SPIEGEL: Herr Ramadan, Sie sind kürzlich aus Kreuzberg weggezogen, wo Sie groß und berühmt geworden sind. Wieso?
Ramadan: Wenn ich mit meiner Frau essen gehe - ich esse sehr radikal -, schmatze ich auch mal. Da kommt jemand und will ein Foto. Ohne die Fans wäre ich nicht da, wo ich bin, aber ich will einfach nur mal rülpsen. Und nicht ständig aufpassen, in der Presse zu landen. Ich will arbeiten, den Kühlschrank vollkriegen, schlafen gehen, meine Kinder zur Schule bringen. Und meine Mutter in Kreuzberg besuchen, die wohnt noch dort.
SPIEGEL: Sie bereiten sich gerade auf die dritte Staffel "4 Blocks" vor, die in Kreuzberg und Neukölln spielt. In der Serie mimen Sie den Boss eines Gangster-Clans. Solche Clans sind in der Gegend tatsächlich ein Thema. Sie selbst kennen das Milieu. Nie Angst gehabt abzurutschen?
Ramadan: Ich bin mit Leuten aufgewachsen, die Gangster sind, aber ich wollte immer nur weg von der Kriminalität, wollte den Respekt meiner Eltern nicht verlieren, deshalb habe ich mich rausgehalten. Ich weiß, wie die ticken und reden. So wie in "4 Blocks".
SPIEGEL: "4 Blocks" gilt als sehr realitätsnah, auch durch das Mitwirken von Musikern wie Veysel oder Massiv. Ist die Serie zu authentisch?
Ramadan: Nein, dann wäre es eine Doku. Der Regisseur hat es geschafft, mit Leuten aus dem Kiez zu drehen. Die Serie ist das Authentischste, was es je im deutschen Fernsehen gab.
SPIEGEL: Was bedeutet für Sie Authentizität?
Ramadan: Mensch zu bleiben. Egal, wo du herkommst. Wie Lady Diana, die war authentisch. Die kam aus einer Nichtkönigsfamilie, ist in eine Königsfamilie gegangen und trotzdem geblieben, wie sie ist. Friede sei mit ihr.
SPIEGEL: Kostet Erfolg Echtheit?
Ramadan: Mir haben schon Leute gesagt, Kida, du bist erfolgreich, gerade weil du authentisch bist. Damit darf man nicht brechen. Das Leben ist ein Bumerang, Digga. Ich brauche zum Beispiel diesen roten Teppich mit dem unechten Gelache nicht. Wenn ein Film schlecht war, sage ich doch nicht: "Boah, Gänsehaut, Alter, hat mich das inspiriert." Selbst wenn der Regisseur neben mir steht.
SPIEGEL: Glauben Sie, dass Kleider Leute machen?
Ramadan: Auf jeden Fall! Trotzdem gehe ich immer zu Premieren, wie ich gerade Bock habe: mal im Smoking, mal im Trainingsanzug. Ich glaube, wenn du Charakter hast, dann sagen die Leute, der darf das. Ich scheiße nicht auf die Kleiderregeln, aber ich muss mich wohlfühlen.
SPIEGEL: Goldketten, Trainingsanzüge, Sneaker: Die harten Kerle, die Rapper, die Kids und die Hipster hier in Neukölln sehen sich alle sehr ähnlich. Komisch, oder?
Ramadan: So ist die Mode. Früher trug Michael Jackson Hochwasserhosen, danach hatte die jeder.
SPIEGEL: Interessieren Sie sich für Mode?
Ramadan: Ich bin stolz darauf, dass Labels wie Nike oder Boss mich ausstatten. Aber ich erinnere mich gut daran, wie ich als Kind für Kleidung zum Roten Kreuz gehen musste, weil wir kein Geld hatten. Uns ging es richtig scheiße. Mein Vater - Friede sei mit ihm - hielt mir zwei Paar Schuhe unter die Nase, und ich musste aussuchen. Ich habe mich so geschämt. Wenn mir heute die Marken Angebote machen, muss ich immer daran denken - und daran, dass es Leute gibt, die in der gleichen Situation sind wie ich damals.
SPIEGEL: Statussymbole sind Ihnen gleichgültig?
Ramadan: Die sind mir null wichtig! Statussymbol bin ich selber, meine Kinder und meine Frau. Ich bin niemand, der andere vergöttert und wie die werden will. Wer auf Statussymbole steht, will dazugehören, eine Ansage machen. Schau mal, meine Brille ist von Rossmann und kostet 2,99 Euro. Meine Ray-Ban ist gerade kaputt.
SPIEGEL: Glauben Sie, dass Geld den Charakter verdirbt?
Ramadan: Ich hatte nie Geld. Gott sei Dank kann ich mir heute mehr leisten - aber ich bin noch derselbe wie vor 20 Jahren. Wenn mir ein Outfit nicht gefällt, sage ich das auch. Dann ist halt jemand sauer. Aber am Ende des Tages kann ich nach Hause gehen und sagen: Ich habe keinen Fehler gemacht.
SPIEGEL: Welche Rolle spielen Kostüme für Ihre Figuren?
Ramadan: Das Outfit ist sehr wichtig. Die Figur des Toni Hamady etwa: Von der Sonnenbrille bis zu den Socken muss alles passen. Wenn er sein Muttermal nicht hat, seine zwei Ringe nicht trägt, stimmt das Gesamtpaket nicht. Da passt dann keine Breitling, es muss eine Rolex sein. Damit es authentisch wirkt.
SPIEGEL: Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?
Ramadan: Für mich war es sehr wichtig, dass ich mit den Augen spreche. Dafür habe ich mir jeden Abend Mafiafilme reingezogen ohne Ton, um die Mimik und Gestik zu begreifen. Nicht lachen, den Leuten tief in die Augen schauen. Meine Frau fragte, was ich da tue.
SPIEGEL: Nervt es nicht, immer den Gangster zu spielen?
Ramadan: Mein neuer Film "Goldfische" ist eine Komödie. Aber egal welche Rolle, für mich zählt, dass ich Filme mache, bei denen ich danach in den Spiegel gucken kann. Dann spiel ich dir noch lange den Gangster.
SPIEGEL: Gibt es Charaktere, die Sie nicht spielen würden?
Ramadan: Pädophile oder jemanden, der Frauen hasst. Ich bin ein sensibler Mensch. So eine Rolle würde mich fertigmachen.
SPIEGEL: Mit der Brutalität von Hamady haben Sie keine Probleme?
Ramadan: Er ist eine ambivalente Figur. Manchmal mag ich sie, manchmal hasse ich sie. Manchmal bin ich bei den Dreharbeiten richtig zerstört. Er verfolgt mich in meinem Alltag.
SPIEGEL: Was tun Sie dagegen?
Ramadan: Habibi, meine Familie ist das Wichtigste für mich. Wenn ich nach Hause komme, umarme ich alle und versuche, schnell zu schlafen. Ich schlafe die Figur einfach weg. Morgens stehe ich auf - und alles beginnt von vorne.
SPIEGEL: Auf der Straße werden Sie ständig als Toni Hamady angesprochen. Sie betreiben sogar einen Friseurladen, der so heißt. Warum?
Ramadan: Zu den Leuten muss ich immer sagen: Alter, das bin ich nicht. Das ist Fiktion. Und der Laden ist einfach Business. Die Kids lieben den Namen. Der Laden ist wie ein Museum. Und er läuft.
SPIEGEL: Weshalb, glauben Sie, kommt die Serie überall so gut an?
Ramadan: Na, weil sie authentisch ist natürlich.
Das Interview mit Kida Ramadan stammt aus "S-Magazin. Das Stilmagazin des SPIEGEL" Nr. 6. zum Thema "Authentizität".
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