Arzneien aus China
Werden wegen des Coronavirus jetzt die Medikamente knapp?
Griff ins Regal: In deutschen Apotheken gibt es trotz Coronavirus genug Medikamente. (Quelle: Cavan images/imago images)
Deutschlands Apotheker kämpfen immer wieder mit Lieferengpässen für Arzneimittel. Gerüchten zufolge verschärft das Coronavirus die Lage. Doch stimmt das wirklich? t-online.de hat nachgefragt.In Deutschland werden Medikamente trotz der Corona-Krise derzeit wie gewöhnlich geliefert. Das teilte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Anfrage von t-online.de mit. Gerüchte, denen zufolge es wegen des Coronavirus Produktions- und Lieferschwierigkeiten gebe, bestätigen sich damit nicht.
Zwar würden seit mehreren Jahren immer wieder Arzneimittel-Engpässe auftreten. Nach Informationen des Bundesinstituts sei die Situation trotz des sich ausbreitenden Virus bisher allerdings entspannt.
So sieht es auch die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). "Es gibt bisher keine Verschärfung der Lieferengpässe infolge der Corona-Infektion", sagte Pressesprecher Christian Splett t-online.de.
Ein Grund für die Engpass-Gerüchte, die derzeit vor allem im Netz kursieren: Viele Hersteller produzieren aus Kostengründen in China. Auch rund um die chinesische Stadt Wuhan, die besonders vom Coronavirus betroffen ist, werden Arzneien hergestellt. Wegen der Ausgangssperre, so die Erzählung, würden die Produktionszahlen sinken. Einige Internetportale geben deshalb sogar Tipps, um das angebliche Problem zu umgehen.
Wirkstoffe für weniger als 200 Medikamente aus betroffenen Regionen2019 waren in Deutschland mehr als 100.000 verschreibungspflichtige Medikamente zugelassen. Davon stehen 285 Medikamente auf der Lieferengpass-Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte.
Zwar ist Wuhan ein Zentrum für die Fertigung von Wirkstoffen für Schmerzmittel wie Paracetamol und Ibutropfen. Aber: Gemäß der Daten des Bundesinstituts basieren aktuell nur 19 in Deutschland zugelassene Arzneimittel auf Wirkstoffen, die aus dem Umfeld von Wuhan stammen. 17 dieser Arzneimittelzulassungen verfügen über einen als versorgungsrelevant eingestuften Wirkstoff.
Bezogen auf die komplette Provinz Hubei sind nach aktueller Datenlage 153 Arzneimittel betroffen, wobei 64 von ihnen einen als versorgungsrelevant eingestuften Wirkstoff enthalten.
Gute Versorgung mit Arzneimitteln"Basierend auf den aktuell vorliegenden Informationen und Daten gibt es weder national noch europäisch Hinweise, die kurzfristig auf eine Einschränkung oder ein Erliegen der Arzneimittelversorgung aufgrund des Coronavirus hindeuten", so der BfArM-Sprecher weiter.
Grundsätzlich spreche man bei Arzneimitteln für Menschen ab einer zweiwöchigen Lieferunfähigkeit von einem Lieferengpass. Ein solcher Engpass liegt beispielsweise vor, wenn die Produktionsausfälle ganze Lieferketten unterbrechen.
Umfrage unter Pharmaherstellern angelaufen"Mögliche Folgen sind derzeit noch nicht absehbar", sagte Andreas Aumann, Sprecher des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie. Seriöse Prognosen ließen sich derzeit nicht abgeben. Das BfArM habe den Verband gebeten, seine Mitglieder zur aktuellen Situation der Wirkstoffherstellung in China zu befragen.
Solche Abstimmungen mit Herstellerverbänden seien üblich, so Aumann: "Das passierte zum Beispiel auch im Zusammenhang mit dem Brexit." Sein Verband habe die Anfrage an die Hersteller weitergeleitet. Ergebnisse der Umfrage gebe es noch nicht. Die gesammelten Rückmeldungen werde der Verband wiederum an das BfArM weitergeben, das die Gesamtlage dann entsprechend einschätzen kann.
Patentgeschützte Arzneien kommen oft aus den USAAuch der Verband Forschender Arzneimittelhersteller ist derzeit noch gelassen. "Wir gehen gegenwärtig nicht von Lieferengpässen bei Arzneimitteln aufgrund des Coronavirus aus", sagte Verbandssprecher Jochen Stemmler.
Patentgeschützte Arzneimittel würden ohnehin meist in Ländern wie den USA, der Schweiz und in großem Umfang auch in Deutschland produziert. Deshalb werden viele patentgeschützte Arzneimittel aus Deutschland nach China exportiert. Der umgekehrte Fall sei selten, betont Stemmler.
Ebenso wenig Grund zur Sorge sehen die Arzneigroßhändler. "Bisher haben wir keine Lieferengpässe zu beklagen", teilte ein Sprecher des Bundesverbandes des Pharmazeutischen Großhandels t-online.de mit.
Viele Wirkstoffe kommen aus FernostUnabhängig vom Coronavirus sind verspätete Lieferungen in Deutschland ein generelles Problem. Und tatsächlich spielt China dabei eine entscheidende Rolle, wie ABDA-Sprecher Splett erläutert.
"Lieferengpässe gibt es seit ein, zwei Jahren bei bestimmten Arzneimitteln immer mal wieder", sagte er. "Einige wichtige Wirkstoffe werden in Fernost produziert, das ist ein Problem, das wir seit Jahren haben - wenn dort eine Charge ausfällt, betrifft das gleich mehrere Hersteller in Deutschland." Eine wirkliche Alternative zu ostasiatischen Produktionen gebe es bisher nicht.
Im Kampf gegen Lieferengpässe bei Medikamenten hat der Bundestag zuletzt Änderungen des Arzneimittelgesetzes beschlossen. Pharmafirmen können künftig von den Behörden verpflichtet werden, über Lagerbestände, Produktion und Absatzmenge bestimmter Arzneimittel zu informieren. Bei Engpässen kann angeordnet werden, dass die Firmen oder Arzneimittelgroßhändler größere Mengen dieser Präparate auf Vorrat lagern müssen.
Für Patienten wichtig: Sollte es zu Lieferschwierigkeiten bei bestimmten preisgünstigen Medikamenten kommen, können Apotheken dem Gesetz zufolge auch die teureren Arzneimittel mit dem gleichen Wirkstoff ausgeben, der Patient zahlt dafür nichts extra. Die Mehrkosten trägt dann die Krankenkasse.