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Warum Frauen auf Bali mit Unterhosen für Gleichberechtigung kämpfen

Viele fahren nach Bali wegen Traumstränden und Wellnessoasen. Unsere Autorin traf auf der Insel eine Frau, die eine andere Mission hat: Gleichberechtigung schaffen – mit Unterhosen.


Die Arbeiterinnen sitzen auf einem wackeligen Gerüst aus Bambusstäben in einem fensterlosen Rohbau direkt an einer vielbefahrenen Straße in Ubud, einer Kleinstadt auf Bali. Ihre Füße baumeln meterhoch über dem Boden, mit einer Hand spachteln sie frischen Beton an die Decke. Die Jogginghosen sind von grauen Sprenkeln überzogen, die Kleidung abgenutzt und durchgeschwitzt. Ihre Gesichtszüge wirken ausgeleiert von der immer gleichen Arbeit.

Indonesien Gleichberechtigung

Dian Kamal bei ihrer Mission: „Niemand sieht, was sie Tag für Tag leisten.“ (Foto: Charleen Florijn / Orange)


Dann taucht Dian Kamal mit einem breiten Lächeln im Gesicht vor den Frauen auf und spricht sie an. Noch während sie redet, öffnet sie den Reißverschluss an ihrem Rucksack, wühlt mit einer Hand darin herum und zieht eine unscheinbare Packung hervor.


Frauen auf Bali: mit Unterhosen für Gleichberechtigung

Geschickt öffnen ihre zierlichen Finger die Schachtel und ziehen zwei schlichte Unterhosen in hellblau und rosa hervor. Die beiden Arbeiterinnen stutzen und lassen die Spachtel in den Eimern zwischen ihnen verschwinden, bevor sie die ungewöhnlichen Geschenke dankend annehmen.


Die 28-jährige Dian Kamal hat eine Mission: Sie will die Ungerechtigkeit zwischen Mann und Frau auf der Urlaubsinsel Bali bekämpfen. Jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit hat Kamal in ihrem Rucksack mehrere Pakete Damen-Unterhosen im Gepäck, die sie an balinesische Frauen verschenkt.

Aus ihrem Engagement, so hofft sie, soll später einmal eine Bewegung werden, die das Frauenbild auf Bali grundlegend verändert. Einen Namen hat die junge Indonesierin auch schon: Panty-Drop-Movement.


Seit den frühen Morgenstunden schuften die beiden Balinesinnen auf der Baustelle, sechs Tage die Woche. Sie kommen von außerhalb, nehmen jeden Morgen den weiten Weg in die Stadt auf sich. Die vielen Menschen, die nur wenige Meter auf dem Gehsteig an dem unfertigen Betonklotz vorbeilaufen, würdigen die arbeitenden Frauen im Schatten kaum eines Blickes. „Frauen wie sie sind unsichtbar für die Gesellschaft“, sagt Dian Kamal. „Niemand sieht, was sie Tag für Tag leisten“.


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Arbeiterinnen auf Bali: von der Gesellschaft ausgegrenzt. (Foto: Charleen Florijn / Orange)


Helme und Schutzkleidung gibt es für die Arbeiterinnen nicht. Auf der Baustelle riskieren sie jeden Tag ihre Gesundheit. Sie müssen schwer schleppen und Sicherheit ist ein Luxus, den sich die Unternehmen hier nicht leisten können und wollen. „Als Dankeschön bekommen die Arbeiterinnen einen Hungerlohn, mit dem sie ihre Familien nur kaum über die Runden bringen können“, erklärt Kamal und schüttelt den Kopf. Die Leute schauen weg, weil diese Frauen nicht dem Idealbild einer balinesischen Frau entsprechen.


Von der Auszeit auf Bali zur Kämpferin für Frauenrechte

Arbeitende Frauen sind auf Bali ausgegrenzt. Die balinesische Frau gehört traditionell nach Hause, in die Küche oder ins Kinderzimmer, jedenfalls aber nicht auf die Straße und nicht unter Menschen. Traditionell, sagt Dian Kamal, ist die Frau in Bali zuständig für den Haushalt, die Kinder und die religiösen Rituale.


Mehrmals am Tag bereitet sie der hinduistischen Tradition entsprechend kleine Opfergaben vor, Schälchen aus Palmenblättern gefüllt mit Blumen, Reis, Kräutern und Räucherstäbchen. Mädchen werden darin unterrichtet, wie sie das perfekte Opferschälchen vorbereiten, Allgemeinbildung erhalten meist nur die Jungen.


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Opferschälchen auf Bali: „Als wäre ich in einem anderen Jahrhundert gelandet.“ (Foto: Charleen Florijn / Orange)


Dian Kamal stammt aus der indonesischen Hauptstadt Jakarta, sie studierte Fernsehjournalismus, bekam ein Stipendium und arbeitete mehrere Jahre lang bei einem renommierten Sender. Als es ihr irgendwann zu langweilig wurde, beschloss die 28-Jährige, sich auf der Urlaubsinsel Bali eine Auszeit zu nehmen.


„Wenn eine Frau auf Bali heiratet, heiratet sie dessen ganze Familie“

Als die junge Indonesierin auf Bali ankam, erlebte sie den Kulturschock im eigenen Land: „Ich konnte es nicht fassen, dass die balinesische Gesellschaft so ein rückständiges Frauenbild hat. Es fühlte sich für mich so an, als wäre ich in einem anderen Jahrhundert gelandet!“


In kaum einem anderen Teil von Indonesien spielen Traditionen eine so entscheidende Rolle wie in der hinduistisch geprägten Provinz Bali. Es gilt das Gewohnheitsrecht, auf balinesisch adat. Das schreibt vor, welche Rolle die Frau in der Familie und in der Gesellschaft einnimmt. „Wenn eine Frau auf Bali einen Mann heiratet, heiratet sie dessen ganze Familie“, sagt Dian Kamal. Die Frau werde mit der Ehe zum Besitz des Mannes und damit komplett unmündig.

Es ist üblich, dass Frauen mit Anfang 20 heiraten und Kinder bekommen. Häufig sucht die Familie eines Mannes ein Mädchen schon im minderjährigen Alter aus, um es zu verheiraten. „Frauen haben daher praktisch keine Eigenverantwortung“, schreibt der Bali-Blog „NowBali“.


Der Mann ist das Oberhaupt der Familie, er trifft die Entscheidungen. Was im Kleinen in der Familie gilt, zieht sich durch alle Lebensbereiche. Im Dorfrat sind es grundsätzlich Männer, die über politische Fragen beraten. Und auch auf Landesebene haben die Männer die Macht, sind Vorsitzende von Behörden und Organisationen.


Erfahrung bei einer Reise nach Bali: Rolle der Frau ist verzerrt

Frauen, die sich gegen andere durchsetzen, selbstständig sind und auch mal Kontra geben, sind in der balinesischen Gesellschaft schlecht angesehen. Von den Frauen wird im Gegenteil erwartet, dass sie passiv sind und bescheiden, zurückhaltend und abhängig. Die Menschenforscherin Megan Jennaway erklärt, die eingeschränkte Handlungsfreiheiten der Balinesinnen spiegele sich in der traditionellen Kleidung wider.


In den engen bodenlangen Wickelröcken können die Frauen nur kleine Schritte machen und daher nur sehr langsam gehen. Die Kleidung sei eine Metapher für die eingeschränkte Bewegungsfreiheit der Frauen auf Bali. Die traditionellen Gewänder („Sarongs“) binden die Frau an den Ehemann, den Haushalt und an die vorgeschriebene Rolle.


Bali ist bei Reisenden sehr beliebt, in diesem Jahr erwartet die Insel sieben Millionen Touristen – fast 20.000 pro Tag. Wer als Ausländer nach Bali kommt, bekommt von dem traditionellen Frauenbild erst mal nicht viel mit. An jeder Ecke gibt es Wellnessbäder (Spas), in denen balinesische Frauen mit Blume im Haar zu Ganzkörper-Massagen und Maniküre einladen. In den Souvenirläden sind es oftmals Frauen, die mit den Touristen um die Preise feilschen – in Jeans und T-Shirt.


„Ich zeige den Frauen auf Bali, dass sie wertvoll sind“

Doch zwischen Yoga-Studios und Strandbar spielt sich unter der Oberfläche seit Jahren ein ungeahnter Konflikt ab. Westliche Wertvorstellungen treffen auf uralte Traditionen. Hier kämpft Dian Kamal mit Unterhosen dafür, dass Bali endlich im 21. Jahrhundert ankommt. Moderne Beinfreiheit statt traditionelle Einschränkung.



Eine Unterhose, sagt Kamal, sei so viel mehr als ein einfaches Kleidungsstück. Jede Unterhose, die sie tagtäglich verschenkt, sei eine Botschaft: „Ich zeige den Frauen, dass sie wertvoll sind, dass sie es verdient haben, dass man sich um sie kümmert. Wenn das die Ehemänner nicht machen, dann müssen sie das eben selbst in die Hand nehmen!“ Frei nach dem Sprichwort: Die Frauen haben die (Unter-)Hosen an.


Kamal gibt den Frauen eine Idee, was Gleichberechtigung in der Ehe, in der Gesellschaft bedeuten kann. So unscheinbar das alltägliche Kleidungsstück auch sein mag, für die Frauen ist es ein erster Schritt in Richtung Unabhängigkeit und Selbstbestimmung.


Die Autorin: Charleen Florijn studiert Medien- und Kommunikationswissenschaften in Bonn und hat eine Leidenschaft fürs Reisen.

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