Christa Roth

Freie Journalistin/ Autorin, Berlin

2 Abos und 8 Abonnenten
Artikel

Abenteuer Familie

Zusammen ist man weniger allein

Judith und Götz Feesers Geschichte ist die Geschichte vieler. „Wir haben beide studiert. Dafür geht man in andere Städte und zieht anschließend den Jobs hinterher", erzählt Judith Feeser, die mir ihrer Familie mittlerweile in Stuttgart lebt. Nach einer kleinen Pause fügt sie hinzu: „Man kann ja nicht den Eltern hinterher ziehen". Die Konsequenz dieses Modells kennt Feeser mittlerweile nur allzu gut. „Dadurch entsteht natürlich eine große Betreuungslücke."

Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen, sagt ein afrikanisches Sprichwort. Was früher Großfamilien geleistet haben, müssen Paare oder gar Alleinerziehende heute oftmals alleine schultern. Überforderung ist damit praktisch vorprogrammiert. Auch Rose Volz-Schmidt war nach einer schwierigen Geburt als junge Mutter ohne familiäres Netzwerk. Zurück im Job, erfuhr die Leiterin einer Familie-Bildungsstätte, dass sie damit nicht alleine war. 2002 gründete die damals 47-Jährige in Hamburg deshalb „Wellcome", ein gemeinnütziges Unternehmen für die „praktische Hilfe nach der Geburt".

Gut organisiert

Was damit gemeint ist, ist so simpel wie einleuchtend: Wo Familie und Freunde nicht zur Verfügung stehen, springen gegen eine selbstgewählte, geringe Gebühr die regionalen Wellcome-Teams ein. Allein 2013 konnte Wellcome in rund 260 bundesweiten Standorten fast 4.500 Familien betreuen. Tendenz steigend. Möglich machen das alles über 4.200 „Engel" - wie die ehrenamtlichen Helferinnen bei Wellcome genannt werden. Ehrenamtliche wie Michelle Höhn.

Vor Jahren verschlug es die US-Amerikanerin nach Deutschland, wo sie der Liebe wegen wohnen blieb. Als zweifache Mutter weiß Höhn, wie anstrengend die Betreuung von Babys und Kleinkindern sein kann. Immerhin hat die 41-Jährige selbst auf die Unterstützung ihrer Eltern verzichten müssen. „Und meine Schwiegereltern waren auch nicht gerade um die Ecke".

Willkommene Fremdbetreuung

Weil die Haus- und Pfarrersfrau vormittags Zeit hatte bis die Kinder aus der Schule kamen, nahm sie im September 2013 das Wellcome-Ehrenamt an. „Ich wollte einfach gern helfen und ein paar mehr Leute in der Nachbarschaft kennenlernen", sagt sie. Und Hilfe war im Stuttgarter Norden dringend erwünscht. Nur wenige Gehminuten von Höhns Haus entfernt.

Für die 40-Jährige Judith Feeser kam Höhn gerade zur rechten Zeit. Im Juni waren ihre beiden Jüngsten, Zwillinge, geboren. Die Erstgeborene, Mira, gerade mal vier Jahre alt. Mann Götz zurück im Arbeitsleben. Über städtische Hinweise auf entsprechende Initiativen erfuhren Feesers von Wellcome - und waren schnell überzeugt. „Ich wusste, das sind Ehrenamtliche, die das machen. Also Menschen, meistens Frauen, die wirklich Interesse an mir und meiner Situation haben", sagt Judith Feeser. „Die wissen, dass ein Leben mit einem Säugling am Anfang einfach im Chaos versinkt."

Eingewöhnung im geschützten Raum

Es dauerte nicht lange, da hatte Höhn beim ersten Treffen bereits eines der Babys auf dem Schoß. Für Feeser war klar, wenn sie sich auf die neue Situation einlassen kann, fühlen sich auch die Kinder wohl. Geholfen hat ihr dabei, dass die Betreuung im eigenen Haus stattfand. „Weil alles, was man für die Kinder braucht, zuhause vorhanden ist. Für Michelle war es auch gut, weil sie mich immer in Rufweite hatte."

„Den Kindern und ihrer sozialen Entwicklung tut es gut, wenn sie andere Erwachsene und Kinder kennenlernen und nicht ausschließlich unter der Glasglocke der Kleinfamilie verharren", ist Wellcome-Gründerin Volz-Schmidt überzeugt. Für Mütter wie Judith Feeser kommt aber längst nicht jede Fremdbetreuung in Frage. Krippen würden zwar sehr gefördert, sagt sie. „Aber ich finde, das ändert nicht viel an dem Problem, dass dort meist sehr große Gruppen für sehr kleine Kinder gedacht sind."

Stattdessen wünscht sich Feeser mehr individuelle, flexiblere Familienhilfe wie die von Wellcome. „Wenn solche Angebote Familien über einen längeren Zeitraum zur Verfügung stünden, dass es also nicht gleich der Krippenplatz sein muss, dann hätten sicherlich mehr Leute den Mut, auch Kinder zu bekommen."

Der Stuttgarter Fall ist nicht nur aus Sicht der Betroffenen ein Paradebeispiel für einen gelungenen Einsatz. Während der ersten Monate nach der Geburt kommt eine ausgesuchte Wellcome-Ehrenamtliche ein- bis zweimal die Woche für zwei bis drei Stunden, um die jungen Eltern zu entlasten. Drei Monate lang betreut sie das Neugeborene, kümmert sich um die Geschwisterkinder oder steht einfach mit einem offenen Ohr und manch einem Rat zur Seite.

Hilfe annehmen

Voraussetzung dafür, dass das Wellcome-Konzept aufgeht, ist nicht nur die Bereitschaft zu helfen. Eltern müssen auch loslassen. Volz-Schmidt weiß: „Sein Baby in fremde Hände zu geben, bedeutet für viele Eltern einen Lernprozess." Vertrauen aufzubauen gehört deshalb zum Kerngeschäft von Wellcome. Ansprechpartnerin für Eltern und Ehrenamtliche ist eine Teamkoordinatorin, die in eine anerkannte, mit Wellcome kooperierende Einrichtung vor Ort eingebunden ist, damit die Qualitätsstandards erfüllt werden, die sich Wellcome selbst auferlegt hat. „Eltern müssen wissen, was sie von einer Institution erwarten können, wie die Abläufe funktionieren und wer die handelnden Personen sind", sagt Volz-Schmidt.

Mut durch Vertrauen

Wie vertrauenswürdig Wellcome ist, beweisen nicht nur die vielen finanziellen Förderer und Unterstützer oder das Bundesverdienstkreuz, mit dem Volz-Schmidt 2009 ausgezeichnet wurde. Vielmehr tragen die vielen Netzwerkpartner - Hebammen, Beratungsstellen, Kinderärzte - zu einer Atmosphäre aus Sicherheit und Verlässlichkeit bei. Nicht zuletzt verdankt Wellcome seinen guten Ruf dem positiven Feedback der eigentlichen Zielgruppe, nämlich der Eltern.

Zum Original