Christiane E. Fricke

Freie Redakteurin & Journalistin

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Das Aus für den seriösen Kunsthandel

Deutschland ist das Land mit den meisten Sammlern, Galerien und Auktionshäusern. Doch die Steuerpolitik macht kleine und mittlere Galerien auf Dauer kaputt.


„In fünf Jahren wird die Hälfte aller Galerien nicht mehr existieren“. Michael Haas könnte aus der Haut fahren, wenn die Rede auf Steuern und Abgaben für Galeristen in Deutschland kommt. Gespannt wie ein Leistungssportler sitzt der Galerist mit seinem Team in einer Konferenz am Rande der Art Cologne. Das Wort hat die FDP-Politikerin Nicola Beer. „Ich halte die steuerrechtlichen Anwendungsvorschriften zum Bundesgesetz für Sabotage am deutschen Kunstmarkt“, fasst sie die Lage zusammen. Vehement setzte sich die ehemalige Kulturministerin Hessens dafür ein, dass der Wille der deutschen Gesetzgebung von den Länderfinanzministern umgesetzt wurde: für eine Pauschalmarge nach französischem Vorbild als Kompensation für den Fall der 7-prozentigen Mehrwertsteuer Anfang 2014. Doch Beer kämpfte auf nahezu einsamem Posten und verlor.

 

Jetzt versucht der deutsche Handel seiner preisbewussten Klientel zu erklären, warum es auf deutschen Rechnungen nun zu Preisaufschlägen kommt, die ihnen klare Wettbewerbsnachteile beschert. Michael Haas rechnet am Beispiel einer Graphik von Pablo Picasso vor: Den deutschen Sammler, der sich in New York für ein Blatt aus der 50er-Auflage interessiert, zahlt umgerechnet 200.000 Euro, macht zuzüglich 7 Prozent Einfuhrumsatzsteuer 214.000 Euro. Hier in Deutschland kostet es ihn bei 19 Prozent Umsatzsteuer plus 4 Prozent Folgerecht 246.000 Euro.

 

Übel sieht die Rechnung für die Galeristen aus, die Werke der von ihnen vertretenen Künstler bei anderen Galeristen in Kommission geben. Dieses Geschäft ist so gut wie tot, wenn man sich folgende Rechnung vor Augen hält. Von den 8.000 Euro, die dem Kollegen nach Abzug der 19-prozentigen Umsatzsteuer (1.600 Euro) und 4 Prozent Folgerecht (400 Euro) von einem Verkauf in Höhe von 10.000 Euro bleiben, behält er 2.000 Euro. 6.000 Euro hat er an Haas weiterzugeben. Der wiederum rechnet mit dem Künstler ab, der von ihm 50 Prozent von 10.000 Euro, also 5.000 Euro erhält. Haas zahlt mit 5,2 Prozent Künstlersozialkasse drauf (260 Euro). Verbleiben beim Stammgaleristen gerade einmal 740 Euro Verdienst. Haas, der auf der Art Cologne bezeichnenderweise nicht mit seiner Berliner, sondern mit seiner Züricher Galerie teilnimmt, zieht ein vernichtendes Fazit: „Es ist das Aus für den professionellen Kunsthandel in Deutschland.“

 

Klartext redet auch der mit seiner Weng Fine Art AG an der Frankfurter Börse notierte Kunstgroßhändler Rüdiger K. Weng: „Es lässt sich gegenüber den Aktionären kaum mehr rechtfertigen, Kunst von Deutschland aus zu verkaufen“, konstatiert er und zählt auf: „In den USA gibt es keine Umsatzsteuer, kein Folgerecht, und keine Künstlersozialkasse, so dass die Kollegen von dort dasselbe Kunstwerk zu einem um 25 Prozent günstigeren Preis anbieten können und dennoch eine höhere Marge haben.“ [Transaktionen im höheren Preisbereich würden zunehmend über internationale Freeports abgewickelt.]

 

Den Kunstmarkt in Deutschland sieht der Krefelder Kunsthändler, der 2014 zwei Tochterunternehmen in der Schweiz gründete, als „bereits verloren. Er wird auch nicht mehr zurückkommen.“ Die Nachbarländer würden mit unverhältnismäßig günstigeren Steuersätzen locken. In Frankreich (Regelsatz 20 Prozent) beträgt die Belastung nur 6 Prozent, in Luxemburg (Regelsatz 17 Prozent) 5,1 Prozent, weil in beiden Ländern die 30-Prozent Pauschalmargenbesteuerung genutzt werden kann. Außerdem liegt die Einfuhrumsatzsteuer in Ländern wie Großbritannien mit 5 Prozent deutlich niedriger.

 

Europa ist weit von der ursprünglich intendierten Steuergerechtigkeit entfernt, die EU aber ein zu träges „Dickschiff“, um in absehbarer Zeit Veränderungen einleiten zu können. Dabei sieht auch die EU-Politikerin Catherine Magnant Handlungsbedarf: „Europa braucht einfachere und effizientere Umsatzsteuerregeln“, konzediert sie. Ansonsten scheint man sich in Brüssel wenig für Deutschland zu interessieren. Zum Stand der Beratungen der zuständigen EU-Kommission über die fast schon hinterhältige Anfrage der deutschen Länderfinanzminister bei der EU, ob die in Frankreich praktizierte Pauschalmargenbesteuerung überhaupt EU-kompatibel sei, kann und will Magnant sich nicht äußern.

 

Doch wen wundert das noch in diesem Land, das im vorauseilenden Gehorsam, wenn nicht gar in einem Akt von Selbsthass alle Chancen auf eine standortförderliche Auslegung der neuen Umsatzsteuerrichtlinien vertan hat. Birgit Maria Sturm, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG), spricht von der „Wurzelbehandlung preussischer Hard-Core-Beamte“ und verweist auf „die unendlichen Schleichwege“, die andere Länder gingen.

 

Von dem Kölner Rechtsanwalt und Steuerberater Florian Greiner wird der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans mit folgendem, dem Kölner Stadtanzeiger gegenüber geäußerten Wortlaut zitiert: Dem Kunstmarkt gehe es nur darum, seine Privilegien zu bewahren. „Da arbeitet wohl jemand gegen uns“, folgert Greiner, für den die neue Mehrwertsteuerregelung nicht nur ein „bürokratisches Ungetüm“ ist, sondern auch noch handwerkliche Fehler enthält. „Sie ist für viele Fälle nicht anwendbar“, berichtet der Steuerfachmann. „Da könnten nur Fehler gemacht werden“.

 

Erschwerend kommt nach Angaben von Greiner hinzu, dass die deutschen Finanzbehörden – anders als ihre europäischen Kollegen – grundsätzlich streng prüfen, aktuell zur Pauschalmarge aber noch keine rechtsverbindliche Auskunft geben könnten. Das betrifft etwa Fälle aus 2014, als das vom Bund beschlossene neue Gesetz schon galt, der Anwendungserlass, der die Details regelt, aber noch nicht vorlag. Greiners Fazit: „Man ist nicht mehr gewünscht als Marktteilnehmer.“

 

Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die sich gemeinsam mit dem Bundesministerium der Finanzen bei den Ländern intensiv für eine kulturverträgliche Anwendung der Pauschalmarge eingesetzt hatte, sind die Hände gebunden. „Leider besteht wegen der Zuständigkeit der Länder derzeit keine weitere Einflussmöglichkeit der Bundesregierung“, stellt sie jüngst in einem Brief an Monika Beer fest. Die FDP-Abgeordnete ihrerseits fordert nun, dass der Deutsche Bundestag tätig wird: „Er muss durch eine Präzisierung seines Gesetzes dem Treiben der Finanzminister ein Ende bereiten, bevor der deutsche Kunstmarkt vollständig in das Ausland abgewandert ist.“

 

Für die Betroffenen ist der Kampf aber noch lange nicht beendet. Der BVDG möchte erreichen, dass die Bildende Kunst wie die Hörbücher auf die Liste der mehrwertsteuerbegünstigten Kulturgüter kommt. Derweil haben sich unter der Führung von Michael Haas ca. 80 deutsche Galeristen zu einer Taskforce zusammengeschlossen, um eine gezielte und ausdauernde Lobbyarbeit in Brüssel aufzubauen. Ihr Einsatz bedeutet Schwerstarbeit: Sie müssen mit Hilfe der Staatsministerin und Finanzminister Wolfgang Schäuble 28 Staaten dazu bringen, dass die Kunst auf die Liste der begünstigten Güter kommt. Parallel darf sich die Rechtsprechung in Deutschland (Judikative) darauf vorbereiten, zu beurteilen, ob sich obersten Finanzbehörden (Exekutive) mit ihrer Auslegung des Umsatzsteuergesetzes so weit von der Intention der Legislative entfernen darf.