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2,70 Euro Stundenlohn für Hebammen

Hebamme Franciska Lunow versorgt Neugeborene wie den kleinen Tom Manke zuhause. Das ist nicht selbstverständlich. Viele werdende Mütter finden in Neumünster keine Hebamme mehr.

Neumünster | Wer in Neumünster und Umgebung schwanger wird, hat ein Problem: Es wird immer schwieriger, eine Hebamme zu finden, die vor und nach der Geburt Mutter und Kind betreut. Darauf machten gestern Hebammen auf dem Großflecken aufmerksam. Aktuell kümmern sich in Neumünster noch acht freiberufliche Hebammen um 900 werdende Mütter pro Jahr. Ab Juli sind es nur noch acht, und tendenziell werden es noch weniger.

Grund dafür sind die immer höheren Prämien für die Haftpflichtversicherung. Seit 2004 stiegen die Beiträge um 276 Prozent, von jährlich 1352 Euro auf 5091 Euro ab Juli 2014. Hebammen werden zur Verantwortung gezogen, wenn bei der Geburt etwas schief geht. „Weil Kinder mit Geburtsschaden dank modernster Medizin aber immer länger leben und somit auch immer länger Schadensersatz gezahlt werden muss, steigen auch die Versicherungskosten", erklärt Bärbel Noack-Stürck. Die Großharrierin ist Vorsitzende des Hebammenverbands und weiß, dass ihr Beruf immer unattraktiver wird. „Wer heute als Hebamme arbeiten will, braucht einen gut verdienenden Ehemann oder einen zweiten Job", ärgert sie sich. „Zieht man alle Kosten ab, bleibt Hebammen ein Stundenlohn von mageren 2,70 Euro." Viele Hebammen haben darum ihren Job an den Nagel gehängt, weitere stehen kurz davor.

Doch schon jetzt ist die Betreuungssituation schlecht: „Werdende Mütter standen schon vor meiner Haustür und haben gefleht, sie zu betreuen", berichtet Bärbel Noack-Stürck. Aber mehr als fünf Frauen im Monat können die Hebammen, die häufig selbst Mütter sind und in Teilzeit arbeiten, nicht betreuen. „Aber wo bleiben dann die Übrigen?", fragt sich auch Franciska Lunow. Die Hebamme aus Einfeld muss wöchentlich mindestens zwei Frauen absagen. Darum sollten Frauen sich schnellstmöglich um eine Hebamme kümmern, wenn sie von der Schwangerschaft erfahren, rät Lunow.

Um den Beruf wieder attraktiver zu machen, hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) nach Angaben der Hebammen einen ersten Schritt angestoßen. Er setzt sich unter anderem für einen Sicherstellungszuschlag bei der Hebammenvergütung durch die Krankenkassen ein. Diese Art der Subfinanzierung soll den Hebammen helfen, damit sie die hohen Haftpflichtprämien bezahlen können. Das Grundproblem - die hohen Prämien - bliebe allerdings bestehen, meint Bärbel Noack-Stürck.

Vielen Neumünsteranern war das Problem nicht in der Weise bewusst. „Hebammen muss es doch geben, es gibt doch auch Kinder", habe ihr ein Passant erwidert, sagt Noack-Stürck. „Aber Hebammen wachsen nicht auf Bäumen, die kann man nicht einfach pflücken", ärgert sie sich.

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