Clara Nack

Freie Journalistin, Berlin

3 Abos und 0 Abonnenten
Artikel

Die große Umarmung

Von Clara Nack, München / Dachau

Glitzernde Jackets und Metallic-Partyhüte, falsch herum aufgesetzte Caps und Menschen fast jeden Alters. Auf der Bühne reihen sich so viele Schlagzeugbecken aneinander, dass man den Beat schon förmlich wummern hört. Das Gedränge im Ampere im Münchener Muffatwerk hält sich am Donnerstagabend in Grenzen - aber der Funke wird noch überspringen. "Wenn Menschen mit so offenem Herzen in Konzerte gehen, dann kann die Welt gar nicht untergehen", ruft Tom Jahn, Leiter der Bigband Dachau, in die Menge. Mit diesen Worten stimmt er die "Big Swag Night" an, die die Bigband der Knabenkapelle Dachau in München organisiert hat: Versammelt sind deutsche Hip-Hop-Bands, namhafte Rapper der Münchener und Berliner Szene, alles Live-Musiker, ohne DJs.

Initiator des Festivals ist Thomas Salvermoser, Schlagzeuger der Bigband, Hip-Hop-affin und mit seinen 18 Jahren nicht weniger passioniert als seine erfahreneren Kollegen. Er wollte seine Vorbilder näher kennenlernen. Gemeinsam mit seinem Schlagzeugkollegen Jan van Meerendonk luden sie Acts aus der Bundeshauptstadt in die nicht minder begabt textende Landeshauptstadt München ein. In einer Kombination, die so noch nie zu erleben war. Berlin, von wo Sidos alte Bandkollegen als The SWAG angereist sind, soll enger zusammenrücken mit den angesagtesten Rappern der bayerischen Szene. Es geht darum, gemeinsam Musik zu machen und die Menge zum Tanzen zu bringen. Zu den 25 glitzernden Musikern der Bigband gesellen sich dann auch ziemlich schnell der Passauer Rapper MIQ und sein niederbayerischer Kollege Grämsn. Sie wirken anfangs fast ein wenig schüchtern neben diesem musikalischen Großaufgebot.

Leider hält sich die mit gleich zwei Schlagzeugen und mindestens zehn Bläsern hochgepowerte Bigband dann auch nicht eben zurück. Die ausgefeilten Texte gehen im "Swag" der Band unter, denn Jahn dirigiert das Ensemble mit denselben aufgedrehten Bewegungen, mit der auch das Publikum tanzt. Wenn neben den glitzernden Outfits der Dachauer auch noch der Bogen der Geigerin in roten LEDs zu leuchten beginnt, fängt Grämsn, der seine Texte ins Mikro dichtet, an, sich auf der Bühne wohlzufühlen. Wer im Publikum abgeht, bekommt das Gefühl, die begeisterte Menge schwelle mit jedem Song mehr und mehr an, tatsächlich driftet sie aber immer nur weiter auseinander, um Platz zum Tanzen zu finden. "Spread love", fordert Tom Jahn, als die Stimmung des Publikums auf der Bühne ankommt, und "natürlich müssen wir dafür mehr küssen, Leute!" Ihnen rappt MIQ dann ein wogendes Ständchen: "Für meine Flugbegleiter: Spannt die Flügel auf, in dem Bewusstsein, dass man dafür Liebe braucht." Bei der "Big Swag Night" passt dazu sogar ein Trompeten-Solo.

The SWAG fordert das Publikum auf, doch mal mutig an die Bühne zu treten, damit man "zusammen tanzen" könne. Der afroamerikanische Hip-Hop, den Sidos Live-Musiker um MC Rapturous Apollo Helios basteln, löst dann auch bald passioniertes Hüftschwingen aus. E-Gitarrist und Schlagzeuger der Band könnten in Clubs zusammen Elektro spielen, die Leute jedoch feiern den Rap dazu mit frenetischen Gesangseinlagen. Am Mikrofon wird einfach nur "Swag" produziert. Da ist die Stimmung schon auf dem Höhepunkt, und kaum einer steht mehr still oder verweigert sich noch der bekanntesten aller Konzertwellen: den im Takt wippenden Händen der Zuschauer. "Continue doing this", ruft Rapturous und meint damit nicht nur den Flow, in dem sich die Menge nun befindet. "Getting so many people on stage making music together, is what we need!" Moop-Mama-Frontmann Keno, Roger Rekless und die Live-Band Tribes of Jizu, die an Bass, Gitarre, Keyboard und Schlagzeug das können, was den Rap sonst aus der Konserve begleitet, runden den fast vierstündigen Hip-Hop-Abend ab.

Da die Musiker immer "ready" für ein bisschen "Freestyle", also spontanes Dichten sind, und die Tribes ihnen alles dazu spielen können, sind die Themen brandaktuell: "Die Rechten sind auf dem Vormarsch", empört sich Keno. "Ich stehe immer mit dem linken Fuß auf, aus Prinzip!" Eben mal vorbeigeradelt und spontan kritischer Überraschungsgast geworden ist auch der Münchener Rapper David P. Auch er hat etwas zu sagen zu einem drängenden politischen Problem: "Hier in München ist ja Wohnungsnot, dazu hat die CSU keine Position." Nicht politisch sein ist auch keine Option mehr. Die Rapper nehmen kein Blatt vor den Mund, die schnell vorgetragenen Zeilen sind klar und deutlich. "Ist hier ein bisschen Liebe im Raum?" ruft Roger Rekless.

Die Reaktion des Publikums zeigt: Es ist etwas mehr ist als nur ein bisschen.

Zum Original