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Kunstvoll einfach: Architektur von Gonzalez Haase / SZ am Wochenende

Pierre Jorge Gonzalez und Judith Haase entwerfen Modegeschäfte, die aussehen wie Lagerhallen. Ihr Stil ist bei Couture-Häusern gefragt.


Von Celina Plag



Paris, Rue Saint Honoré Nummer 336. Keine Adresse für eine Lagerhalle, wahrhaftig nicht - schließlich liegt das Haus im sündteuren ersten Arrondissement. Und doch sieht es im Erdgeschoss des Gebäudes irritierend funktionell aus. Wände aus Gussbeton, abwaschbare Aluminiumtische, die Deckenrohre liegen offen: voilà, die neue Pariser Balenciaga-Boutique, wo Frühlingstaschen im Wert eines mittleren Monatseinkommens von der Decke baumeln - und zwar an prosaischen Industriehaken. Und genau darin besteht heute der Twist beim Verkaufen von Luxusgütern: Man schafft ihnen eine Bühne, auf der sie wirken. Manchmal ist es auch eine Anti-Bühne. Um Ausstattung und Choreografie kümmern sich Spezialisten wie die Firma Gonzalez und Haase aus Berlin.

Das Büro von Pierre Jorge Gonzalez und Judith Haase im Stadtteil Tiergarten ist von außen ein schlichter Bau mit raumhohen Fenstern, innen viel Weiß, viele Bücher und schnörkelloser Purismus: Das Architekten-Duo macht kein sichtbares Aufhebens darum, dass es zur Riege der international begehrten Gestalter von Modegeschäften gehört. Mit dem französischen Couture-Haus Balenciaga haben die beiden zuletzt ihren bisher dicksten Fisch an Land gezogen. Damit hat es das deutsche Büro mit dem etwas sperrigen Namen "Gonzalez Haase AAS" - die Buchstaben stehen für Atelier, Architektur und Szenografie - zu beachtlicher Medienaufmerksamkeit gebracht. Nicht nur, weil der nüchterne Store in bester Pariser Lage so gar nicht den gängigen Vorstellungen von einer Luxusboutique entspricht (wohl aber denen von Chefdesigner Demna Gvasalia, der auf kantig kühle Looks setzt). Sondern auch, weil Balenciaga den Laden erst vor wenigen Jahren aufwendig sanieren ließ, was den frisch gekürten Kreativdirektor Gvasalia durchaus nicht davon abhielt, dem prestigeträchtigen Schauraum für erneut sehr viel Geld seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Diesmal unter der Devise: Berlin style.

Das mag ein Schlagwort sein, aber die Arbeit der gebürtigen Bremerin Judith Haase und ihres französischen Partners Pierre Jorge Gonzalez beschreibt es doch treffend. Urban, lässig, bloß nicht aufgetakelt: Das gilt für Mode aus der Hauptstadt genauso wie für die Handschrift der scharenweise zugezogenen Gestalter. Haase und Gonzalez, die ihr Büro 1999 gründeten, stehen für klar strukturierte Räume, schlichte Lichtführung, raue Oberflächen. 2003 begannen sie, in Berlin für Andreas Murkudis die ersten Concept Stores in Deutschland zu entwerfen. Und schon damals kam ihnen ihr unterschiedlicher Hintergrund zugute. Haase ist Architektin, Gonzalez studierte Design und Bühnenbild. Im Zusammenspiel denken sie Räume und Dinge neu.

Wobei Gonzalez und Haase zum Gestalten von Modegeschäften über Umwege gelangten. "Judith und ich kommen eigentlich aus der Kunstinszenierung", erzählt Gonzalez. Sie lernten sich in New York kennen, bei einer Arbeit für den amerikanischen Theaterregisseur Robert Wilson. Weil die Zusammenarbeit gut funktionierte und sie das Interesse für Kunst verband, waren Galerien die ersten gemeinsamen Projekte, etwa die Geschäftsräume von Thomas Schulte in Berlin. Die wiederum gefielen Andreas Murkudis, dem heute mehrere erstklassige Mode- und Design-läden in der Hauptstadt gehören. Als er vor knapp 15 Jahren die erste Eröffnung plante, begann ihre Zusammenarbeit, die bis heute anhält.

"Andreas Murkudis wollte Mode ausstellen, als wäre sie Kunst", erinnert sich Gonzalez - eine smarte Strategie, um Kleidung mehr Wertigkeit zu verleihen. Eine Tasche umgibt eben eine gewisse Aura, wenn sie hübsch drapiert auf einer Säule ruht, als sei sie eine antike Büste. Wobei die Büste in der Regel einmalig ist, im Gegensatz zur Tasche. Ob sie Galerien oder Modegeschäfte entwerfen, spielt für die Architekten heute keine Rolle. "Kunst oder Kleid, beides möchte der Auftraggeber verkaufen. Da unterscheidet sich eine Galerie nicht von einer Boutique", sagt Judith Haase lachend.

Jedes ihrer sehr unterschiedlichen Projekte geht sie mit ihrem Partner gemeinsam an. "Alle Ideen und Konzepte entwickeln wir zusammen, später steigt unser mehrköpfiges Team mit ein. Und wir bleiben permanent im Austausch miteinander." Trotzdem glaubt man ihnen das jeweilige Fachgebiet anzusehen. Etwas Philosophisches haftet dem Franzosen mit den dunklen Locken an, der beim Sprechen gern weit ausholt und gelegentlich an seinem schmalen Schal zupft, den er locker um den Hals gebunden trägt wie ein post-existenzialistischer Galerist. Haase, ganz pragmatische Hanseatin, trägt am liebsten Sneakers, Jeans und Hoodies, deren Ärmel sie bis über die Ellenbogen schiebt. So kann sie Dinge anpacken - sie ist die Macherin, ganz klar.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich das Duo zunächst in der hiesigen Modebranche einen beachtlichen Kunden-stamm aufgebaut, darunter die gehobenen Kaufhäuser KaDeWe in Berlin und Oberpollinger in München. Dazu kommen Kunden wie die Labels Acne oder Weekday. Mit Balenciaga ist das deutsch-französische Büro in eine neue Liga aufgestiegen, Demna Gvasalia sei Dank.

Das dürfte weitere Projekte nach sich ziehen. Das Geschäft mit den Modegeschäften ist lukrativ. Einen repräsentativen Store lassen sich die großen Häuser etwas kosten, vor allem, wenn sie sich mit dem Namen eines Star-Architekten wie Zaha Hadid oder Rem Koolhaas schmücken können. Die Büros wiederum profitieren meist von Folgeaufträgen, immerhin haben Luxusmarken Shops überall auf der Welt. Balenciaga hat gerade verkündet, im Herbst die vierte Pariser Boutique an der Avenue Montaigne zu eröffnen.

Spritzputz und Dämmfolie: Die beiden spielen mit der Ästhetik des Unfertigen

Bei Gonzalez und Haase fand Gvasalia genau den Gestaltungsansatz, der seiner Auffassung von unterkühltem Luxus und einer gewissen Strenge entspricht. "Uns geht es immer darum, mit der vorhandenen Substanz zu arbeiten. Von dekorativen Zierelementen halten wir wenig", sagt Haase. "Wir finden, Räume müssen sich nicht hinter protzigen Fassaden verstecken." In vielen der von ihnen entworfenen Boutiquen spielen Gonzalez und Haase mit einer Ästhetik des Unfertigen, wie sie von unverputzten Wänden ausgeht und einer sparsamen Möblierung ohne Glanz und Gloria. Das passt zu ihrer Wahlheimat Berlin mit dem Ruf einer Stadt im permanenten Wandel. "In Berlin gibt es noch unsanierte Fassaden, umfunktionierte Fabriklofts. Sicherlich beeinflussen lokale Elemente unsere Ideen", sagt Gonzalez.

Dass das Duo gern mit preiswerten Baustoffen arbeitet, die für den Luxussektor untypisch sind, verstärkt den Effekt noch. Für den Balenciaga Store in Paris kamen Spritzputz und Dämmfolie zum Einsatz. Und das Herzstück der Verkaufsräume ist ein an der Decke befestigtes Stangensystem nach dem Vorbild profaner Förderbänder: eine Hommage an Textilfabriken und an die rotierende Rundgarderobe, wie man sie aus der guten alten Textilreinigung kennt.

Dabei geht es nicht nur um einen Hauch Retro, sondern eben auch um ein kulturelles Bezugssystem. "Das Mobiliar des Balenciaga-Stores ist eine direkte Referenz auf die Mechanismen der Modeproduktion", erklärt Gonzalez. Diese Form von Kontext, die Geschichte hinter dem Produkt werde für die Konsumenten immer wichtiger. Erproben konnten die Berliner Architekten das bereits an ihrem Einrichtungskonzept für die Filialen der Fast-Fashion-Kette Weekday. Aus Pressholz entstand ein Shopsystem, das mit seinen bis unter die Decke reichenden Regalen an ein Warenlager erinnert. "Wir wollten aus den preiswerten Kleidern nicht etwas machen, was sie nicht sind", so Gonzalez. "Die Kunden heute sind gut informiert. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sie so einen Ansatz viel authentischer finden als falschen Glanz."


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