1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Große Versprechen für Indiens Ärmste

Indiens Regierung unter Premier Narendra Modi hat im Jahreshaushalt ein flächendeckendes Krankenversicherungsprogramm angekündigt. Es soll Millionen bedürftige Menschen auffangen. Gleichzeitig lässt es viele Fragen offen, besonders die der Finanzierung. Ungeklärt ist auch, wie das Programm die Armen vor der Ausbeutung durch private Krankenhäuser schützen soll.

Laut Indiens Finanzminister Arun Jaitley handelt es sich um „das größte staatlich geförderte Gesundheitsprogramm der Welt". Es soll die Gesundheitskosten von 100 Millionen Familien in Indien decken. Rund eine halbe Milliarde Menschen würden davon profitieren - insbesondere die Armen, die sich keine Gesundheitsversorgung leisten können. Bis zu 500.000 Rupien (rund 6.300 Euro) stünden Familien jährlich für Krankenhausbesuche zur Verfügung, stellte die Regierung vergangene Woche in Aussicht. Bisher waren es höchstens 375 Euro.


  Ziel: Doppelt so viele Krankenversicherte


Die Regierung sei „ernsthaft besorgt", dass Millionen Inder Darlehen aufnehmen müssten, um Krankenhausbehandlungen bezahlen zu können, sagte Jaitley im Parlament in Neu-Delhi. „Menschen werden eines Tages sagen, dass ‚Modicare' erfolgreich war", führte er später aus. Indiens Gesundheitsminister Jagat Prakash Nadda sprach von einem „historischen" Budget, wie indische Medien berichten. Das Programm könnte bereits im August starten.


Mit dem neuen Programm sollen rund 40 Prozent der Inder krankenversichert werden, derzeit sind es laut Angaben der Weltbank nur rund 25 Prozent. Wie das angekündigte Krankenversicherungsprogramm finanziert werden soll, ließ der indische Finanzminister noch offen. Einem anonymen Regierungsbeamten zufolge wird die Versicherung im Rahmen des Programms etwa 14 Euro pro Familie betragen, berichtete Reuters. Somit wären rund 110 Milliarden Rupien (1,4 Mrd. Euro) jährlich für die Umsetzung nötig.

Indiens Gesundheit stark privatisiert


Indien gibt derzeit nur 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die öffentliche Gesundheitsversorgung aus, so die Zahlen der Weltbank. Es zählt damit zu den Schlusslichtern der weltweiten Statistik. Im Vergleich dazu: Die USA geben 8,3 Prozent des BIP für öffentliche Gesundheit aus, Österreich 8,7 Prozent.


In Indien sind die staatlich finanzierten Gesundheitseinrichtungen in einem maroden Zustand und deutlich unterrepräsentiert. 70 Prozent der Krankenhausbetten sind in privater Hand, so ein Report der Unternehmensberatung „McKinsey". Selbst wer Anspruch auf staatliche Gesundheitsleistungen hat, ist wegen Engpässen gezwungen, einen Teil der Kosten aus eigener Tasche zu bezahlen. So müssen Patienten beispielsweise Medikamente aus privaten Apotheken kaufen, weil die Krankenhäuser nicht genügend Vorräte haben.


Rund 69 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben werden von privaten Haushalten bezahlt. Infolge dieser Ausgaben rutschen jedes Jahr bis zu 64 Millionen Inder unter die Armutsgrenze, so die Angaben des Gesundheitsministeriums. Um diese Gruppe aufzufangen, wurde vor zehn Jahren das Nationale Krankenversicherungsprogramm (RSBY) gestartet, das nun von „Modicare" ersetzt und ausgeweitet werden soll.

Kein Schutz vor skrupellosem Gesundheitssystem


Medien zweifeln schon jetzt an der Wirksamkeit des Programms und vor allem daran, dass es - wie angekündigt - den Ärmsten zugute kommt. Ambulante Behandlungen sind darin nicht vorgesehen, wie Experten kritisieren. Dadurch würden Anreize für die Krankenhäuser steigen, schneller und häufiger zu operieren, als es eigentlich nötig ist. Zudem konzentriere sich die qualitative Gesundheitsversorgung vor allem auf Metropolen. Ein im neuen System versicherter Inder, der in einem abgelegenen Gebiet lebt, kann davon nicht profitieren.


Unklar ist auch, wie das Programm die Armen vor der Ausbeutung durch private Krankenhäuser schützen soll, wie Soutik Biswas, BBC-Korrespondent in Indien, schreibt. Biswas zufolge ist Indiens privates Gesundheitssystem unreguliert, intransparent und oft skrupellos. Private Krankenhäuser seien feindselig gegenüber den Armen.


  Arme auf „Amateurärzte" angewiesen


Das mangelhafte Gesundheitssystem hat eklatante Auswirkungen auf die indische Bevölkerung. Vielerorts fehlen Ärzte, Krankenhäuser und medizinisches Equipment. Im nordindischen Gorakhpur starben im August 60 Kinder, nachdem einem Regierungskrankenhaus die Sauerstoffversorgung ausgegangen war. Vor vier Jahren waren im Bundesstaat Chhattisgarh 15 Frauen nach verpfuschten Sterilisationsoperationen gestorben.


Millionen Inder sind auf „Amateurärzte" angewiesen, die sie billig behandeln. Zuletzt wurde ein Fall bekannt, bei dem ein nicht ausgebildeter Arzt im Norden Indiens 33 Menschen mit dem HI-Virus infiziert hatte, da er eine Spritze mehrmals benutzte, berichtete die „New York Times" kürzlich. Indiens Medizinische Gesellschaft schätzt, dass in Delhi mehr „Amateurärzte" praktizieren als qualifizierte.

Milliarden für ländliche Entwicklung


Ein weiterer Schwerpunkt im vorgestellten Haushaltsplan ist ein Entwicklungsprogramm für ländliche Regionen. Hierfür sollen rund 161 Milliarden Euro aufgewendet werden, unter anderem für den Bau von Straßen, Toiletten und Strominfrastruktur. Auch die indischen Landwirte sollen profitieren. So sollen etwa die staatlichen Abnahmepreise für bestimmte landwirtschaftliche Güter erhöht werden.

Geringe landwirtschaftliche Einkommen, sinkende Exporte und schwindende private Investitionen hatten Indiens 2,5-Milliarden-Wirtschaft zuletzt verlangsamt, so die BBC. Die jüngste Wirtschaftsprognose beschied der Regierung aber wieder steigendes Wachstum.


  Ländliche Wähler wahlentscheidend


Indiens Regierung hatte bereits im letzten Haushaltsplan eine deutliche Steigerung der landwirtschaftlichen Einkommen versprochen. Nach wie vor leben und arbeiten aber viele Bauern in großer Armut, ohne ausreichenden Zugang zu Wasser oder landwirtschaftlichen Maschinen.


Rund 15 Monate vor der nächsten Parlamentswahl wird das Gesundheitsprogramm vor allem als politischer Schachzug gesehen, der die Wähler in ländlichen Gebieten, von denen viele mit hohen Gesundheitskosten kämpfen, umwerben soll. Die Mehrheit von Indiens Bevölkerung lebt auf dem Land. Diese Stimmen sind bei den im Mai 2019 anstehenden Wahlen entscheidend.

Zum Original