigant Amazon soll in diesem Jahr ein neues Verteilungszentrum im Süden Frankreich planen und dadurch 1.000 Jobs schaffen. Die US-Riesen Google und Facebook gaben vor wenigen Tagen bekannt, in die Entwicklung von künstlicher Intelligenz in Frankreich investieren zu wollen. Auch der japanische Autohersteller Toyota kündigte Investitionen an. 300 Millionen Euro sollen in eine Fabrik im Norden Frankreichs fließen und bis zu 700 Stellen bis 2020 zu schaffen.

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