Als Spieler wurde er sieben Mal österreichischer Meister mit der Austria, holte in Italien die Coppa mit Inter und feierte den Scudetto mit der AS Rom. Als Trainer führte er die Nationalmannschaft im Jahr 1998 zu ihrer bisher letzten Weltmeisterschaft. Kurz vor seinem 67. Geburtstag spricht Herbert Prohaska im Interview über die Chancen, dass sich Österreich wieder einmal für eine WM qualifiziert, über Teamchef Ralf Rangnick, italienische Ultras und die Entwicklungen auf und abseits des Feldes.
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Fotostrecke 9 Bilder"Wiener Zeitung": Im Juni startete Neo-Teamchef Ralf Rangnick in der Nations League mit einem Sieg, einem Unentschieden und zwei Niederlagen in seine neue Aufgabe. Wie haben Sie die Spiele gesehen?
Herbert Prohaska: Von den vier Spielen waren die ersten drei recht gut, das vierte dann nicht mehr. Allerdings ist es auch absurd, in zehn, elf Tagen vier Spiele zu bestreiten. Jedenfalls haben wir uns in den ersten drei Spielen gut verkauft. Aber ich glaube, nach vier Spielen ist es auch noch nicht seriös genug, ein Urteil zu fällen. Wichtig ist jedoch, dass es Ralf Rangnick schaffte, eine positive Stimmung bei den Fans und auch in den Medien zu kreieren.
Würden Sie sagen, dass Ralf Rangnick eine neue Ära im ÖFB prägen kann? So darf er beispielsweise auch bei den Nachwuchs-Nationalteams ein Wörtchen mitreden.
In der Vergangenheit lag seine Hauptkompetenz darin, Vereine in wenigen Jahren von ganz unten nach oben zu führen. Man darf aber nicht vergessen: Das waren immer Klubs. Bei einer Nationalmannschaft ist es nicht so einfach, er hat ja die Spieler nicht immer zur Verfügung. Aber ich bin davon überzeugt, dass er mit seinen Ideen einiges Positives bewegen wird.
Ein Kritikpunkt bei der Bestellung von Ralf Rangnick war, dass er kein Österreicher ist. Wie sehen Sie das? Braucht es einen österreichischen Teamchef?
Als Fan der österreichischen Nationalmannschaft ist es mir völlig wurscht, woher der Teamchef kommt. Ich möchte eine Nationalmannschaft sehen, die gewinnt. Die andere Seite ist natürlich, dass wir seit vielen Jahren unsere Trainerausbildung loben und auch erfolgreiche Trainer im Ausland haben. Wir nehmen jedoch kaum einen Österreicher als Teamchef. Ich hätte mich schon gefreut, wenn ein Österreicher drangekommen wäre. Ralf Rangnick hat sich in Europa jedoch einen riesigen Namen gemacht.
Sie sind der bisher letzte Teamchef, der uns zu einer WM geführt hat. Nun hat Ralf Rangnick das große Ziel sich für das Großereignis 2026 zu qualifizieren. Woran liegt es, dass wir so lange nicht bei einer Weltmeisterschaft waren? Ist es schwieriger, sich für eine WM zu qualifizieren als für eine Europameisterschaft?
Ich glaube nicht. Die Kriterien sind vielleicht immer ein bisschen anders. Es kommt beispielsweise auf die Gruppe an. Ich glaube, die Schwierigkeit liegt in der Menge der Spiele, weil du wirklich konstant sein musst. Wir haben uns damals grandios für die WM qualifiziert, weil wir wirklich kompakt waren. Von zehn Quali-Spielen haben wir acht gewonnen, ein Unentschieden geholt und nur eines verloren. Zudem haben wir nur vier Gegentore kassiert. Für die österreichische Nationalmannschaft war das schon etwas Außergewöhnliches. Heute vielleicht nicht mehr, da wir durchgehend Legionäre im Kader haben. Wenn wir uns für die nächste Weltmeisterschaft mit 48 Mannschaften nicht qualifizieren, dann können wir zusperren.
Sie haben es angesprochen. Viele Nationalteamspieler verdienen ihr Geld im Ausland. Hat Österreich ein gutes, ein durchschnittliches oder ein goldenes Nationalteam?
Wir haben auf alle Fälle ein gutes und es fehlt nicht sehr viel, um ein sehr gutes zu haben. Es gibt aber immer noch gewisse Problemzonen. Wir haben zum Beispiel auf der Position des linken Verteidigers nicht die größte Auswahl. Auch ein richtiger Knipser fehlt.
Wie hat sich der Fußball generell seit Ihrer Zeit entwickelt?
Zu meiner Zeit hat man den Ball bekommen und man ist mit dem Ball gelaufen. Im heutigen Fußball bekommt man den Ball und spielt ihn weiter. Wir sind noch viel mit dem Ball gelaufen, heute lässt man den Ball laufen. Sonst hat sich auch alles verändert. Wie in jedem Sport ist die medizinische Abteilung größer geworden. Die größte Veränderung betrifft die Taktik. Zu meiner Zeit gab es in Österreich ganz wenig Taktik, in Italien war es mir viel zu viel, es ist mir ständig auf die Nerven gegangen. Heute beschäftigt sich jeder mit Taktik. Der heutige Fußball ist viel besser als zu meiner Zeit. Aber zur Rettung meines Fußballs: Zum Anschauen war der schöner.
Sie haben fußballerisch zwei Welten erlebt. Einerseits die österreichische und während ihrer Zeit bei Inter Mailand und AS Rom die italienische Fußballwelt. Können Sie uns sagen, wie der Fußball in Italien gelebt?
Es ist eigentlich dasselbe: Die Italiener leben für den Fußball und sie lieben den Fußball. Als ich zu Inter gekommen bin, habe ich fast ein bisschen gelitten. Bei der Austria hatte ich fast alle Freiheiten, und in Italien ging es ständig Mann gegen Mann. Da hast du nicht mehr viel Freiräume gehabt und musstest dich durchsetzen. Aber es war natürlich ein Traum, weil immer mindestens 50 bis 60.000 im Stadion saßen. Und ich hatte den Eindruck, dass niemand wichtiger als ein Fußballer ist. Das ist natürlich angenehm, weil du dir viel größer vorkommst, als du es wirklich bist.
Der italienische Fußball ist, trotz seiner schönen Seiten, teilweise auch von einem übersteigenden Rassismus und Nationalismus geprägt. Vor allem beim Stadtrivalen von AS Rom, Lazio Rom, gab es in der Vergangenheit einige Vorfälle. Wie haben Sie das damals mitbekommen?
Davon habe ich relativ wenig mitbekommen, da ich in Rom kein Derby gespielt habe. Ich habe das alles also erst später mitbekommen. Die Ultras-Bewegung in Österreich, das kam ja zu einem Großteil aus Italien. Aber Ultras sind ja eigentlich nichts Schlechtes. Schlecht sind Gruppen, bei denen du den Eindruck hast, nur sie selbst und nicht der Klub oder die Mannschaft sind wichtig. Einmal habe ich gelesen, dass es in Dortmund einen Fanklub gibt, in den du nur beitreten kannst, wenn du eine Kampfsportart ausübst. Da frage ich mich: Geht's denen wirklich um Borussia Dortmund? Fußball selbst ist ein Traum, vieles rundherum ist zum Erbrechen. Genauso wie bei den Transfers. Das ist ja wie eine Komödie, wenn ich lese, dass Erling Haaland zu Manchester City wechselt und sein Vater auch fünf Millionen bekommt.
Der Fußball hat natürlich auch schöne Seiten. Zugehörigkeitsgefühl und Heimat sind ja auch positive Dinge. Als Fußballer haben Sie die Welt gesehen. Was bedeutet für Sie eigentlich Heimat?
Heimat ist dort, wo du gerade lebst, die Voraussetzung ist, sich wohlzufühlen. Als ich in Rom war, gab es den Plan, gar nicht mehr nach Österreich zurückzugehen. Aber ich bin mit Leib und Seele Wiener, auch wenn ich schon seit 37 Jahren in Klosterneuburg lebe. Das heißt, in Wien fühle ich mich wohl, in Klosterneuburg fühle ich mich wohl. Voraussetzung: Ich habe meine Familie um mich herum.
Sie haben vor Ihrer Karriere eine Lehre als Automechaniker gemacht. Schätzen Sie es, vor der Fußballerkarriere auch die richtige Arbeitswelt gesehen zu haben? Hilft das?
Natürlich hilft das! Zum einen hilft das, wenn Leute sagen: Du hast leicht reden, du hast als Fußballer immer gut verdient. Ich war jedoch dreieinhalb Jahre richtiger Automechaniker-Lehrling. Meine Eltern haben anfangs gesagt: Du musst einen Beruf lernen, weil uns sonst die Nachbarn ausrichten.
Dennoch wurde es dann der Profifußball, wobei vor allem die Austria eine wichtige Rolle gespielt hat - und Sie für die Austria. Im vergangenen Mai widmeten Ihnen die Fans beim Derby eine Choreographie. Wie schafft man es, obwohl man schon über zwanzig Jahre weg vom Klub ist, immer noch so beliebt zu sein?
Da kriege ich fast die "Ganslhaut", weil mir das unheimlich schmeichelt. Ich steige aus einem Auto aus und zehn Meter später fragt mich jemand, ob er ein Selfie mit mir machen darf. Seit ich zum Spielen aufgehört habe, habe ich zu solch einer Bitte noch nie Nein gesagt. Ich würde nie sagen, ich habe keine Zeit und wenn ich wirklich keine Zeit habe, würde ich sagen, er soll sich mit dem Foto beeilen. Und wenn hundert ein Foto wollen, mache ich hundert Fotos, weil ich das ganz einfach schätze. Da muss man schon sehr dankbar sein, weil das etwas ist, was auch als Fußballer wollte: Den Leuten zusätzlich Spaß zu machen und für sie zu spielen.
Nach Ihrer Trainerkarriere sind Sie dann zum ORF gegangen. Wie kam es dazu?
Eigentlich habe ich ja nicht vorgehabt, das ständig zu machen. Es war so, dass mich Frank Stronach im April 2000 hinausgeworfen hat. Dann war die Euro in Holland und Belgien, und ich habe das Angebot bekommen, mitzumachen. Meine Auftritte haben ihnen gefallen, weshalb es die Abmachung gab, so lange zu bleiben, bis ich wieder einen Trainerjob habe. Es hat sich dann aber nicht mehr ergeben. Und irgendwann habe ich mich für das einfachere, angenehmere und viel familienfreundlichere Leben entschieden. Meine Familie hat sich immer nach mir gerichtet. Da habe ich gesagt, irgendwann zahle ich euch das zurück.
Werden Sie auch in Katar dabei sein?
Nein, wir machen alles aus dem Studio vom Küniglberg. Wenn Österreich sich qualifiziert hätte, wären wir natürlich alle dort gewesen.
Ist es nicht sogar gut, bei dieser fragwürdigen WM nicht vor Ort zu sein?
Einerseits ja, andererseits sind für mich alle teilnehmenden Länder, die heute sagen, dass man dort keine WM spielen dürfte, in gewisser Weise heuchlerisch. Damals, als feststand, dass Katar einer der Kandidaten ist, hätte jede Nation, vor allem in Europa, sagen müssen: Dort gibt es keine WM, und die dürfen kein Kandidat sein. Heute hinzugehen und zu sagen, dass wir da nicht spielen dürfen, ist viel zu spät.
Sie waren Automechaniker, Fußballprofi, Trainer, ORF-Kommentator und Werbefigur - womit wollen Sie in Erinnerung bleiben?
Die Erinnerung ist mir eigentlich wurscht. Das was mir wichtig war: Das Einzige, das ich kann, ist Fußball. Von der unbeschwerten Jugendzeit bei Ostbahn XI über den Profisport als Spieler und Trainer bis zum TV. Mein ganzes Leben lang bin ich mit dem Fußball verbunden gewesen, und das ist ein Traum.*