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"Tankstelle, make some noise!"

Nach der Wende feierte die Rave-Szene in leerstehenden Gebäuden in Berlin. Der Sound ist geblieben, der Freiraum nicht: Leerstand ist äußerst selten. Das Kultur.Tanken-Festival hat diesen genutzt - und was Wunderbares daraus gemacht. 

Berlin als Stadt des Leerstandes und der Freiflächen kennen jüngere Menschen und Zugezogene fast nur noch aus Erzählungen. Gerade im Innenstadtbereich scheint jede Baulücke bebaut zu werden - oder bereits geschlossen. Umso eigenartiger, dass an der Ecke Hobrechtstraße/Sonnenallee in Neukölln eine der wenigen Freiflächen Berlins bereits seit Jahren vor sich hingammelt - und das in einem der beliebtesten Bezirke der Stadt. Die dortige Tankstelle, die mittlerweile einer Ruine gleicht, wird bereits seit 2018 nicht mehr genutzt. Laut mehreren Medienberichten gehört das Grundstück einem Investor, der mit Wohnungen an einem solchen Standort sicherlich gutes Geld machen könnte.

Vielfalt der Künstler:innen

Dass genau solche Orte nicht ungenutzt bleiben müssen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können, bewies das Kultur.Tanken-Festival am Samstag. Von 14 bis 21:30 bekamen die Besucher:innen dort nicht nur Musik-Acts zu sehen, sondern auch Tanz- und Sprech-Performances - und das, ohne einen Cent dafür zahlen zu müssen. Organisiert wurde das eintägige Festival von einer Gruppe von Studierenden der FH Potsdam. "Wir haben uns gefragt, wie ein solcher Ort so lange leer stehen kann, ohne dass was passiert", erklärt Simon Spannig, einer der Organisatoren der Veranstaltung. "Wir wollten dort Kultur und auch wieder Leben hinbringen." Die Auswahl der Acts sollte nicht nur einem künstlerischen Anspruch genügen - sondern auch die Vielfalt Neuköllns widerspiegeln. "Uns war es wichtig, sowohl BPoC (Anm. d. Red.: Black and People of Color) als auch queere und weibliche Künstler:innen auf die Bühne zu bringen", erklärt der Student der Kulturarbeit. Ein weitere Prämisse bei der Auswahl der Musiker:innen und Performer:innen war, dass alle in Berlin leben.

Vom Schunkeln zum Shaken

Bereits am frühen Nachmittag ist der Andrang groß. Die Besucher:innen versammeln sich vor der Bühne zwischen den Zapfsäulen unter dem Dach der Tankstelle. Die ukrainisch-deutsche Sängerin Ganna Gryniva machte mit einem experimentellen Mix aus klassischer Musik und Folklore den Anfang. Anschließend folgten Adir Jan und Emrah Gökmen. Während die beiden im Gleichklang an den Gitarren spielten und auf Kurdisch sangen, formierte sich vor der Bühne eine Gruppe aus acht Personen, die den Halay tanzten - ein traditionieller Tanz, bei dem die Beteiligten nebeneinander stehen, sich an den Händen halten und rhythmisch zum Takt bewegen.

Eine neue Stoßrichtung bringt das Trio Asphalt Djeli's, das traditionelle Instrumente mit Elektro-Sounds verbindet. Die Frontsängerin Astan Meyer rappt und singt dazu auf Französisch und Englisch. Bei dieser Performance werden jedoch nicht nur die Ohren bedient. Vor der Bühne tanzte der Performer Exocé Kasongo zu den hypnotisierenden Beats der Band. Seine Bewegungen, seine Blicke scheinen von der Musik durchdrungen zu werden, so als würde sie Besitz von ihm und seinem Körper ergreifen. Doch er bleibt nicht lange alleine. Eine Person aus dem Publikum gesellte sich zu ihm. Aus der One-Man-Show wird eine Impro-Aufführung, die so organisch und gut funktioniert, dass sie wie einstudiert wirkt.

Nicht nur das Publikum ist von dieser Performance begeistert. Auch die Frontsängerin von Asphalt Djeli's ist angetan. Während die Beats schneller und tanzbarer werden, steigt auch die Stimmung im Publikum. Astan Meyer spricht jetzt direkt zu den Besucher:innen und ruft: "Tankstelle, make some noise", übersetzt also "macht mal Lärm" - und das Publikum folgt ihrer Aufforderung...

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