Auf dem Hamburger Kiez spielt die Musik anders als auf den übrigen Festivals der Republik. Die Künstler treten nicht auf Open-Air-Bühnen zwischen Maisfeldern oder auf stillgelegten Flughäfen auf. Stattdessen öffnen Clubs, Bars, Museen, Theater, Kirchen und Hotels ihre Pforten. Die Konzerte finden drinnen statt, nach einem Zeltplatz könnt ihr lange suchen. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen ist das Reeperbahn Festival der für mich schönste Abschluss der Festivalsaison.
Wer genau wie ich gerne auf Festivals campt, Freundschaft mit dem angrenzenden Zeltkreis schließt und ein Herz für Dosenravioli und Tetrapackmischen hat, für den scheint ein Indoorfestival auf den ersten Blick vielleicht nichts zu sein. Dabei hat es einige Vorteile die Gummistiefel mal zuhause zu lassen, seine Lieblingsband nicht wegen „Nur noch eine Runde Flunkyball, ok?" zu verpassen und abends in einem richtigen Bett einzuschlummern. Genau zu der Jahreszeit, wo das Wetter eigentlich keine Festivalstimmung mehr zulässt, macht das Reeperbahn Festival diese nochmal möglich. Ein letztes Mal im Jahr kann man mit einem Astra in der einen und seinen Freunden in der anderen Hand zu einer neu entdeckten Band tanzen und sich vom Sommer gebührend verabschieden.
Vor allem musikalisch kann das Festival in St. Pauli mit seinen großen Open-Air Geschwistern mithalten: Zum diesjährigen Line-Up zählen unter anderem die Leoniden, Frittenbude, L'aupaire und The Subways. 24 Stunden vor dem Festivalauftakt werden zudem traditionell Überraschungsgäste angekündigt. Dieses Jahr dürfen sich die Besucher kurzfristig auf die schwedische Rockband Mando Diao freuen. Außerdem sind die Booker bekannt dafür, den richtigen Riecher bei Newcomern zu haben. So spielten hier in kleinsten Clubs bereits Künstler wie Bon Iver, Ed Sheeran oder Annenmaykantereit lange bevor sie einem größeren Publikum bekannt wurden. Also wer weiß, welcher Star von morgen dieses Wochenende im Indra oder im Nochtspeicher auftritt.
Die bereits bekannten Bands spielen auf den Bühnen der großen Kiezplayer - wie der Großen Freiheit 36, dem Docks oder dem unterirdischen Mojo Club. Wer Bock auf Techno hat, kann dazu auf den Treppen der verwinkelten Prinzenbar unter Stuckdecke und Kronleuchtern steppen. Die letzten Spätsommernächte ausklingen lassen könnt ihr im Hinterhof des Molotovs. Wer ein Konzert in kultureller Umgebung erleben möchte, sollte sich am Donnerstag die Hamburger Indieband Scotch & Water im Sankt Pauli Museum nicht entgehen lassen. Meine Lieblingslocation ist der Hamburger Michel. In der Hauptkirche könnt ihr euch am Freitagabend vom Folk der deutsch-amerikanischen Band Mighty Oaks verzaubern lassen. Seit zwei Jahren gehört außerdem die Elbphilharmonie zu den Spielstätten. Im großen Saal könnt ihr am Freitag der Singer-Songwriterin Anna Ternheim unterstützt vom Kaiser Quartett lauschen oder melancholischen Elektro der Berlinerin Lisa Morgenstern genießen. Am Samstag spielt hier die dänische Indieband Efterklang, die bereits erprobt durch einen Auftritt im Sydney Opera House ist.
Das Reeperbahn Festival ist lange kein reines Musikfestival mehr. Sollte euch mal nicht nach Konzerten sein, könnt ihr einen der weiteren 300 Programmpunkte besuchen. Hierzu zählen Lesungen, Filmvorführungen, Kunstausstellungen, Poetry Slams, Musikpreisverleihungen, Vorträge und Workshops. Solltet ihr trotz all dem mal eine Lücke in eurem Timetable haben, lohnt sich ein Spaziergang über den Spielbudenplatz oder ein Ausflug zum Festival Village auf dem Heiligengeistfeld. Hier findet ihr von Foodtrucks bis zur Cocktailbar alles was das hungrige oder durstige Festivalherz begehrt.
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