Chris Stein

Festivalreporter, Tourismus- u. Veranstaltungskaufmann, Berlin

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Ausnahmezustand in den Alpen: So war das Snowbombing 2014

Foto @ Chris Stein

In einer Woche im April findet sich im österreichischen Wintersportort Mayrhofen alljährlich ein ungewöhnliches Schauspiel statt. Zum Snowbombing-Festival fallen mehr als 6.000 Musikfans in die 3800-Einwohner-Gemeinde im Zillertal ein, schnallen sich Ski und Snowboards unter, feiern tagsüber auf der Piste und abends in den Clubs. Bei dem Spektakel in den Alpen wird nicht zu Apres-Ski-Hits wie „10 Nackte Friseusen“ und „20 Zentimeter“ geschunkelt, sondern stilvoller zu den Klängen angesagter DJs und Elektro-Acts getanzt.

Der britische DJ James Zabiela ist bekannter für seine Loops als für einen Backside Shifty Revert. Der 34-Jährige ist jedoch auch ein passionierter Snowboarder, der beim Snowbombing wohl noch häufiger am Penkenjoch als an den Turntables anzutreffen ist. Viele Künstler nutzen das Festival, um neben dem Gig im Iglu auf dem Ahorn auch Skiurlaub zu machen. Prominente DJs und Bands fallen in Mayrhofen allerdings weniger ins Auge als ihre Fans. Die nämlich kacheln gern als Papst, Batman oder Ölscheich verkleidet die Pisten herunter.
 
In „Mayrhöwen“ herrscht während des britisch geprägten Festivals für elektronische Musik Ausnahmezustand. Gasthöfe holen die Tiroler-Gröstl-Schilder rein und stellen die Steaks-Pizza-Pasta-Aufsteller raus. Der örtliche Metzger nennt sich „Hans the butcher“ und verkauft seine „übertasty“ Burger wie am Fließband. Ein Gastwirt wirbt damit, dass The Prodigy seine Steaks „fxxxxxg awesome“ fanden. „Sorry, I don’t speak German“, antwortet ein Kellner.

Außerdem ist während des Snowbombings eine Art Fashionweek: Der modebewusste Festivalbesucher trägt zu Board oder Ski Darth-Vader-Montur, Gorilla-Einteiler, rosafarbenes Sakko, Dirndl oder kurze Lederhose. Und da Engländer Temperaturen bekanntlich oft anders interpretieren, sieht man auf dem Gipfel auch Skilatzhose kombiniert mit freiem Oberkörper.

Aber jetzt mal zur Musik, denn das 15. Snowbombing mit rund 400 Künstlern und 15 Venues hat wie jedes Jahr ein erlesenes Line-Up. Neben Headliner The Prodigy zählen die Chemical Brothers, Chase & Status, Rudimental, Carl Cox, Groove Armada, Clean Bandit, Foxes und Four Tet dazu. Aus Deutschland sind beispielsweise Roman Flügel, DJ Moestwanted, Alex Niggemann und Anja Schneider vertreten. Besonders begehrt sind die limitierten Tickets für die komplett aus Eis gefertigte Superdry Arctic Disco auf 2000 Metern Höhe, in der auch Redlight, Radio Slave und Nina Kravitz auftreten.
 
Mayerhofens Europahaus verwandelt sich in der Festivalwoche in The Mothership: Dort spielen etwa Breach, Dusky oder Pedestrian. Aus dem benachbarten unterirdischen Tenniscenter wurde der Racket Club, den My Nu Leng, Joris Voorn oder Daniel Avery zum Kochen bringen. Daphni, Jaguar Skills und The Prodigy rocken bei der Forest Party idyllisch zwischen Holzhütten am Fuße der Berge, wo vermutlich sonst der Alpenverein zünftig grillt. Oben auf dem Berg battlen sich auf der Snow Park Terrace The Martinez Brothers mit Skream und Marc Roberts, während Pro-Snowboarder im Hintergrund mit Airs und Tricks beeindrucken. Rompas‘ Reggae Shack ist chilliger Nachmittags-Schauplatz von DJs wie Daddy Nature, Uncle Dugs und North Base.
 
Heimlicher Headliner auf der Mountain Stage ist der auf Jamaica geborene Derrick Errol Evans alias „Mr. Motivator“, der in den 90ern als Fitnesstrainer im britischen Frühstücksfernsehen zur Kultfigur wurde – und der auch mit inzwischen 61 Jahren und im engen grünen Jumpsuit Hunderte  Snowbomber zu schrägen Ententänzen animiert.

Apropos Kultstars: Die Veranstalter ließen auch Eddie The Eagle einfliegen. Michael Edwards war der erste Skispringer, der für Großbritannien bei den Olympischen Winterspielen startete. In Calgary belegte der weitsichtige Sportler mit den dicken Brillengläsern 1988 den letzten Platz. Danach ging es für ihn in Sachen Popularität indes steil bergauf: „Nach Calgary bekam ich Dutzende Heiratsanträge“, erzählt er in Mayrhofen. Dort führt er auf der Bühne auch seine Sprungtechnik vor – und verrät: „Die ersten Sprünge übte ich vom Garagendach.“
 
Erfunden wurde das alpine Musikspektakel übrigens von einer Gruppe von DJs aus Manchester. Die hatten 1999 keinen Bock, im Skiurlaub im französischen Risoul bierselige deutsche Schlager zu hören, packten jede Menge Platten ein und schmissen vor Ort eigene Partys. Da einer von ihnen gerade ein Reiseunternehmen gegründet hatte, war die Idee für ein Festival in den Bergen schnell geboren.
 
Seit 2005 findet das Snowbombing in Mayrhofen statt. Dort waren die Einwohner angesichts der britischen Partyhorden erst skeptisch, mittlerweile wurden jedoch viele Freundschaften geschlossen – auch wenn noch nicht wie in Wacken der Musikzug der Freiwilligen Feuerwehr zur Eröffnung spielt. Für die Region ist das meist ausverkaufte Festival zudem ein wichtiger Wirtschaftsfaktor geworden: Die Snowbomber spülen zum Saisonende nach offiziellen Angaben noch mal mindestens drei Millionen Euro Umsatz in die Kassen.




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