Wer in Corona-Zeiten daten will, dem bleiben nur Spaziergänge mit zwei Metern Abstand.
Lola* und Paul* aus Berlin haben sich im Februar auf der Dating-Plattform OkCupid kennengelernt. Weil beide im Ausland im Urlaub waren, haben sie einen Monat nur miteinander geschrieben. Dann mussten beide wegen der Corona-Pandemie überstürzt zurück nach Berlin. "Hätten wir uns während der Krise kennengelernt, hätten wir uns vermutlich nie an ein Treffen gewagt", erzählt die 29-jährige Lola. Doch so hätten sie bereits viel über ihre Einstellungen gesprochen und gewusst, dass beide die Lage ernstnehmen. Nach langem Zögern beschlossen sie, sich zu treffen - Corona-konform zum Spazierengehen und Bärlauchpflücken im Grunewald, und ohne sich dabei auch nur ein einziges Mal zu berühren.
In fast allen Bundesländern (ausgenommen Sachsen und das Saarland) erlauben es die Kontaktbeschränkungen noch, sich so mit einer weiteren Person, die nicht dem eigenen Hausstand angehört, im Freien zu treffen - mit mindestens eineinhalb, besser mit zwei Metern Sicherheitsabstand. Die Kontakte mit Personen außerhalb der eigenen Familie sollten allerdings auf "ein absolut nötiges Minimum" reduziert werden. Wer in der Coronakrise nicht auf persönliche Dates verzichten will, dem bleibt also nur: Spazierengehen, Spazierengehen, Spazierengehen.
„Bisher wurde immer spätestens nach dem zweiten oder dritten Date erwartet, dass es körperlich wird."
"Distant Dating" hat auch Vorteile
Seit ihrem ersten Date im Grunewald sind Lola und Paul schon drei weitere Male spaziert. Den gebotenen Abstand haben sie dabei nie überschritten. Lola hat sogar ein Wort für ihre Treffen erfunden: "Distant Dating". "Distant Dating ist eine ganz neue Erfahrung", erzählt sie, "eine andere Art sich kennenzulernen." Die Vorteile werden einem allerdings erst nach mehreren Dates bewusst: "Ich habe noch nicht viele Dates in meinem Leben gehabt. Aber bisher wurde immer spätestens nach dem zweiten oder dritten Mal erwartet, dass es körperlich wird", erzählt Lola. Vor allem beim Online-Dating bleibe das Kennenlernen oft auf der Strecke. In Zeiten von Corona sei das jetzt anders - "irgendwie gedrosselt, entschleunigt", findet die 29-Jährige. Es sei spannend, sich anziehend zu finden, mit dem Berühren aber noch abwarten zu müssen. Außerdem seien die klaren Regeln ein guter "Ice-Breaker". Beim Begrüßen müssen sie und Paul jedes Mal lachen. "Wir stehen uns gegenüber und heben einfach nur die Hand. Das ist skurril, macht die Sache aber auch einfacher."
Ähnliche Vorteile sieht auch Flirt-Coach Nina Deißler beim Spaziergang-Dating. Sie gibt in Hamburg Kurse für "Singles, die es nicht bleiben wollen". Seit der Krise hat sie auf Online-Coaching umgestellt. Ihren Klientinnen und Klienten rät sie allerdings auch weiterhin von persönlichen Dates nicht ab - sofern man im Umkreis wohne und sich strikt an die Auflagen halte. "Um erfolgreich zu flirten, muss ich den anderen ja nicht gleich anpacken", sagt die Dating-Expertin. "Ob ich jemanden anziehend finde, merke ich auch ohne Körperkontakt, und auch auf zwei Meter Abstand." Anders als bei einem Video-Date erlebe man den Anderen beim Spazierengehen: seine Ausstrahlung, die Art, wie er (oder sie) sich bewegt oder riecht.
„Dieses Lockere, du trinkst spontan etwas in einer Bar, berührst dich dann zufällig, weil es so eng ist - das ist jetzt alles futsch."
Auch die 32-jährige Judith* flirtet derzeit analog. Sie ist allerdings weniger begeistert davon. Andre* hatte sie noch vor der Krise in einer Berliner Bar kennengelernt. Es schien vielversprechend. Wegen Corona auf ein persönliches Wiedersehen zu verzichten, kam für Judith nicht infrage. "Ich hätte sogar mit ihm geknutscht", sagt sie, "wenn es denn gut gelaufen wäre." Von ihrem Spaziergang-Date an der Spree war Judith enttäuscht: "Wegen Corona ist Flirten jetzt total kompliziert geworden", sagt sie. Beim Spazierengehen komme einfach keine Stimmung auf. "Dieses Lockere, du triffst dich, trinkst spontan etwas in einer Bar, berührst dich dann zufällig, weil es so eng ist, und knutschst vielleicht zum Abschied vor der Haustür, das ist jetzt alles futsch." Beim "Distant Dating" habe ihr nicht nur das Körperliche gefehlt, sondern auch der Nervenkitzel, die Leichtigkeit beim Flirten. "Das lohnt nicht", findet sie.
Singles wie Judith, für die sich Dating in der Coronakrise nicht lohnt, aber vor allem denjenigen, die aus Sorge vor einer möglichen Virus-Infektion oder aus sozialer Verantwortung erst einmal auf persönliche Treffen verzichten wollen, rät Expertin Nina Deißler, am Ball zu bleiben und sich kreative Date-Alternativen einfallen zu lassen. "Ich schlage meinen Klientinnen und Klienten zum Beispiel vor, online mit einem Date zu kochen, gemeinsam Yoga zu machen, oder auch einen virtuellen Tanzkurs zusammen zu besuchen", so die Flirt-Coach. Gut geeignet seien alle Aktivitäten, an die man nach der Krise anknüpfen könne.
„Da ist ja von Anfang an klar, dass da nichts läuft."
Ob Spazierengehen oder virtuelle Treffen, Dating in der Krise ist also eher was für diejenigen, die nach etwas Langfristigem suchen. Wer nur schnellen Sex will, hat es in der aktuellen Situation schwer. So wie Valentin* aus München. Der 30-Jährige ist nach langer Trauer "endlich" über die Trennung von seiner Ex-Freundin hinweg. Er hat eine Therapie gemacht und sich eine neue Wohnung gesucht. "Ich bin jetzt in einer Phase, wo die Sterne wieder gut für mich stehen", erzählt er. Seitdem habe er nur einen Wunsch: "Raus in die Welt und Mädels daten." Dann kamen die Ausgangsbeschränkungen. Isoliert in seiner Wohnung hält sich Valentin mit erotischem "Sexting" (englisch für "Sex" und "texting") über Wasser. Sich jetzt mit einem Online-Flirt auf ein "Distant Date" zu treffen, ergebe für ihn keinen Sinn. "Da ist ja von Anfang an klar, dass da nichts läuft."
Lola hingegen freut sich schon auf die nächsten Spaziergänge mit Paul, sie macht sich aber auch Gedanken: Was, wenn der Körperkontakt noch länger verboten bleibt? Irgendwann wird es auch für sie schwierig werden, den gebotenen Abstand einzuhalten. In Zeiten von Corona werde man sich der eigenen Bedürfnisse noch stärker bewusst, sagt sie.
Vielleicht hat die Coronakrise für das Dating-Leben also doch auch etwas Gutes: Man gesteht sich die eigene Bedürftigkeit ein und lernt jede Art von Miteinander neu zu schätzen. Corona macht viele Singles einsam und verletzlich, ja, aber auch kreativ und offen für Neues. Auch Dating-Expertin Nina Deißler sieht in der Krise eine Chance: Corona helfe beim "Filtern". Die Art, wie der Andere mit der Krise umgehe, zeige, wie gut man auch sonst zusammenpasst.