Clara Nack

Freie Journalistin, Berlin

3 Abos und 0 Abonnenten
Artikel

232 Lehrstellen unbesetzt

Von Clara Nack, Dachau

Im Landkreis Dachau kann seit Jahren von einem "Bewerbermarkt" gesprochen werden. Hinter diesem Begriff steckt echte Sorge. Seit Beginn des aktuellen Berufsberatungsjahres im Oktober 2017, haben die Unternehmen im Landkreis der Arbeitsagentur 537 offene Ausbildungsstellen gemeldet. Davon waren im August noch 232 Ausbildungsplätze unbesetzt. "Die Jugendlichen sind in der komfortablen Situation, sich aus der Masse an Stellen den attraktivsten Ausbildungsplatz zu erwählen - die Arbeitgeber eher nicht", sagt Johann Liebl, Wirtschaftsförderer für den Landkreis Dachau.

Während die Entscheidung über einen passenden Ausbildungsplatz früher auf beiden Seiten lag, sind es jetzt vor allem die Bewerber, die diese treffen. Viele Betriebe, vor allem das Handwerk, arbeiten an ihren Kapazitätsgrenzen. So nahm die Dachauer Metzgerinnung dieses Jahr 18 neue Azubis unter Vertrag. Ein Glück, dass sich angehende Fachkräfte finden ließen, könnte man meinen. Rund 50 Ausbildungsplätze waren jedoch ausgeschrieben. Seit Jahren besetzten die Metzgereibetriebe nur rund ein Drittel ihrer Lehrstellen, sagt Werner Braun, Obermeister der Metzgerinnung Dachau. "Ich kenne keinen Metzger, der keine Leute sucht", erzählt Braun. Dabei stimmen die Umsätze, auch bei den Niederlassungen sei man bayernweit mit 55 Betrieben führend.

Die Ansprüche bei der Bewerberauswahl könne man kaum noch weiter herunterschrauben, sagt Braun. So werde etwa vermehrt mit computergesteuerten Maschinen gearbeitet. Hoffnung setzen viele Metzger auf Einwanderer. Die Innungen setzen sich für das Bleiberecht der Geflüchteten ein, die in ihren Betrieben tätig sind. "Die Drei-plus-Zwei-Regel reicht nicht aus, wir setzen uns als Innung dafür ein, dass sich in dieser Hinsicht etwas in Richtung Stabilität ändert", sagt Braun. Nach der Drei-plus-Zwei-Regel dürfen Flüchtlinge für die Dauer der Ausbildung und zwei weitere Berufsjahre im Land bleiben. Kritisiert wird immer wieder, dass diese Regelung in Bayern unterlaufen wird und zudem nicht ausreichend ist.

Im Landkreis kann nicht nur das Handwerk seinen Bedarf an Auszubildenden nicht decken. Auch der Einzelhandel hat großen Bedarf. So waren im Juli noch 48 Stellen für angehende Kaufleute unbesetzt. Auch Pflegelehrlinge werden dringend gesucht. Berufe in diesen Branchen seien bei den jungen Leuten zwar sehr beliebt, allerdings übersteige das Angebot an Stellen die Nachfrage, erklärt die Arbeitsagentur. Eine überregionale Vermittlung sei nur eingeschränkt möglich, da ein Umzug für die teilweise noch sehr jungen Jugendlichen nicht in Frage komme. Die Landeshauptstadt München hingegen ziehe viele junge Leute aus dem Großraum an. Weiterführende Schulen und Studiengänge haben sich zudem zu einer großen Konkurrenz entwickelt.

Die Arbeitgeber zeigen sich bereit, auf die jungen Leute zuzugehen. Hans Polzmacher, Geschäftsführer des Handelsunternehmens Com Peri in Karlsfeld, schaut schon lange nicht mehr auf die Zeugnisnoten seiner Bewerber. Früher wäre ein Bewerber vielleicht schneller durch das Raster gefallen, doch die Vorauswahl habe sich geändert, erklärt er. Das persönliche Gespräch und Zusatzqualifikationen, die zum Unternehmen passen, seien jetzt entscheidend. Im Idealfall sollen die Bewerber in einer "beidseitigen Findungsphase" eine Woche zur Probe arbeiten. Doch viele erscheinen nicht, andere können die Anforderungen nicht erfüllen oder zeigten geringes Interesse.

Ausschließlich über Praktika und kleinere Einblicke in den Beruf finden auch die Bäcker ihren Nachwuchs. Maximal die Hälfte der offenen Lehrstellen konnte in den vergangenen Jahren besetzt werden. "In den nächsten Jahren mehr Lehrlinge zu bekommen, halte ich für fast unmöglich", sagt Bäckerinnungsobermeister Ludwig Kloiber. Seine Antwort darauf ist radikal: " Ich denke, um das zu überstehen, können wir uns nur verstärkt automatisieren". Maschinen statt Menschen also.

Im Vergleich zum Vorjahr meldeten sich 90 Ausbildungssuchende weniger bei der Agentur für Arbeit: immerhin noch 570 Bewerber. Rein statistisch könnten Betriebe und junge Menschen also erfolgreich gepaart werden. Oft stimmen jedoch die Voraussetzungen nicht. In der Gastronomie etwa gibt es rechtliche Altersgrenzen. Und eine gewisse Qualifikation müssen die Bewerber schon mitbringen. Da könnten die Arbeitgeber kaum noch Abstriche machen, da sonst die Berufsschule für einige nicht zu bewältigen sei, erklärt Christine Schöps von der Geschäftsstelle in Freising.

Die Integration von Asylsuchenden würde auch Bäcker Ludwig Kloiber gerne fördern, setzt jedoch voraus, dass die Migranten "der deutschen Sprache mächtig sein sollten". Sonst würde es schlicht schwer mit dem Kundenkontakt und dem Lernen. Auch der Unterricht in den Berufsschulen ist dabei ausschlaggebend, die teilweise weder das Personal noch die Zeit aufbringen können, sich individuell zu kümmern oder sprachlich zu fördern.

Um die Attraktivität der Lehre zu fördern, erstatten sowohl die Metzger- und Bäckerbetriebe, als auch Unternehmer wie Polzmacher ihren Azubis Kosten für Fahrkarten. Sie bieten ihnen kostenloses Mittagessen an, manche zahlen sogar ein 13. Monatsgehalt. Mit den Konditionen eines Arbeitsverhältnisses rücken die kleinen Betriebe und Mittelständler so gut es geht an die großen Industrieunternehmen heran. Übertarifliche Löhne zahlen viele. Doch von der Politik fühlt sich allen voran das verarbeitende Gewerbe alleine gelassen. Kloiber erklärt, er zahle in seiner Bäckerei das Neunfache an Energieabgaben, wie die Industrie - hohe Steuern zusätzlich. "Irgendwann können wir den Azubis die Gehälter gar nicht mehr schmackhafter machen", sagt Kloiber. Noch geht es irgendwie, heißt es aus den Betrieben. Im Jahr 2030 aber sollen Prognosen zufolge Millionen an Fachkräften fehlen. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

Zum Original