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Der Mensch als Sklave von Google | f1rstlife

Sechs bunte Buchstaben prangen über dem Portal in die Welt unerschöpflichen Wissens. Ein einziger Schlüsselbegriff vermag es, das blau umrandete Tor zu öffnen und uns per Google-Suche oder auf gut Glück Einlass zu gewähren in die scheinbar unendlichen Weiten des Google-Imperiums. Kein Suchbegriff, dem der Algorithmus nicht innerhalb weniger Millisekunden Unmengen an Ergebnissen liefern kann. Selbst auf die Frage nach dem Sinn des Lebens weiß Google 10.800.000 Antworten und das in nur 0,22 Sekunden. Außerdem beherrscht Google nahezu jede Sprache, besitzt einen unvergleichlichen Orientierungssinn und würde Günther Jauch bei Wer wird Millionär die Schweißperlen auf die Stirn treiben.

Nicht denken, googlen! Google To Go. Technik macht es möglich. Mithilfe von Tablets und Smartphones können wir unser googeliges Superhirn immer und überall für uns denken lassen. Verschwenden wir unsere Zeit dann doch einmal mit mühseligem Selbstdenken, dann grübeln wir, welche Reihenfolge der Suchbegriffe bei Google die höchste Trefferquote und -qualität bringt. Oftmals ist es allerdings genauso sinnig, die ganze Frage einzutippen um dann auf gutefrage.net zu landen und sich wie der unsichtbare Dritte an der Unwissenheit ähnlich Verzweifelter und den freundlichen Bemühungen vermeintlicher Experten zu bereichern. So sieht dann wohl Aufklärung im 21. Jahrhundert aus. Kant würde sagen: „Google aude! Habe Mut, dich Google zu bedienen!".

Google lügt nicht Auf der Suche im Internet lassen sich beim Homo googlius bestimmte Verhaltensweisen feststellen. Ein innerer Instinkt scheint ihn stets auf der ersten Seite verharren zu lassen, schon das Scrollen in Richtung Seitenende verursacht in ihm ein leichtes Unbehagen, welches ihn nicht selten auf den altbekannten, vertrauten Wikipedia-Artikel zurückführt. Gedankenlos wird fleißig kopiert und eingefügt. Ein Artikel, der nur so überquillt von unverständlichen Fachtermini, deren Bedeutung auf separaten Seiten zunächst nachgelesen werden muss, kann nur korrekt sein. Schließlich wird er bei Google hoch gehandelt, beziehungsweise gelistet. Diese Denkweise in Verbindung mit dem Google-To-Go-Phänomen führt dazu, dass Google uns in der Hand hat. Ein komplizierter Logarithmus gibt uns vor, welche Informationen wir vorfinden und welche Quellen wir für unsere Recherche heranziehen. Es wäre so einfach, den Algorithmus minimal zu verändern, um bestimmte Suchergebnisse nach oben zu katapultieren und andere dafür in die virtuelle Wüste zu schicken. Kritiker werfen den Strippenziehern hinter der Suchmaschine gezielte Manipulation der Suchergebnisse vor und fordern strengere Auflagen für das Unternehmen, das dem inoffiziellen Motto „Don't be evil" folgt oder vorgibt, diesem zu folgen.

Währung des Netzes Googles Kompassnadel zeigt in Richtung Gewinn. Während wir uns von Google sicher und behütet durch den unberechenbaren Ozean Internet navigiert fühlen, degradiert es uns zu Ködern, wirft uns gierigen Haien zum Fraß vor, um so - ganz ungeniert - einen Deal nach dem anderen an Land zu ziehen. Wir fahren nicht erste Klasse auf dem Dampfer, wir werden rücksichtslos ausgebeutet. Und ein Großteil der googelnden Generation kriegt davon nicht einmal etwas mit, schließt die Augen, geht im wahrsten Sinne des Wortes als blinder Passagier an Bord und holt Google so die ganz dicken Fische an die Angel. Denn was viele vergessen: Google ist nicht gratis. Google will kein Geld von uns, wir bezahlen mit unseren Daten.

Der willkommene Stalker Schon seit Monaten hast du das Gefühl, ein Schatten folgt dir auf Schritt und Tritt. Egal, wohin du gehst, fährst oder fliegst, jemand scheint dir dicht auf den Fersen zu sein. All deine Briefe sind geöffnet, bevor du sie selbst lesen kannst und dein Gesicht ziert die Wände eines Fremden. Jeden Tag notiert er, mit wem du unterwegs bist, zu wem du Kontakt hast, wem du etwas gibst und dokumentiert jedes noch so kleine, scheinbar unwichtige Detail in seiner Akte, die jegliche Informationen zu deinen Vorlieben, Interessen und Tätigkeiten enthält. Da stellen sich bei dem ein oder anderem die Nackenhaare auf, man verspürt den Drang, sich umzusehen und fühlt sich beobachtet. Offline heißt das Strafdelikt Stalking, im Internet hat man es als kundenorientiertes Marketing getarnt. Wobei kundenorientiert hier bedeutet, den Nutzer kontinuierlich zu beschatten, all seine Tätigkeiten im Internet festzuhalten und ein so detailreiches Profil zu erstellen, dass eine Anzeige ihm in jedem Fall einen Klick entlockt. Im wahren Leben würden wir aufspringen, protestieren, ja sogar auf die Straße gehen, wenn ein Fremder unsere Briefe läse, Gespräche aufzeichnete und Standorte markierte. Im gemütlichen Sessel vor dem Bildschirmlehnen wir uns zurück und sagen: „Sollen sie mich doch überprüfen, ich habe ja nichts zu verbergen..." Diese einfache Floskel gilt es in ihrem gesamten, erschreckenden Ausmaß wörtlich zu nehmen. Wir haben nichts mehr zu verbergen. Es gibt nichts, was Google nicht über uns weiß. Der gläserne Mensch ist geboren.

Von allwissenden Brillen und selbstfahrenden Autos Auch die neusten Innovationen zielen auf eine Vernetzung aller Lebensbereiche mit Google ab. So will der Großkonzern beispielsweise selbstfahrende Autos ohne Gaspedal und Lenkrad auf den Markt bringen, die Unfälle vermeiden und für einen geregelten Verkehr sorgen sollen. Auch in unsere vier Wände will Google in Zukunft Einzug halten. Lernfähige Thermostate speichern dann Temperaturen im Haus und passen diese gegebenenfalls an. Auch Google Glass, ein Minicomputer im Brillendesign erweckt den Eindruck eines kleinen Spions, der die aufgezeichneten Daten brav an Big Google sendet. Google. Es kam, sah und wird, wenn es so weiter geht, siegen - über Privatsphäre, Datenschutz und auch Freiheit. Denn wir sind alle Sklaven in einer Welt, die von Google regiert wird.

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