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Gestrandet am Ende der Welt: Drei Berliner Musiker sitzen in Tadschikistan fest

Berlin/Duschanbe. Als drei junge Männer vor einer Woche am Flughafen in Duschanbe ankommen, scheint ihre ersehnte Rückkehr nach Deutschland nah. Mit Flügen über Dubai und Zürich wollen sie Tadschikistan den Rücken kehren und endlich den Heimweg nach Berlin antreten, endlich nach Hause.

Wieder hatten sie Tickets gebucht, wieder überstürzt ihre Koffer gepackt, wieder war die Hoffnung groß. Dreimal schon waren ihre geplanten Rückflüge gescheitert. Sollte es nun im vierten Versuch tatsächlich gelingen?

Die drei Berliner, alle um die 30 Jahre alt, gehören zu den Zehntausenden Deutschen, die inmitten der Corona-Krise noch immer im Ausland festsitzen. Bis Freitag holten Auswärtiges Amt, Reiseveranstalter und Lufthansa mit einer beispiellosen Rückholaktion bereits rund 160.000 von ihnen nach Hause. Zunächst aus den touristischen Hotspots - etwa Marokko, Ägypten oder die Dominikanische Republik -, dann auch aus weniger beliebten Urlaubsregionen. Doch an vielen Orten auf der Welt harren noch immer Deutsche aus, die in ihre Heimat zurückkehren wollen, aber nicht können.

"Die Welt steht vor einer Aufgabe, die sie so noch nicht hatte"

Philipp Taubert, Lukas Lindner und Alexander Langner sind gestrandet in einem Land am äußersten Rand der öffentlichen Wahrnehmung. Einem Land, das wegen der geringen Anzahl Betroffener keine hohe Priorität für das Auswärtige Amt haben kann. Außer ihnen wissen die drei nur von zwei anderen Deutschen, die in Tadschikistan festhängen. Deshalb verstehen sie auch, dass sie sich gedulden müssen. "Die Welt steht einfach vor einer Aufgabe, die sie so noch nicht hatte", sagt Philipp Taubert. Und das gelte genauso für das Auswärtige Amt und seine Vertretungen im Ausland, also auch jene in Tadschikistan und Usbekistan.

Die beiden diplomatischen Ämter sind einer der Gründe, warum sie überhaupt nach Zentralasien gereist sind. Denn die drei Männer sind Musiker. Zwei von ihnen bilden die Berliner Rockband Treptow - Taubert ist Sänger und Gitarrist, Lindner ist Schlagzeuger. Langner unterstützt sie auf der Tour als Bassist. Schon seit Anfang März sind sie in Zentralasien unterwegs. Auf Einladung der deutschen Botschaft in Usbekistan. Deren Kollegen in Tadschikistan hatten sie empfohlen - dorthin war die Band bereits im vergangenen Jahr geflogen. Dass ihr Aufenthalt diesmal allerdings gänzlich anders verlaufen würde, ahnen die drei zu Beginn ihrer Tour nicht.

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Alexander Langner (hinten) lässt sich mit Fans fotografieren. © Quelle: Muslimbek Tulanov

Auf Tour in Zentralasien - dann wird der Rückflug gestrichen

Am 2. März treffen sie in Usbekistan ein. Im nahe gelegenen China tobt da schon das Virus. Auch in Deutschland gibt es bereits einige Dutzend Fälle. In ihrem Podcast "Treptow - Bon Voyage" plaudern Taubert und Lindner entspannt über Vorsichtsmaßnahmen, sie nehmen Corona ernst, aber wollen Ruhe bewahren. Mitsamt Equipment reisen die drei Musiker durch Usbekistan, machen halt in Andijon, Ferghana, Samarkand und spielen Konzerte. Die Menschen, sagen sie, zeigen sich dankbar, dass mal eine deutsche Band vorbeischaut.

Als sie am 8. März morgens um 6 Uhr mit dem Schnellzug in Taschkent ankommen, steht bereits eine Schülerdelegation am Bahnsteig, um sie zu empfangen. 14- bis 15-jährige Jungen und Mädchen, die wehende Fahnen und Geschenke in der Hand halten. "Die haben sich gefreut, dass sie mal Deutsch sprechen können. Das war total ergreifend", erzählt Lindner. Eine Rockband in Usbekistan - das ist etwas Außergewöhnliches.

Knapp eine Woche touren sie durch das Land, dann reisen sie für einen viertägigen Workshop nach Khujand in Tadschikistan. Von dort soll es eigentlich zurückgehen nach Taschkent, in die Hauptstadt Usbekistans, um über Istanbul weiter nach Berlin zu fliegen. Doch dann wird ihr Flug gestrichen. Außerdem zeichnet sich ab, dass die Grenzen von Usbekistan geschlossen werden.

Die Berliner Band Treptow während eines ihrer Konzerte in Usbekistan. An der Bassgitarre spielt Alexander Langner (links), die Gitarre bedient Philipp Taubert (rechts), im Hintergrund ist Lukas Lindner am Schlagzeug aktiv. © Quelle: Muslimbek Tulanov

Bei einer Mitarbeiterin der deutschen Botschaft kommen sie unter

Kurzerhand entschließen sie sich, nach Duschanbe zu fliegen. Eine befreundete Mitarbeiterin in der deutschen Botschaft in Tadschikistan nimmt sie bei sich im Haus auf. Dort, sagt Taubert, können sie so lange bleiben wie nötig. Vorerst seien sie in den besten Händen. "Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass wir das Glück haben, fast surreal den ganzen Corona-Kram mitzubekommen - von einer kleinen heilen Insel aus." Es sei ganz merkwürdig mitzuerleben, "dass die Welt förmlich am Brennen ist, aber wir nur aus der Ferne zuschauen".

Bandkollege Lindner sieht das ähnlich. Er fühle sich sehr gut aufgehoben, sagt er. Nicht nur ihre Freundin täte, was sie könne, sondern auch alle verantwortlichen Mitarbeiter der Botschaft. Und auch Langner findet: "Die Leute geben sich über ihren Job hinaus Mühe."

Denn auch wenn sie vergleichsweise gut untergebracht sind, wollen die Musiker natürlich trotzdem nach Hause. Immer wieder versuchen sie, einen Flug zurück nach Deutschland zu bekommen. Doch immer wieder scheitern sie. Mal, weil der Flughafen plötzlich geschlossen wird, mal, weil sie kein Transitvisum bekommen.

"Ich fühle mich ein Stück weit leer"

Als das Trio am Samstag vor einer Woche an den Check-in-Schalter am Flughafen in Duschanbe tritt, sind alle Flüge gestrichen. Bis auf einer - ihr Flug nach Dubai. Erleichtert wollen sie ihr Gepäck aufgeben und einchecken. Doch erneut gibt es ein Problem. Der Flughafenmitarbeiter erklärt ihnen, dass man sich derzeit nur 24 Stunden auf dem Flughafen in Dubai aufhalten dürfe. Die Musiker hätten aber bis zu ihrem Weiterflug nach Zürich rund anderthalb Tage zu überbrücken. Auch die Botschaft kann nichts ausrichten. Sie dürfen nicht mitfliegen. Auch der vierte Versuch scheitert.

"Ich fühle mich ein Stück weit leer. Nicht sauer, aber fertig mit den Nerven", sagt Langner. Trotzdem versuchen sie, es gelassen zu sehen, das Beste aus der Situation zu machen. "Jetzt müssen wir nicht mehr ständig in Habtachtstellung sein und können uns auch mal um andere Dinge kümmern", sagt Lindner.

Sie lenken sich ab mit Haus- und Gartenarbeit, Tischtennisspielen oder Dartswettkämpfen. Und Langner baut nebenbei an einem Basskorpus. Das Brett dafür hat er sich von einem lokalen Schreiner sägen lassen. Die Leute in Tadschikistan beschreibt er ebenso wie seine Mitstreiter als freundlich. Von der Corona-Krise - so ihr Eindruck - bekommen die Tadschiken im Großen und Ganzen nicht viel mit. Nur vereinzelt sähen sie Menschen mit Atemmasken. Auch wenn sie nicht viel vom Land mitbekämen. "Das Leben hier ist weitgehend total normal", sagt Taubert.

Ein zweischneidiges Schwert

Doch, sagt er, die ganze Situation "ist ein zweischneidiges Schwert". "Wir schweben hier auf einer kleinen Wolke." Zwar seien sie privilegiert, in einem Land zu sein, in dem es noch nicht so schlimm ist. Auf der anderen Seite, sagt er, könne es sehr schnell sehr, sehr schlimm werden.

Was Taubert meint, ist das miese Gesundheitssystem. Die ärztliche Versorgung ist im ganzen Land schlecht, selbst in Duschanbe, warnt das Auswärtige Amt. Offiziell, sagt Taubert, gebe es noch keinen Corona-Fall im Land. Doch darauf ist kein Verlass. Zwar ist Tadschikistan auf dem Papier eine Präsidialrepublik, faktisch aber eine Diktatur. Im Freedom House Index, der den Grad an Freiheit und Demokratie misst, wurde Tadschikistan 2019 als eines der "übelsten unter üblen" Ländern eingestuft. Informationen der Behörden sind mithin mit Vorsicht zu genießen.

Die Corona-Fälle in Tadschikistan könnten bald sprunghaft ansteigen

Taubert sorgt sich vor allem wegen des vergangenen Märzwochenendes. Denn auch wenn offizielle Veranstaltungen abgesagt wurden, feierten am Wochenende viele Familien in Tadschikistan Nouruz, das Neujahrsfest - wie es im persischen Kulturkreis stets am 20. oder 21. März Brauch ist. Das, glaubt Taubert, könne nun ausschlaggebend sein für viele Infektionen. Er rechnet damit, dass das schon bald zu spüren sein wird. "Und dann könnte das in drei Wochen hier der falsche Ort für uns sein", sagt er. Er habe kein Problem damit, noch ein wenig in Duschanbe verweilen zu müssen, aber klar, irgendwann wolle er auch wieder ein normales Leben führen.

Auch Lindner ist nicht enttäuscht, dass die bisherigen Versuche, sie nach Deutschland zu bringen, nicht geglückt sind. Sie seien schließlich nicht erkrankt, die Situation sei nicht eskaliert. Nur würde er sich mit Blick auf einen möglichen Rückholflug eine klarere Kommunikation vom Auswärtigen Amt in Berlin wünschen. Zumal inzwischen ihr Visum abgelaufen ist.

Zudem hätten sie schon viel Geld versenkt, sagt Taubert. Rund 5000 Euro seien für Flüge verbrannt worden, die sie nie antreten konnten. Und derzeit verdienen sie nichts. Als Musiker sind sie schließlich davon abhängig, dass Veranstaltungen stattfinden. Auf die verzichten sie nun, auch wenn sie das in Tadschikistan nicht müssten. Doch sie wollen vorsichtig sein.

Werden die drei Berliner schwer zu lösende Einzelfälle?

Wie lange wird das nun noch so gehen? Kann das Auswärtige Amt sie über die Rückholaktion aus dem Land bringen? Auf Anfrage will ein Sprecher keine nähere Auskunft geben. Er bittet um Verständnis, dass man sich zu individuellen Fällen nicht äußern dürfe.

Gleichwohl sind die Urlaubsregionen weitgehend abgegrast. Nun wolle man sich ganz besonders Ländern mit größerer Entfernung widmen, sagte Außenminister Heiko Maas zuletzt. Mindestens zwei Wochen werde es jedoch dauern, alle gestrandeten Deutschen zurückzuholen, schob der Krisenbeauftragte des Auswärtigen Amts, Frank Hartmann, am Freitag nach. "Und dann werden Einzelfälle bleiben, die schwer zu lösen sind", räumt er ein.

Taubert, Lindner und Langner wissen: Täglich kann sich etwas ändern. Aber erst einmal heißt es weiter: warten. Sie rechnen damit, so schnell nicht nach Hause zu kommen. Spätestens mit dem gescheiterten Flug nach Dubai war ihnen klar, "dass vorerst die letzte Möglichkeit geschwunden ist, schnell hier wegzukommen", sagt Lindner.

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