12 Abos und 10 Abonnenten
Artikel

Der Kampf geht weiter

Einige bauen neben ihrem zerstörten Haus ein neues. Sie wollen nicht warten bis die Situation gesetzlich geregelt ist und möchten so schnell wie möglich in ihre Heimat zurück – trotz der Giftstoffe in der Erde. © Christina Weise

Es ist die größte Umweltkatastrophe Brasiliens: Am 5. November 2015 brachen die Dämme zweier Rückhaltebecken einer Eisenerzmine im Bezirk Mariana. Der giftige Schlamm begrub 19 Menschen und einige Dörfer unter sich - und floss bis in den Atlantik. Bis heute kämpfen die Betroffenen um ihre Rechte.

„Am 5. November 2015 erfuhr ich erst von diesem Rückhaltebecken über uns. Ich wusste gar nicht, dass es existiert", erzählt Maria do Carmo. „Als meine Schwester mich an dem Tag anrief und sagte, dass der Damm dort gebrochen sei, hab ich ihr zuerst nicht geglaubt." Maria do Carmo wohnte mit ihrem Mann und den zwei Kindern im Dorf Paracatu. Es ist 70 Kilometer von Bento Rodrigues entfernt, dem Dorf das als erstes von der Lawine überschwemmt wurde. Es wurde von der Schlammlawine vollständig zerstört.


Mehr als 34 Millionen Kubikmeter Schlamm wälzten sich vor zwei Jahren talabwärts. Von den beiden Rückhaltebecken der Eisenerzmine der Firma Samarco entlang des Flusses Rio Doce bis in den Atlantik. Obwohl die Risse in der Staudammmauer bekannt waren, hatte Samarco das Becken durch eine massiv gesteigerte Fördermenge überlastet.


„Wir mussten den Schlamm gar nicht erst sehen. Der fiese Gestank und das laute Grollen waren kilometerweit zu hören. Der Strom fiel aus. Wir hatten Angst. Mein Mann öffnete die Tür, um zu sehen was da draußen los war - und trat in den Schlamm, der schon unser Haus erreicht hatte", Maria do Carmo holt tief Luft. Die Erinnerung schmerzt noch immer.


Wir alle sind Betroffene

Vor allem schmerzt sie, weil sie so präsent ist. Jeden Tag. Maria und ihre Familie leben in dem Haus eines Verwandten. Sie hatten Glück im Unglück. Mehr als 300 Betroffene wohnen auf engstem Raum in der Stadt Mariana oder immer noch in Notunterkünften. Einige von ihnen bekommen die Miete und ein kleines Taschengeld von Samarco bezahlt, aber es reicht nicht. Und längst nicht alle werden entschädigt. Denn für die Firma sind nur diejenigen Betroffene, deren Haus komplett vom Schlamm zerstört wurde. Die Tausenden, die ihr Haus verlassen mussten, da es jetzt in einem Risikogebiet steht, müssen noch mehr kämpfen. So wie Maria. Sie hat sich der Bewegung für von Staudammbauten Betroffene (MAB, Movimento dos Antigidos por Barragens) angeschlossen, ein langjähriger MISEREOR-Partner. Es hat geholfen: Ihre Familie wurde anerkannt und erhält kleine Entschädigungen.


Nun setzt Maria do Carmo sich mit MAB für die anderen ein. Sie nimmt an Seminaren und Pressekonferenzen teil, damit das Verbrechen nicht in Vergessenheit gerät. Sie ist bei den Diskussionen um die Rechte der Betroffenen in Mariana anwesend. Die werden übrigens nicht mit Samarco geführt, sondern mit Renova. Einer privaten Stiftung, die von der Bergbau-Firma gegründet und von der Politik bestätigt wurde, und sich um die Reparation kümmern soll.


Der Prozess ist langwierig. Viele Betroffene wurden noch nicht anerkannt, haben aber alles verloren: ihr Haus, ihr Einkommen, ihre Lebensgrundlage, also das Land auf dem sie Lebensmittel anbauten, das Vieh und die Fische - ihr Leben. „Deswegen müssen wir die Betroffenen schulen, sodass sie sich selbst organisieren und um ihre Rechte kämpfen können. Denn die Unternehmen sind gut strukturiert, haben alle Möglichkeiten und ziehen die Leute auf ihre Seite", sagt Joceli Andrioli, Vorsitzender der MAB im Bundesstaat Minas Gerais. Die wichtige Arbeit der MAB wird von MISEREOR unterstützt. „Dank der Unterstützung von MISEREOR können wir unsere Arbeit auf nationaler Ebene sehr gut durchführen. Ich schätze die Rolle von MISEREOR sehr, die sie hier in Bezug zum MAB einnehmen."


Samarco, ein Joint Venture zwischen dem brasilianischen Bergbaukonzern Vale und dem britisch-australischen Rohstoffunternehmen BHP Billiton, ist noch immer in Politik und Wirtschaft allgegenwärtig. Obwohl die Arbeiten im Bergwerk stillstehen. Es gibt strafrechtliche Verfahren gegen Samarco-Manager und Ingenieure - sogar wegen Mordes. Und Klagen auf Schadensersatz in Milliardenhöhe. Aber es dauert.


Frischer Fisch?


„Die Wälder sind zerstört, der Fluss ist tot, es gibt kein sauberes Wasser. Mein heute 5-jähriger Sohn hat kurz danach eine Lungenentzündung bekommen. Er hat immer noch Probleme. Der Staub hilft nicht bei der Heilung", erzählt Maria do Carmo. Ihre Stimme versagt.


Der Schlamm enthält Schwermetalle, die Rückstände davon glitzern heute in Paracatu in der heißen Sonne. Der rote Schlamm, rot wie die Erde hier, ist noch immer da. Nur ist er mittlerweile getrocknet. Die Ruinen der Häuser sind von feinem rotglitzernden Staub überzogen. Meterhoch liegt die trockene Erde am Straßenrand. Fährt ein Auto vorbei, steht man nach Sekunden in einer giftigen Wolke - und hustet noch Stunden später. Zur Regenzeit verschlimmert sich die Situation jedes Jahr. Die Giftstoffe werden dann weiter verteilt. Es werde noch zwei Jahre dauern, bis die Rückstände entfernt seien, so Renova. Dann aber auch nur an bestimmten Stellen, dort wo es am dramatischsten sei. Denn sie müssten dann ja wieder irgendwohin, die giftigen Rückstände. Das müsse erst geklärt werden.


Eine lange Zeit. Was das für Mensch und Natur bedeutet, ist unklar. Bisher widersprachen sich alle Messergebnisse. Erst im März dieses Jahres wurden endlich unabhängige Institutionen damit beauftragt, die Umweltauswirkungen zu erforschen. Joceli Andrioli sorgt sich um die Zukunft: „Wir wissen, dass Schwermetalle das Gehirn angreifen können. Alle sind hier von der Wasserverschmutzung betroffen. Sie sind vom Rio Doce abhängig. Viele trinken das Wasser, waschen sich damit, angeln. Und die Politik versagt. Sie hat nicht einmal das Angeln verboten. Denn die Firma sagt, die Fische seien wieder normal. Das ist eine Lüge. Wir fühlen uns alleingelassen in diesem Kampf, der doch alle betrifft."


Autorin: Christina Weise

Zum Original