Christoph Giesa

Autor, freier Journalist und Drehbuchschreiber, Hamburg

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Rechtsextremismus: Die Vorbilder der dunkeldeutschen Denker

Wenn man sich mit den rechten Krakeelern und ausländerfeindlichen Gewalttätern, die derzeit in Heidenau, Freital und vielen anderen Orten die Schlagzeilen bestimmen, intensiver auseinandersetzt, mag man sich zunächst wundern. Wie kann es sein, dass diese "Dunkeldeutschen" einerseits vorgeben, wahlweise das christlich-jüdische Abendland oder zumindest das Deutschland der Vergangenheit zu verteidigen, gleichzeitig aber alles tun, um wichtige Stützpfeiler unserer westlichen Gesellschaftsordnung zu diskreditieren? Dafür lohnt ein Blick in die Vergangenheit, namentlich in die 1920er Jahre.

Damals waren neben Hitlers Nationalsozialisten und revolutionären Kommunisten auch noch andere Kräfte eifrig dabei, die junge Weimarer Demokratie sturmreif zu schießen. Eine Gruppierung, die heute unter dem Namen "Konservative Revolution" bekannt ist, hatte bemerkenswerte Parallelen zu dem, was wir heute erleben. Nicht nur, dass ihre Protagonisten - Köpfe wie Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler, Edgar Julius Jung oder Carl Schmitt - betont bürgerlich auftraten und oftmals eine gezielte Abgrenzung zu Hitler betrieben, den sie mit seinen Braunhemden als primitiv empfanden. Das entspricht dem heutigen dauernd zu hörenden "Ich bin kein Nazi". Vielmehr nutzten sie die fast identischen Argumentationsmuster wie ihre Wiedergänger heute. Warnt Pegida vor der Islamisierung des Abendlands, ging es damals gegen die Slawisierung desselben. Warnen rechte Stichwortgeber wie Thilo Sarrazin und AfD-Politiker heute vor dem Aussterben der angestammten Deutschen und der Gebildeten aufgrund der vergleichsweise niedrigen Geburtenraten im Vergleich zu Türken, Arabern und anderen Ausländern, warnte Jung damals vor der Ausbreitung des "Polentums", was dafür sorgen werde, dass es schon in den 1960er-Jahren keine Deutschen mehr geben werde.

Die "Konservative Revolution" ist bis heute eine Vorlage für die neue Rechte. Und wie ihre Vorbilder in den 1920ern sehen die neurechten Köpfe von heute ihre Aufgabe in der Dekonstruktion der bestehenden Ordnung, bevor sie später einen angestrebten autoritären, antiwestlichen, fremdenfeindlichen und homophoben Staat errichten wollen.

Christoph Giesa

ist Publizist und Strategieberater. Von ihm erschien vor wenigen Tagen gemeinsam mit Liane Bednarz das Buch Gefährliche Bürger. Wie die neue Rechte in die gesellschaftliche Mitte vorstößt - und was die Gesellschaft dagegen tun kann.

Schon während der Weimarer Republik war die Rede von der "weibischen Demokratie", die in ihrer mühsamen Kompromissfindung das Volk lähmt. Schon damals raunte man, die etablierte Politik sei nur Diener der Interessen fremder Mächte. Und schon damals wurden die etablierten Medien als Vasallen der "Volksverräter" geschmäht. Die rechten Parolen von heute, die etablierte Politik liefere Deutschland den Zuwanderern aus und habe sich in der Eurorettungspolitik deutsche Interessen aufgegeben; die Schmähungen der Medien als "Lügenpresse"; und die Behauptung, Deutschland sei nicht frei, sondern werde von finsteren ausländischen Mächten (USA, IWF) gesteuert, knüpfen genau dort an.

Dass der derzeitige Angriff verdeckt geschieht - verdeckter zumindest als damals -, dass sich die Angreifer als unterdrückte Opfer inszenieren - geknechtet von "Gutmenschen", überzogen von "Meinungsterror" und "Denkverboten" - ergibt aus Sicht der neurechten Strategen durchaus Sinn. Als Angegriffener, so die Logik, hat man die Sympathien auf seiner Seite, wenn man sich wehrt. Noch dazu würde es dem Anliegen sogar eher schaden, wenn man sich öffentlich erklären und eine Gesellschaftsordnung nach neurechtem Vorbild fordern würde, die man sich ungefähr so vorstellen kann, wie das, was derzeit in Putins Russland zu beobachten ist.

Noch, so ahnt man bei den neurechten Vordenkern, ist die Gesellschaft längst nicht reif für die offene Attacke. Wer heute einen antidemokratischen Staat skizzieren würde, könnte damit kaum etwas gewinnen. Der Trick, den man stattdessen anwendet, ist einfach: Man inszeniert sich auf den Pegida-Demonstrationen, sonstigen rechten Veranstaltungen und im Internet selbst als Demokraten - obwohl man das genaue Gegenteil der Demokratie als Ziel hat. Man formuliert einen vermeintlichen einheitlichen Volkswillen, den es in einer pluralistischen Gesellschaftsform niemals geben kann, und schimpft jeden, der sich dagegen stellt, als Volksverräter und Antidemokraten. "Wir sind das Volk", die Parole der Montagsdemonstrationen von 1989, hat auch heute noch einen guten Klang. Zu Ende gedacht, ist sie allerdings nur in einer Diktatur legitim - in einer offenen Gesellschaft wie der unseren liegt ihr ein antidemokratischer Impuls zugrunde. Denn das Schlagwort besagt nicht nur, wer "das Volk" ist, sondern auch, wen man nicht dazu zählt.

Den Feind absolut zu setzen, um das Eigene zu bewahren, war schon einer der Leitgedanken Carl Schmitts. Und es ist genau das, was die neue Rechte heute wieder versucht. Der "Feind" sind dabei nicht nur ausländische Zuwanderer, sondern alle, die an die freiheitlich demokratische Grundordnung und die Geltung der Menschen- und Freiheitsrechte glauben.

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