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Didier Eribon über französische Zustände: Negative Leidenschaften

Die Chefin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, auf dem „Partriotischen Frühling“ in Österreich Foto: dpa

Seine essayistische Autobiografie „Rückkehr nach Reims" liest sich, als wäre sie eigens anlässlich des Aufwindes der Rechtspopulisten geschrieben


Es ist zum Heulen. Da schreibt einer der klügsten Köpfe Europas ein Buch über sein Leben und das Drumherum, ein über weite Strecken gesellschaftsanalytisches, das sich aber liest wie ein Roman. Ein Buch, das man nicht aus der Hand legen kann, das einem die Augen öffnet über die Schwierigkeiten, als Kind eines Fabrikarbeiters und einer Putzfrau den steinigen Weg bis an namhafte Universitäten und zu den erlesensten Zeitungen zu nehmen. Und darüber, wie es ist, diesen Weg als Schwuler gehen zu müssen.


Ein Buch, das zu alldem noch begeistert wegen des außergewöhnlichen Bemühens seines Autors, zu verstehen, warum so viele frühere Linkswähler nun eine rechtspopulistische Partei wie den Front National vorziehen. Und dann erreicht einen dieses Buch aus Frankreich erst mit sieben Jahren Verspätung.


Das ist kein Vorwurf an den Verlag, der sicher seine Gründe gehabt hat, Didier Eribons „Retour à Reims" erst jetzt in deutscher Übersetzung vorzulegen. Aber es sagt einiges über den Erklärungshunger der hiesigen Öffentlichkeit, dass dieses gar nicht so brandneue Buch von der Kritik gefeiert wird und im Nu vergriffen war, als hätte der heute 63-jährige Philosoph es eigens anlässlich der letzten AfD-Wahlerfolge und der Brexit-Abstimmung geschrieben. Eribons essayistische Autobiografie eignet sich offenbar immer mal wieder als Buch der Stunde.


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