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Die goldenen Zwanziger · ballesterer

Autoren: Mario Sonnberger, Tobias Kurakin, Christoph Bosnjak


Österreich, Wales und die letzte Chance, zu einer umstrittenen Weltmeisterschaft zu fahren - das gibt es nicht zum ersten Mal. Im September 2017 zerplatzten die Hoffnungen der Mannschaft von Marcel Koller im Herbstwind von Cardiff. Ben Woodburn krönte sich mit dem Tor zum 1:0 zum zweitjüngsten Waliser Torschützen der Geschichte, Österreich leitete einen Umbruch in die Wege. Auf Koller folgte Franco Foda - und viereinhalb Jahre später hängt auch dessen berufliche Zukunft an einem Spiel in Cardiff.

Doch in beiden Teams hat sich viel geändert: Woodburn, damals ein Juwel des Liverpool FC, kämpft bei Heart of Midlothian mit seiner Form. Auch der Name Gareth Bale hat an Glanz verloren. Der 32-Jährige spekuliert mit dem Abschied aus der Nationalmannschaft, sollte Wales an der WM-Qualifikation scheitern. In Österreich, wo man David Alaba und Co. in den letzten Jahren gern als Goldene Generation bezeichnet hat, drängt schon der nächste Jahrgang ins Rampenlicht.

Junge Dirigenten Ob nach der WM oder vielleicht sogar in Katar - an Nicolas Seiwald von Red Bull Salzburg wird kein Weg vorbeiführen. Der 20-Jährige ist das Um und Auf im Mittelfeld des Tabellenführers. Als Prototyp der konzerneigenen Philosophie wechselte Seiwald als Achtjähriger von seinem Heimatort Kuchl in die Red-Bull-Jugend. Dort durchlief er alle Akademiemannschaften, über den FC Liefering schaffte er den Sprung in die Bundesliga und erspielte sich in der laufenden Saison einen Stammplatz beim Serienmeister. Wie wichtig Seiwald für Salzburg ist, musste zuletzt Rapid erfahren. Der Mittelfeldspieler wurde ein Monat nach einer Knieoperation in der 57. Minute eingewechselt und verlieh den Salzburgern die bis dahin fehlende Stabilität im Zentrum. So konnte er das Spiel zugunsten seiner Mannschaft drehen.

Auch auf Nationalteamebene läuft es. Ende März 2021 feierte Seiwald sein Debüt im U21-Team, rund acht Monate später kam er in der WM-Qualifikation gegen Israel und Moldawien auch im A-Team zum Einsatz. Bei den beiden Siegen im Wörtherseestadion spielte Seiwald neben Florian Grillitsch als Sechser und brachte in Abwesenheit der Ex-Salzburger Konrad Laimer und Xaver Schlager die nötige Physis ins Spiel. Auch für Grillitsch, der den Spielaufbau des Nationalteams maßgeblich mitbestimmt, scheint eine Personalreserve schon gefunden: Matthias Braunöder, Kapitän des U19-Nationalteams. Der Burgenländer ist seit 2011 bei der Wiener Austria und der Taktgeber ihrer neu strukturierten jungen Mannschaft. Anfang Dezember 2021 erzielte er im Derby nach 49 Sekunden sein erstes Bundesliga-Tor und ist - neben dem bis 2025 unter Vertrag genommenen Stürmer Muharem Huskovic - eines der Gesichter des Umbruchs in Favoriten.

Schneller Wimmer, langsamer Wandel Während Braunöder und Huskovic noch im ÖFB-Nachwuchs ihr Glück versuchen, kommt ein ehemaliger Vereinskollege dem Nationalteam immer näher: Patrick Wimmer. Der 20-Jährige wechselte im Sommer 2021 zu Arminia Bielefeld. In der deutschen Bundesliga verbucht er im Schnitt alle zwei Partien einen Scorerpunkt, seine Tore und Assists geben in engen Spielen den Ausschlag. Wimmer mache immer wieder verrückte Sachen, sagte Trainer Frank Kramer Ende Jänner nach Bielefelds Sieg in Frankfurt. Wimmer steuerte einen Assist per Rabona bei: von der rechten Seite aus flankte er den Ball hinter dem linken Standbein in den Strafraum, Landsmann Alessandro Schöpf vollendete. Er habe jugendlichen Irrsinn, sagte Tormann Stefan Ortega.

Diese Unbekümmertheit zeichnete Wimmer auch schon bei der Wiener Austria aus. Vom SV Gaflenz aus der Landesliga gekommen, übersprang er praktisch die Young Violets und debütierte nach vier Monaten in der Bundesliga. Wimmer verfügt über Eigenschaften, die Spielern abseits des Akademiesystems häufiger zugeschrieben werden: körperliche Präsenz und Spontaneität. Den Nachteil mangelnder taktischer Ausbildung kompensiert er jetzt durch Lehrjahre in Deutschland.

Teenage Dream - Patrick Wimmer will sich mit jugendlichem Irrsinn in Deutschland durchsetzen

Das könnte Wimmer in die erste Reihe katapultieren, wenn der große Unberechenbare unter den Angreifern, Marko Arnautovic, kürzertreten muss und im Halbraum hinter den Spitzen - oder ganz vorne - eine Stelle frei wird. Im notorisch unkreativen Sturm könnte er mit starker Physis und Mut zum Dribbling zur Stütze werden. Das ist auch Hannes Wolf zuzutrauen, der als Leihspieler in der zweiten englischen Liga bei Swansea zu überzeugen weiß. Auf der Insel bekam der 22-Jährige innerhalb von zwei Wochen bereits mehr Einsatzminuten als in Mönchengladbach unter Adi Hütter. „Er kann Vorlagen geben, Tore schießen und für ständige Gefahr sorgen", sagte sein Trainer Russell Martin. „Er wird unser Spiel verbessern."

Während sich die Offensive in der Selbstfindungsphase befindet, ticken die Uhren in der Verteidigung langsamer. Aleksandar Dragovic und Martin Hinteregger haben zusammen schon 163 Länderspiele auf dem Buckel, ihre etatmäßigen Ersatzspieler Stefan Posch und Philipp Lienhart immerhin 24 - in einer Defensive, die Real-Star David Alaba regelmäßig auf die Außenbahn zwingt. Potenzielle Nachfolger sind derzeit noch in Österreich zu finden. Emanuel Aiwu zog es im Sommer von der Admira Richtung Hütteldorf. Bei Rapid ist der Kapitän des U21-Teams Stammspieler in der Innenverteidigung. Für Maximilian Wöber wäre die Einberufung ins Nationalteam eine Rückkehr. In einer jungen Salzburger Mannschaft fand der einstige Rekordtransfer der Hütteldorfer zu alter Stärke zurück, nachdem er bei Ajax und Sevilla nicht glücklich wurde.

Effizienz in Cardiff Vorerst muss aber noch die Goldene Generation die Erfolge einspielen. Deren unmittelbare Zukunft heißt Wales, das durch Effizienz und Disziplin überzeugt. Die Mannschaft von Robert Page ist zudem äußerst heimstark: Seit November 2018 musste sich Wales zu Hause nicht mehr geschlagen geben. Diese Serie brachte das Team auch zur Europameisterschaft 2021, wo sie im Achtelfinale letztlich den übermächtigen Dänen 0:4 unterlagen.

Das walisische Spiel lebt von Härte - gleich zwei Rote Karten musste die Mannschaft bei der EM hinnehmen. Die Offensive rund um Cardiff-Stürmer Kieffer Moore ist jedoch gnadenlos. Bei 37 Torschüssen in acht Partien konnten die Waliser 14-mal jubeln und damit unter anderem Belgien in Cardiff ein 1:1 abtrotzen. Gegen das EM-Überraschungsteam aus Tschechien sicherten sich die Waliser mit einem 1:0 daheim und einem 2:2 auswärts den Vorteil im letztlich für das Play-off-Ticket entscheidenden Kampf um Platz zwei. In der Nations League darf sich Wales mit Polen, den Niederlanden und erneut Belgien messen. Den Aufstieg in die erste Staffel erarbeitete sich das Team mit beinahe makellosen Spielen gegen Irland, Bulgarien und Finnland. Dabei ließ die Mannschaft von Page nur beim benachbarten Irland mit einem 0:0 Punkte liegen.

Auf der anderen Seite - Robert Page trainiert die Waliser zu Härte und Heimstärke

Kann Österreich Wales überwinden und übersteht auch die nächste Runde, ist zumindest klar, wer das Team bis Jahresende trainieren wird. Schafft Franco Foda die WM-Qualifikation, verlängert sich sein Vertrag automatisch.

Heimische Inszenierung Wann immer Fodas Vertrag ausläuft oder er zurücktritt, muss sich der neue ÖFB-Präsident Gerhard Milletich nach einem Nachfolger umsehen. Eine heimische Lösung solle es dann werden, wird immer wieder kolportiert. Diese sind aber rar gesät. Ralph Hasenhüttl ist in England zu erfolgreich, um zum Team zu wechseln. Auch Adi Hütter, der in Mönchengladbach wackelt, und Eintracht-Frankfurt-Trainer Oliver Glasner warten nicht auf den Anruf aus der ÖFB-Zentrale. Dominik Thalhammer erntet gerade in Brügge die Früchte seiner Arbeit. Der ehemalige Teamchef der Frauen wäre fachlich und aufgrund seiner Erfolge im Verband ein logischer Kandidat, dem allerdings nach einem missglückten Engagement beim LASK die Hausmacht fehlen würde.

Von Andreas Herzog abgesehen, der wohl jederzeit bereitstünde, wäre das Nationalteam für einen ehemaligen Mitspieler die Krönung im Karriereplan: Peter Stöger. Durch seine Engagements in Köln und Dortmund genießt er noch immer hohes Ansehen, als ehemaliger Teamspieler weist er den nötigen Stallgeruch auf. Mit bald 56 Jahren ist Stöger auch nach eigenem Bekunden nicht mehr erpicht darauf, tägliche Trainings zu leiten. Einige Lehrgänge pro Jahr wären für den ehemaligen Sportvorstand der Wiener Austria ein geeignetes Betätigungsfeld. Stöger verkörpert auch vom Selbstverständnis jene Art Trainer, die das Nationalteam braucht. Er steht für kontrollierten Fußball. Hektik und Nervosität, die Fodas Mannschaft bei Ballbesitz das Leben schwer machen, weiß er zu vermeiden. Gleichzeitig muss das überhastete Pressing des Teams entschärft werden, das in den vergangenen Jahren immer wieder für empfindliche Niederlagen sorgte.

Die Foda-Ära verdeutlicht zudem, dass ein Teamchef kommunizieren können sollte. Das Nationalteam gilt als Gemeingut, das professionell in Szene gesetzt werden muss. Hinter den Kulissen ist das eine undankbare Aufgabe, auf dem Rasen absehbar das Gegenteil. Schließlich erneuert sich die Goldene Generation in den Zwanziger Jahren.

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