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Woran wir uns messen lassen müssen

BUCHMESSE 1 Draußen Regen, drinnen hitzige politische Debatten: Impressionen aus Frankfurt, noch bis morgen „Welthauptstadt der Ideen"


Als „Welthauptstadt der Ideen" präsentiert sich die Buchmesse in einem verregneten Frankfurt. Es sollen vor allem politische Überlegungen sein, denen beim Messenjahrgang 2015 stärker als bisher ein Forum geboten wird. Eine erste Spur, die sogleich zum Fernbleiben iranischer Aussteller führte, legten die Messeleiter am Dienstag durch die Einladung des mit einer Mord-Fatwa belegten Autors der „Satanischen Verse", Salman Rushdie, als Keynote-Speaker.

Toleranz und Meinungsfreiheit - so leuchtend man sie sich auch mit Blick auf die Charlie-Hebdo-Morde auf die Fahnen schrieb - kann man allerdings seither mit der Lupe suchen. Da muss die schiere Menge an frisch Gedrucktem für sich stehen. Rushdie bringt das in seiner Rede auf die Formel: „Zurzeit fühlt sich das friedliche Publizieren an wie Krieg."

Verbale Abrüstung ist gefragt. Der frisch gekürte Buchpreisträger Frank Witzel („Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969") jedenfalls sieht eine neue Zeit der Sprachkritik gekommen. Formulierungen wie „Wir schaffen das", die mögliche Überlastung schon in sich tragen, möchte er nicht unhinterfragt stehen lassen, sagte er bei einem Autorengespräch. Der kleine kahlköpfige Hesse wirkt ob der Würdigung ziemlich verdattert.

Zahlreiche politische Diskussionsrunden kreisen um die brennenden Fragen, wie weiter mit den Flüchtlingen, was tun in der Ukraine, in Syrien, mit Russland. Immer wieder müssen sich dort Freiheit und Demokratie als Werte auf den Prüfstand zerren lassen.


Erpenbeck über Lybien


Jenny Erpenbeck, die mit ihrem Flüchtlingsroman „Gehen, ging, gegangen" auf der Shortlist für den Buchpreis stand, findet im Gespräch mit dem hessischen Oppositionsführer Thorsten Schäfer-Gümbel, der Arabische Frühling habe doch dem, „was da jetzt ist" und die Fluchtbewegungen auslöse, beispielsweise in Libyen, erst Tür und Tor geöffnet. Im Klartext: Mit Gaddafi wäre das nicht passiert. Solch billigem Demokratiebewegungs-Bashing hätte der SPD-Politiker beinahe zugestimmt, kriegt dann aber noch die Kurve und verweist auf Osteuropa: Dort herrsche doch wohl, trotz aller restaurativen Tendenzen, größere Freiheit als vor dem Fall des Eisernen Vorhangs.

Nach Griechenland und der Schuldenkrise kräht kaum noch ein Hahn. Als Giorgos Chondros vom Syriza-Parteivorstand sein Buch „Die Wahrheit über Griechenland, die Eurokrise und die Zukunft Europas" präsentiert, findet sich eine Handvoll Leute ein. Nicht mal auf diese macht das gebetsmühlenartige Wiederholen der Position von Exfinanzminister Varoufakis durch den etwas selbstgefälligen Redner sonderlich Eindruck. Nicht ohne Häme spricht Chondros von der Prüfung Europas durch die Flüchtlinge, die der Erschütterung durch die Schuldenkrise durchaus das Wasser reichen könne. Falls es den „Propagan­da­krieg gegen Syriza", von dem er sprechen möchte, je gab, hier hat zumindest die Moderation die Waffen schon gestreckt.

Mehr Wumms, aber auch mehr Man- und Womanpower, und eine riesige Traube an Zuhörern hat eine Runde zum „Putinismus". Prominent besetzt mit dem Historiker Jörg Baberowski, seiner russischen Kollegin Irina Schwerbakowa und den langjährigen Korrespondenten Kerstin Holm (FAZ) und Thomas Urban (SZ), geht es mit Osteuropa-Expertise ans Eingemachte. Dass Putin die Kooperation mit Deutschland, dem Westen insgesamt aufgekündigt hat, darin waren sich alle einig. Ebenso darin, dass die Enttäuschung der russischen Bevölkerung über fehlende demokratische und infrastrukturelle Modernisierungen ihre „Jetzt können uns alle mal"-Haltung beflügele.

Doch es fliegen - im gesitteten Dialog, versteht sich - auch Fetzen, zum Beispiel bei der Frage, ob Putin eher als kluger Taktiker anzusehen sei, dem es zuerst um Machterhalt im Innern geht, der sich aber in seiner Außenpolitik strategisch verschätzt und es an Weitsicht mangeln lässt.

Gestritten wird auch darum, ob Deutschland eigentlich eine Strategie hat, mit der russischen Aggression in der Ukraine umzugehen. Baberowski hält anders als Holm und Urban die moralische Außenpolitik der Bundesregierung für gescheitert. Scherbakowa liegt irgendwo dazwischen. Wie es gerade Mode ist, zieht sie die vielen Flüchtlinge, wobei sie auch russische einbezieht, als Zeugen heran für weltweite Strahlkraft der westlichen demokratischen Staaten.


Ringen um Interpretation


Doch dann fällt ihr auf, dass damit allein noch kein internationaler Krisenherd gelöscht wird, und so setzt sie ein schönes Schlusswort: „Mit Appeasement lässt sich das nicht lösen." Das gilt gleichermaßen für Nahost. Zur gut besuchten Eröffnung des Forums „Weltempfang", das die Buchmesse, diesmal bei den inländischen Ausstellern platziert, rangelt Moderator Michel Friedman mit dem bärbeißigen Udo Steinbach und dem in Berlin lebenden Iraker Najem Wali um die richtige Interpretation des Arabischen Frühlings und seines Scheiterns. Wali macht die Überschwemmung der Region mit saudischen Petrodollars und Waffen, die auch aus Deutschland stammen, verantwortlich und hält den westlichen Interventionismus für gründlich diskreditiert: „Schauen Sie sich doch den Irak an."

Da kommt einem sogar Steinbach differenziert vor, obwohl der gegen Israel ätzt. Immerhin weiß der Islamwissenschaftler zu erwidern, das Problem in Afghanistan oder im Irak seien nicht Interventionen, sondern Regierungen, die man danach installiert habe. Und in Syrien hätte man 2011 intervenieren sollen. Die Flugverbotszone hätte es gebraucht und eine Schutzzone für Flüch­ten­de.

Genau solche Diskus­sio­nen braucht eine Buchmesse, die Denkfabrik sein will. Als Fazit nimmt man mit in den Regen, dass sich der Westen zwar dauernd an seinen Werten messen lassen muss. Dass das aber wohl kaum bedeuten kann, diese aufzugeben. Die Hände in den Schoß legen und sich auf die Werte verlassen allein genügt nicht.

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