Wien - Schauplatz: ein mit Neonleuchten erhelltes Kellergewölbe in der Barnabitengasse. Auf den Bänken sitzen überraschend gut gepflegte Menschen. Vielen steht die Verzweiflung und die Härte des Lebens ins Gesicht geschrieben. Wer vielleicht schon einmal den Augustin gekauft hat, kennt die "Gruft" - eine Einrichtung der Caritas, in der Obdachlose verpflegt werden sowie die Möglichkeit einer Übernachtung haben.
Auf die Frage ob die Gruft auch Jugendlichen Zuflucht bietet, werden wir abgewimmelt: Sie dürfe keine Fragen beantworten, reagiert eine Mitarbeiterin. Man müsse eine Woche vorher mit dem Caritas-Pressesprecher einen Termin vereinbaren, wiederholt sie konsequent. Zwölf Prozent armutsgefährdet
Österreich zählt zu den reichsten Ländern der Welt, und dennoch sind laut Statistik Austria zwischen 11,4 und 13,3 Prozent armutsgefährdet. Das sind zirka eine Million Menschen. Arm ist nicht nur, wer auf Parkbänken übernachten muss, sondern auch, wer am normalen Alltagsleben nicht teilhaben kann. Von Armut wird gesprochen, wenn es große finanzielle Nöte beim Kauf von Kleidung und Lebensmitteln oder dem Beheizen der Wohnung gibt. Zudem kommen Substandardwohnungen sowie häufig Schulden und Rückstände, etwa bei der Zahlung von Krediten, hinzu.
Dies trifft in Österreich auf 310.000 Menschen zu, also vier Prozent der Bevölkerung. Fast ein Drittel davon sind Kinder und Jugendliche. Die Eltern sind entweder zugewandert, erwerbslos, alleinerziehend oder haben Jobs, von denen sie nicht leben können.
"Häufig haben Jugendliche, die in einer gut situierten Familie aufgewachsen sind, bessere Zukunftschancen und ein größeres Selbstbewusstsein. Sie haben bessere Partizipationsmöglichkeiten in der Gesellschaft, während das Stigma der Armut bei Jugendlichen, die kein Geld haben, oft zu einem Minderwertigkeitsgefühl führt", sagt Philipp Ikrath vom Institut für Jugendkulturforschung.
"Ärmere Kinder werden exkludiert, weil sie sich nicht leisten können, was sich die anderen leisten. Dass sie sich No-Name-Kleidung kaufen müssen, anstatt Markenkleidung zu tragen, ist ihnen peinlich und kommt nicht gut an. So wird das nichts mit den Jugendszenen", erklärt Ikrath.
Diesem relativ hohen Anteil an Mittellosen stehen 250.000 Österreicher gegenüber, die über ein Jahreseinkommen von mehr als 70.000 Euro verfügen. Die Zahl der Reichen steigt jährlich. Ein Phänomen, das es zu beobachten gilt. Nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene. Der Reichtum nimmt offensichtlich stark zu, während die Armen immer ärmer werden.
Nachdem wir in der Gruft abgefertigt wurden, treffen wir im Burggarten auf eine inhomogene Gruppe von Jugendlichen. Eine von ihnen, Conny (16), besucht derzeit eine HAS im Burgenland. Taschengeld bekommt sie noch von ihren Eltern, doch für einen Sommerurlaub reicht es nicht. Neben ihr sitzt Max. Er ist 17 und hilft ab und zu in der Arztpraxis seines Vaters mit, weil er die Schule frühzeitig abgebrochen hat. Jedoch versucht er abends sein Glück in der Maturaschule.
Grinsend durch seine Ray Ban blickend meint er: "In den Sommerferien bin ich dann in Saint-Tropez, Berlin, in der Türkei und in Florida." Jedoch wird der Junge im Abercrombie-Shirt sich auch sozial engagieren und mit Straßenkindern wandern gehen. Klingt im ersten Moment eher unglaubwürdig, doch er kann sogar die Organisation nennen: Concordia.
Als wir dem 19-jährigen Patrico unsere Fragen stellen, grölt ein anderer hinein: "Er ist halb Italiener und halb Türke. Der verdient besonders viel Respekt." Auch er versucht die Matura nachzumachen und nimmt das Gespräch mit uns nicht besonders ernst. Bei ihm dreht sich alles nur ums Chillen. Beim 18-jährigen Milos ist es nicht anders. Wie 8000 andere Schüler jährlich hat auch er die Schule abgebrochen und ist jetzt arbeitslos. Der 16-jährige Philip hingegen versucht es mit einer Lehre. Das Geld reicht bei ihm meistens nicht aus. Bis zum 20. eines jeden Monats ist er pleite. Kaum Berührungspunkte
Diese Vielfalt in einer Gruppe bietet Ikrath ein ungewöhnliches Bild: "Es kommt kaum vor, dass Jugendliche aus einer höheren Sozialschicht mit unvermögenden Gleichaltrigen befreundet sind, da sie hauptsächlich Zeit mit Menschen verbringen, die vergleichbar sind und ähnliche Interessen haben. Selten sind Gymnasiasten mit Lehrlingen befreundet, so wie Ärzte kaum Kontakte mit Bauarbeitern pflegen. Auch wenn sie räumlich ganz in der Nähe wohnen, sind die Unterschiede trotzdem so groß, dass es eigentlich kaum Berührungspunkte gibt." (Yasmin Duale, Clara Heinrich/DER STANDARD Printausgabe, 14.7.2010)