"Weder dort, wo die Unterkünfte waren, noch dort, wo die Essensausgabe war, konnten wir den Abstand halten. Wir standen Schlange, klebten praktisch aneinander", sagt Valentin. Er, seine Freundin Anka und Kollege Dorin* haben bis vor Kurzem in Schwaben auf einem Spargel- und Erdbeerhof gearbeitet. Anka, Valentin und Dorin - das sind nicht ihre richtigen Namen. Sie wollen anonym über die Missstände berichten, die sie auf dem Spargelhof erlebt haben. Sie sind nur drei von fünf ehemaligen Arbeitern, mit denen der BR gesprochen hat.
Lücken beim GesundheitsschutzBestärkt werden ihre Aussagen durch Fotos und Videos, die dem BR zugespielt wurden: Sie zeigen, wie dicht gedrängt Arbeiter etwa bei der Essensausgabe und vor dem betriebseigenen Kiosk stehen, der einzigen Möglichkeit für viele Arbeiter, Lebensmittel zu kaufen. Aufgrund des Gesundheitsschutzes müssen die Arbeiter, die mit Sonderfliegern nach Deutschland einreisen, zwei Wochen ausschließlich auf dem Betriebsgelände verbringen. Das ist genauso wie die Einhaltung aller Hygiene- und Abstandsregeln Voraussetzung dafür, dass Erntehelfer überhaupt hier sein können. Für die Umsetzung des Arbeitsschutzes ist der Betrieb zuständig. Der Landwirt, bei dem Valentin, Anka und Dorin arbeiteten, wollte nicht persönlich mit dem Bayerischen Rundfunk sprechen. Über seinen Anwalt lässt er mitteilen: "Dieser Vorwurf ist falsch. Es wurden alle Personen über die Hygiene-Maßnahmen informiert."
Außerdem gibt er an: "Der ganze Betrieb steht unter faktischer Quarantäne." Doch diese wurde nicht eingehalten, wie die Recherchen nahelegen. Denn Dorin und ein weiterer Erntehelfer haben noch vor Ende ihrer Quarantänefrist den Hof verlassen. Als Grund hierfür geben sie die Arbeitsbedingungen an. Vorangegangen war unter anderem ein Streit darüber, ob Mitarbeiter am orthodoxen Ostern arbeiten müssten. Der Betrieb schreibt hierzu: "Es wurde das Arbeitsverhältnis innerhalb der Quarantänezeit mit zwei Saisonarbeitern einvernehmlich beendet (...). Auf eigenen Wunsch wurden die Arbeiter kostenlos an den Busbahnhof Ingolstadt befördert. Nach unserer Kenntnis wurden sie dort von (...) einem Fahrzeug mit rumänischem Kennzeichen abgeholt."
Dorin hat also - mit Hilfe des Betriebs - die Quarantäne verlassen. Seitdem ist er bei Bekannten untergekommen, weil er selbst kaum Geld hat und keine Rückreisemöglichkeit sieht.
Betrieb hat Ausweise einbehaltenEin weiterer Kritikpunkt der Erntehelfer, mit denen der BR gesprochen hat: Die Ausweise wurden mehrere Tage, teilweise sogar Wochen einbehalten. Dorin sagt dazu: "Ich bekam meinen Ausweis erst wieder, als ich gegangen bin."
Der Betrieb weist den Vorwurf in seinem Schreiben grundsätzlich zurück, räumt aber ein, er habe die Ausweise für wenige Tage zum Datenabgleich mit den Sozialversicherungen einbehalten: "Wegen der Corona-Krise (...) kann sich der Prozess bei manchen Erntehelfern eventuell etwas verzögert haben."
Sevghin Mayr vom gewerkschaftsnahen Projekt Faire Mobilität findet dieses Vorgehen bedenklich: "Der Arbeitgeber kann damit mehr Macht ausüben und dadurch die Arbeiter von ihm sehr abhängig machen." Erschwerend hinzu komme, dass nicht geklärt sei, wie diese Menschen zurückreisen könnten, wenn der Arbeitsvertrag vorzeitig aufgelöst werde, so Mayr.
Arbeiter sind komplett von ihrem Arbeitgeber abhängigIhr Kollege Oskar Brabanski fügt hinzu: "Die Erntehelfer sind sowieso schon abhängig, weil sie in der Regel auch dort wohnen, wo sie arbeiten. Das heißt, der Landwirt ist nicht nur Arbeitgeber, sondern auch Vermieter." Aufgrund der Corona-Pandemie und der damit vorgeschriebenen Quarantäne sind die Arbeiter völlig auf den Landwirt angewiesen: "Der ist nämlich jetzt auch für die Einhaltung der Hygienevorschriften verantwortlich." Dass es gerade in der Landwirtschaft immer wieder Probleme für osteuropäische Erntehelfer gibt, ist in den vergangenen Tagen deutlich geworden: Auffällig geworden ist nicht nur der schwäbische Spargelhof in Bayern, sondern auch Betriebe in Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Baden-Württemberg.
Das DGB-Projekt versucht deshalb nun, die Erntehelfer auf einem anderen Weg zu erreichen: Am Flughafen verteilen sie - unter Wahrung der Hygiene-Vorschriften - nicht nur ihre Visitenkarten, sondern auch Informationen für Erntehelfer, die gerade ankommen: Es sind Flyer über die Rechte und Pflichten von Arbeitnehmern in Deutschland, insbesondere in der Landwirtschaft. "Es ist unsere einzige Möglichkeit, mit ihnen in Kontakt zu kommen und zu zeigen, dass sie auch hier in Deutschland eine Anlaufstelle in ihrer Muttersprache haben", sagt Sevghin Mayr von der Fairen Mobilität.
Die ehemaligen Erntehelfer des schwäbischen Spargelhofs haben nun bei dem DGB-Projekt Hilfe gesucht. Erntehelferin Anka kann immer noch nicht glauben, was ihr in Deutschland passiert ist. Sie sagt: "Ich stehe unter Schock. Manchmal liege ich im Bett und frage mich: Werde ich mal wach? Ist das vielleicht ein Albtraum?"
* Namen von der Redaktion geändert