1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

China weitet staatliche Überwachung aus

Mit fast einer Milliarde aktiver Nutzer ist WeChat die meistgenutzte Chat- und Bezahlapplikation in China. Als Allzweckplattform hat sie für viele Chinesen quasi das Internet ersetzt - gleichzeitig ist sie auch wichtiges Mittel zur staatlichen Kontrolle und Zensur. In Zukunft soll die App zum Identitätsausweis werden und kann dann noch mehr über ihre Nutzer preisgeben.

Den Anfang machte der chinesische Stadtteil Nansha in der 14-Millionen-Metropole Guangzhou im Süden des Landes. Dort hat WeChat vergangenen Dezember virtuelle ID-Karten verteilt, die physische Personalausweise ersetzen sollen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua. An dem Projekt ist auch eine Forschungseinrichtung des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit beteiligt, wie das US-amerikanische Techportal The Verge schreibt.


In ganz China ausgeweitet


„Dieses Programm integriert WeChat weiter in den Alltag der Menschen", sagte Zhang Yi, Chef der chinesischen Technologieberatung iiMedia, kürzlich gegenüber der „Financial Times". Mit den ID-Karten sollen Nutzer etwa Behördengänge digital erledigen können. Für eine limitierte Version des digitalen Personalausweises müssen sie ihr Gesicht scannen lassen. Das System soll schrittweise auf ganz China ausgeweitet werden.


Mutterfirma will global expandieren


Geht es nach dem Mutterkonzern und chinesischen Internetunternehmen Tencent, soll die Applikation alle anderen Internetangebote ersetzen. Für viele chinesische Nutzer macht sie das bereits. Möglich ist das durch die App-in-App-Funktion der Plattform, auf der externe Anbieter ihre Anwendungen als „Miniprogramme" integrieren können. Schon jetzt sollen rund 580.000 solcher Programme von Drittanbietern installiert werden können.


Zensur und Subventionen


Rund 960 Millionen Chinesen nutzen WeChat im Monat, etwa 38 Milliarden Nachrichten werden täglich verschickt. Der Aufstieg des ursprünglich reinen Messenger-Dienstes (chinesisch Weixin, „kleine Nachricht") wurde durch die Zensur der Regierung - und Blockade ausländischer Anbieter wie Twitter und Facebook - sowie staatliche Subventionen und Integration von Regierungsbehörden möglich.

Tencent gehört zu den wertvollsten chinesischen Unternehmen. Der chinesische Internetriese will sein Service auch global expandieren. Schon jetzt gibt es WeChat auch auf Englisch, Deutsch und Französisch. Auf dem internationalen Markt dürfte der mangelnde Datenschutz das größte Problem werden. Auch wenn ausländische Nutzer keine chinesischen Sanktionen fürchten müssen: Wer WeChat nutzt, bei dem liest Chinas Führung mit - auch international.


Handel revolutioniert


In der Volksrepublik ist WeChat allgegenwärtig und für viele Chinesen nicht mehr aus ihrem Alltag wegzudenken: Mit ihr können sie nicht nur telefonieren, chatten oder Kurznachrichten versenden, sondern auch einkaufen, Reisen oder Restaurants buchen, Taxis bestellen, Fahrräder mieten oder bargeldlos bezahlen. Das hat den kompletten Handel in China revolutioniert. Mittlerweile sind in unzähligen Geschäften, Restaurants und sogar bei Obsthändlern auf der Straße QR-Codes (englisch Quick Response, „schnelle Antwort") zu finden, über die sich die Einkäufe via Smartphone mobil bezahlen lassen.


Haft für „Dampfbrötchen Xi"-Sager


Dass die App aufgrund ihrer vielen Funktionen riesige private Datenmengen generiert, die zur Überwachung genutzt werden können, ist kein Geheimnis - im Gegenteil: Tencent macht keinen Hehl daraus, dass chinesische Sicherheitsbehörden jederzeit Zugriff auf die Daten ihrer Nutzer haben können, wie ein Blick in die offizielle Datenschutzerklärung der App zeigt. Dort ist seit September 2017 die Weitergabe nahezu aller Informationen an die Behörden angeführt. Wenn Chinas Kommunistische Partei also von Tencent wissen will, was die App-Nutzer in China - oder im Ausland - treiben, müssen sie nur danach verlangen.


Da sich jeder WeChat-Nutzer mit seinem Namen und Bankdaten registrieren muss, kann er für seine Inhalte auch verantwortlich gemacht werden. Zahlreiche Nutzer sitzen in China im Gefängnis, weil sie sich aus Sicht der kommunistischen Führung politisch nicht korrekt geäußert haben. Letztes Jahr wurde ein Mann zu zwei Jahren Haft verurteilt, nachdem er Präsident Xi Jinping in privaten Nachrichten, die er an Freunde auf WeChat verschickt hatte, als „Dampfbrötchen Xi" bezeichnet hatte, berichtete die „Financial Times".


Chinesen werden sensibler


Dass sich in China trotz Zensur und Überwachung kein Widerstand regt, liegt nicht allein am Staatsapparat, der keine Kritik zulässt. Chinas Nutzer gelten als eher unbedarft, sorgen sich kaum um den Schutz ihrer Privatsphäre, so die geläufige Meinung.

„In China ist es kulturell tief verwurzelt, dass die Regierung Zugang zu deinem Leben hat", sagte Matt Wright von der US-Hacker-Community AngelHack gegenüber The Verve. Die Erwartungshaltung an die Privatsphäre ist gering, „weil man keine Privatsphäre hat", so Willy Shih, Professor an der Harvard Business School, zum US-Techmagazin.

Es gibt aber Anzeichen dafür, dass die Verbraucher in China zunehmend sensibler werden für mögliche Folgen des staatlichen Datenzugriffs, schrieb der „Economist" kürzlich. Einer der Gründe sei der Onlinebetrug und Datendiebstahl, der in China ein großes Problem ist. Ob das langsam steigende Bewusstsein den Vorstoß von WeChat aufhalten kann, bleibt abzuwarten.


Zuckerbrot und Peitsche


Fest steht: China arbeitet schon seit geraumer Zeit an einer Art Orwell'schem Überwachungssystem. Vor vier Jahren wurde das soziale Bonitäts- oder Kreditsystem (social credit) beschlossen, dessen Umsetzungsphase gerade läuft. Es bewertet das soziale und politische Verhalten von Chinas Bürgern und belohnt oder bestraft nach den normativen Vorstellungen der Regierung.


Wer also seine Rechnungen pünktlich bezahlt oder einen guten Studienabschluss schafft, wird mit Punkten belohnt und hat es leichter bei der Suche nach einem Studienplatz, beim Wohnungskauf oder einer Anstellung in einer Behörde. Wer sich aber kritisch über das Regime äußert oder seinen Kredit zu spät zurückzahlt, dem drohen Sanktionen wie Beschränkungen beim Kauf von Flug- oder Eisenbahntickets, das Verweigern eines Kredites oder eine Kontosperre der Bank.


Auch chinesische Unternehmen werden von dem Kreditsystem bewertet. Geprüft wird etwa, ob sie sich an Umweltauflagen halten oder ihre Steuer zahlen. Machen sie es nicht, können sie mit Geldstrafen oder Änderungen bei Lizenzen sanktioniert werden. Ab 2020 soll die gesamte Bevölkerung Chinas in das Beurteilungssystem gezwängt werden - dank WeChat ist der Nachschub an Daten jedenfalls gesichert.

Zum Original