Christian Volk

ZDF-Reporter und Redakteur, Mainz

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Studie zu Gefängnissen in der EU: Zahl der inhaftierten Terroristen steigt - DER SPIEGEL

Die Zahl der Terroristen und Extremisten in Europas Gefängnissen ist stark gestiegen. Das zeigt eine neue Studie des King's College in London, die dem SPIEGEL vorab exklusiv vorliegt.


Bei den Inhaftierten handele es sich vor allem um Anhänger der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), aber immer häufiger auch um Rechtsextremisten, sagt Terrorismusforscher Peter Neumann, der die Studie leitet. Auch für die Zukunft rechnet er mit steigenden Zahlen: durch die Rückkehr weiterer IS-Kämpfer in ihre Heimat und die Zunahme rechtsextremer Anschläge.

In den zehn EU-Staaten, die die Forscher untersucht haben, sitzen aktuell rund 1400 Terroristen im Gefängnis. Die meisten sind es laut der Studie in Frankreich, dort versechsfachte sich ihre Zahl seit 2014 auf etwa 550. In Großbritannien befinden sich aktuell 238 Terroristen in Haft, in Spanien sind es 329, darunter zahlreiche baskische Separatisten.

Für Deutschland lagen den Forschern des International Centre for the Study of Radicalisation am King's College keine Zahlen für alle Bundesländer vor. Sie gehen jedoch davon aus, dass in deutschen Gefängnissen mindestens 290 Häftlinge sitzen, die als radikal gelten. Immer häufiger zählen dazu auch Frauen, die aus dem ehemals vom "Islamischen Staat" (IS) kontrollierten Gebiet zurückkehren. "Das stellt die Gefängnisse vor neue Herausforderungen", sagt Neumann.

Überbelegte Gefängnisse - "Nährboden für Radikalisierung"

Zwar machen Terroristen trotz der massiv gestiegenen Zahlen nur einen Bruchteil der Insassen in europäischen Gefängnissen aus. Dennoch verstärkt der Anstieg ein Problem: zu volle Haftanstalten. "In fast allen europäischen Staaten sind die Gefängnisse überbelegt und es fehlt an ausgebildetem Personal", sagt Terrorismusforscher Neumann. "Kein Wunder, dass sie zu Nährböden für Radikalisierung werden."

Laut der Studie nutzen verurteilte Terroristen immer wieder ihre Haft, um sich zu vernetzen und andere Insassen zu radikalisieren. Die Forscher gehen von etwa 1600 Gefangenen in den untersuchten Ländern aus, die erst während der Haft zu potenziellen Extremisten wurden. Sie seien oft anfällig für Radikalisierungsversuche, da sie etwa psychische Erkrankungen oder Drogenprobleme hätten.

Zahlreiche EU-Staaten setzen inzwischen moderne Methoden zur Einschätzung der Gefahren ein, die von inhaftierten Terroristen und Extremisten ausgehen. In Deutschland heißen diese Prognoseinstrumente Vera-2R und Radar-itE. Solche Methoden könnten hilfreich sein, sagt das Londoner Forscherteam - noch wichtiger aber sei kompetentes Personal in den Haftanstalten.

"Es gibt keinen einheitlichen, systematischen Ansatz, wie der Gefängnisradikalisierung begegnet werden kann"

"Gut ausgestattete Gefängnisse sind die wichtigste Maßnahme gegen Radikalisierung, aber auch die unpopulärste", sagt Neumann. Kein Politiker wolle mehr Geld für Straftäter ausgeben. Im Fall Deutschlands erkennt der Terrorismusforscher ein zusätzliches Problem: "Es gibt keinen einheitlichen, systematischen Ansatz, wie der Gefängnisradikalisierung begegnet werden kann. Jedes Bundesland macht, was es für richtig hält."

Das könnte sich noch rächen. In den nächsten Jahren, so schreiben die Londoner Forscher, steht vielen EU-Ländern eine Entlassungswelle bevor. Etliche IS-Anhänger wurden nur zu relativ kurzen Haftstrafen verurteilt und kommen bald wieder frei. Forscher Neumann warnt: "Viele Staaten sind darauf nur schlecht vorbereitet."

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