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Armeniens AKW in Erdbebenregion

Mit dem AKW Mezamor betreibt Armenien das einzige Kernkraftwerk in der gesamten Kaukasus-Region. Die Anlage liegt rund eine Autostunde westlich der Hauptstadt Eriwan inmitten eines Erdbebengebiets. Wenige Kilometer von dem Kraftwerk entfernt treffen die arabische und eurasische Erdplatte aufeinander und sorgen für eine hohe seismische Aktivität.

Ob ein Ort erdbebengefährdet ist, bestimmt seine Nähe zu einer tektonischen Verwerfung. Das AKW Mezamor ist offiziellen Angaben zufolge rund 19 Kilometer von einer solchen Stelle entfernt - was die armenische Regierung als ausreichend ansieht, wie die Monatszeitung „Le Monde Diplomatique" schreibt. Wie hoch das Erdbebenrisiko in der Region tatsächlich ist, ist aber unklar. Laut der NGO Green Unions of Armenia soll eine von der Regierung in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 1992 ergeben haben, dass sich die Risikozone schon in unmittelbarer Nähe, lediglich einen halben Kilometer von der Anlage befinde, berichtet die Zeitung. Die Studie wurde jedoch nicht veröffentlicht. Das armenische Energieministerium hält sich bedeckt.


  AKW nach Erdbeben zunächst stillgelegt


Die Region wurde in der Vergangenheit wiederholt von starken Erdbeben erschüttert. Rund 20 Erdbeben mit Stärken von 5,5 bis 7,5 trafen seit dem 9. Jahrhundert im Umkreis von 45 Kilometern um das Atomkraftwerk Mezamor die Region, verzeichnet der armenische Nationalatlas. Fast 20 Jahre ist es her, dass ein verheerendes Erdbeben die nordarmenische Kleinstadt Spitak erschütterte. 25.000 Menschen starben, bis zu eine Million waren auf einen Schlag obdachlos. Das AKW nahm angeblich keinen Schaden, die Behörden schalteten in der Folge die Reaktoren des Kernkraftwerks für mehrere Jahre ab.


Konflikte und Blockaden belasten Wirtschaft


Doch mit dem Zerfall der Sowjetunion wurde die Energie in Armenien knapp. Blockaden von Aserbaidschan, denen sich auch die Türkei anschloss, sowie der Konflikt um Bergkarabach verschärften die Lage. Wegen akuten Strommangels nahm die Regierung 1995 den Reaktor 2 wieder in Betrieb. Reaktor 1 des zu Sowjetzeiten erbauten Kraftwerks wurde dagegen endgültig stillgelegt.


Rund 100 Millionen Euro sind seit 1993 in die technische Aufrüstung und Behebung von Sicherheitsmängeln des AKW geflossen, bilanzierte die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) vor fünf Jahren. Die Anlage soll auch für mögliche Erdbebenstöße gerüstet worden sein. 62 hydraulische Dämpfer aus japanischer Produktion sollen unter den großen Kraftwerksblöcken eingebaut worden sein, wie „Le Monde Diplomatique" schreibt. Dank eines IT-Sicherheitssystems lasse sich der Reaktor auch von außen abschalten. Eine Sicherheitshülle um die Reaktorhalle gebe es allerdings nicht, das Fundament könne die Last nicht tragen.


  Experten besorgt um Sicherheit


Als Inspektoren im Auftrag der IAEA 2015 die Kraftwerksanlage besuchten, stellten sie viele Sicherheitsmängel fest. Sie sprachen nicht weniger als 62 Empfehlungen für Nachbesserungen in Aufsicht und Sicherheit aus. Hauptsorge der Nuklearexperten war, dass Armenien zu wenige Mittel habe, um alle internationalen Forderungen in den verlangten Fristen umzusetzen.


Der Europäischen Union ist das marode Kraftwerk seit vielen Jahren ein Dorn im Auge. Versuche, das Kraftwerk stillzulegen, scheiterten bisher. Ein Angebot der EU - 100 Millionen Euro, damit das Kraftwerk abgeschaltet wird - lehnte Armenien ab. Das Österreichische Ökologie-Institut bewertete das AKW als das gefährlichste Europas, hieß es bereits in einer Studie aus dem Jahr 2001.


Armenien hält trotz der Warnungen an der Atomkraft fest. Aus Sicht der Südkaukasus-Republik ist die Anlage in Mezamor überlebenswichtig. Rund 31 Prozent der Stromversorgung des Landes werden in der Anlage produziert, 2009 waren es 45 Prozent. Mit dem Kraftwerk exportiert das Land sogar Strom, etwa nach Georgien.


  Unvorbereitet für Atomunfall


Sollte aus dem Kraftwerk Radioaktivität austreten, dürfte es um die Bewohner der Region schlecht bestellt sein. Laut dem „Le Monde Diplomatique"-Bericht ist die nächstgelegene Klinik in Mezamor in einem veralteten Zustand und kann die Bevölkerung im Ernstfall nur mit Jodtabletten versorgen. Die Station für Strahlenkrankheiten wurde dichtgemacht. Es fehle an Geld. Problematisch sei auch der Notfallplan, den die Regierung ausgearbeitet hat. Dieser sei nicht ausreichend, stellten Experten der Japanischen Agentur für Entwicklungszusammenarbeit 2012 fest.


Knapp eine Millionen Menschen leben in Eriwan und in unmittelbarer Nähe des Kernkraftwerks. Mezamor ist auch der Name einer Stadt in der Provinz Armawir, die für die Familien der rund 1.700 Kraftwerksmitarbeiter gegründet wurde. In der Region wird über mögliche Strahlenschäden spekuliert. Die lokale Nichtregierungsorganisation Entwicklung für Armawir berichtet etwa von 30 Familien, die über die Behinderung ihrer Kinder rätseln.


Nicht nur der alternde Reaktor stellt ein Risiko dar, ungelöst ist auch die Entsorgung atomarer Abfälle, so „Le Monde Diplomatique" weiter. Bisher wurde Atommüll in Abfallfässer in den Kraftwerken gelagert. Doch die Fässer altern, radioaktives Material könnte austreten. Die armenische Regierung soll daher gerade ein Vorhaben prüfen, das die Lagerung radioaktiver Abfälle für die Dauer von 300 Jahren ermöglicht.


  Starker russischer Einfluss


Vor drei Jahren verlängerte die Regierung die Laufzeit des AKW bis 2026. Armenien schloss dafür ein Finanzierungsabkommen mit der russischen Regierung. Bis dahin soll ein zweites Kraftwerk am selben Ort gebaut werden, finanziert mit Hilfe Russlands. Der Einfluss Russlands wird nicht zuletzt durch den eingefrorenen Konflikt in Bergkarabach größer. Besonders in Sachen Sicherheits- und Energiepolitik lehnt sich Armenien stark an Russland an. 


Medien spekulieren, dass bis zu 80 Prozent des armenischen Energiesystems in russischer Hand sein soll. Die Wirtschaftskrise in Russland, die teils durch die Sanktionen in der Ukraine-Krise bedingt sind, belastet auch Armenien stark.

Die Atomkraft in Armenien bleibt aber nicht alternativlos. Das Land soll in Zukunft mehr auf erneuerbare Energien setzen. Konkret soll in der Provinz Gegharkunik bis 2020 das erste Solarkraftwerk gebaut werden, stellt das deutsche Ministerium für Wirtschaft und Energie in Aussicht. Das Projekt sei Teil eines 2015 gestarteten Programms zur Förderung alternativer Energieressourcen in Armenien. Im Zuge dessen sollen auch Windkraftanlagen gebaut werden.

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