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Kranführer: Hier gilt unten vor oben

In der Pause klettert Marcin Dainczyk nicht nach unten. Stattdessen lässt er sich gerne mal auf dem Ausleger durchpusten. Im Führerhäuschen wurden schon 50 Grad Celsius gemessen. Foto: Norden

Neumünster | Die Stufen zu seinem Arbeitsplatz hat Marcin Dainczyk noch nie gezählt. Es sind einfach zu viele. Der 36-jährige Pole hat den zurzeit höchsten Arbeitsplatz der Stadt. Knapp zehn Minuten lang steigt er steil die Leiter hoch. In 45 Metern Höhe befindet sich sein Ziel: das Führerhäuschen, von dem aus er seinen Kran über die Baustelle der Holsten-Galerie steuert. Der Courier hat ihn da oben besucht.

Seit um 7 Uhr sitzt Dainczyk schon hier oben. Seine Kollegen vom Baudienstleister Wolff und Müller am Boden sieht er nur in der Frühe und nach Feierabend. Oben auf seinem Kran ist er, genau wie die fünf anderen Kranführer der polnischen Firma Ok Polska, ganz auf sich gestellt. Die Menschen am Boden sind nur kleine Punkte, aber Höhenangst war für den Kranführer noch nie ein Problem.

Über das Funkgerät bekommt der Kran mit der Nummer 6 seine Aufträge, manchmal pfeifen und winken die Kollegen Dainczyk aber auch einfach zu. „Ich habe die Baustelle fest im Blick und transportiere alles hin und her, was die Kollegen brauchen", sagt der Pole. Sein Kran kann bis zu drei Tonnen heben. Wie viel Last am Seil hängt, wird ihm von einem kleinen Computer angezeigt.

Beim Steuern zeigt sich Dainczyks zwölfjährige Arbeitserfahrung. Mit ganz viel Feingefühl bugsiert er die Seilwinde zur Last. Geschafft! Jetzt ist Geduld gefragt. Ganz langsam bewegt der Kranführer den Joystick nach rechts. Bloß keinen Fehler machen. Er muss am besten alles gleichzeitig im Auge behalten: das Treiben am Boden und die anderen Kräne neben ihm, denn die bis zu 50 Meter langen Ausleger überschneiden sich nicht in der Höhe, aber sehr wohl in ihrer Reichweite: Die Lasten am Stahlseil können sich durchaus ins Gehege kommen. „Im Straßenverkehr gilt rechts vor links, bei uns unten vor oben", erklärt Dainczyk.

Frühstückspause: Während sich die knapp 60 Kollegen unten mit Brötchen und Kaffee versorgen und einen Klönschnack halten, bleibt Dainczyk in seinem knapp drei Quadratmeter großen Führerhäuschen. Weil der Abstieg so lange dauert, muss der Kranführer seinen Tag ernährungstechnisch genau planen. Nicht zu viel trinken, lautet die Devise, denn auch der Weg zur nächsten Toilette ist weit. Und was passiert, wenn die Blase doch mal drückt? „Dafür habe ich immer eine leere Flasche hier oben", schmunzelt der Kranführer. Die Pause nutzt er, um auf dem Ausleger ein bisschen Luft zu schnappen. „Im Führerhäuschen haben wir neulich 50 Grad gemessen, da tut ein bisschen Wind ganz gut", so Dainczyk. Vom Kran aus hat er den besten Blick über die Stadt. „Neumünster ist schön grün", sagt er.

Voraussichtlich bis Dezember ist er noch auf der Baustelle in der Innenstadt im Einsatz. Spätestens bis März 2015 sollen die Rohbauarbeiten abgeschlossen sein. Dann wird Dainczyk schon wieder auf einer anderen Baustelle seinen Kran hochklettern - vielleicht wieder etwas näher an seiner Heimat Bytom, wünscht er sich. Denn im Moment fährt er jedes Wochenende über 850 Kilometer nach Hause, um seine Frau und seine Tochter sehen zu können.


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