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Afroamerikanische Küche: Zurück zu den Wurzeln / F.A.Z Quarterly

Die afroamerikanischen Köche erzählen mit speziellen Aromen und Zutaten sehr erfolgreich ihre eigene kulinarische Geschichte.


22. Oktober 2020 Text: CELINA PLAG Fotos: IKE EDEANI


Joseph Johnson hat viele Wurzeln. Sein Großvater stammt von Barbados, seine Großmutter aus Puerto Rico. In ihren Kochtöpfen dampften Currys, die nach Indien dufteten. Pfannen, die an spanische Paellas erinnern, Jerk Pie, seine karibische Liebe. Bei seiner Mutter in den Pocono Mountains in Pennsylvania gab es die amerikanischen Klassiker wie BBQ Chicken oder Mac n' Cheese, seine Großmutter väterlicherseits verwöhnte ihn mit den Südstaatengerichten ihrer Kindheit.

Johnson, den alle nur „JJ" nennen, wusste früh, dass er Koch werden möchte - aber nicht, wohin es kulinarisch gehen sollte. Erst auf einer Reise nach Ghana, auf der er erstaunlich viele Geschmäcker seiner Kindheit wiederfand, merkte er, dass alle seine Wurzeln nach Afrika führen: „In Ghana lernte ich, wer ich bin und was ich mit meinem Leben tun sollte." Heute kocht er mit den vielfältigen Geschmäckern der afrikanischen Diaspora. Und hat dafür schon einige Preise eingeheimst.

"Die Geschichte der Schwarzen in Amerika ist die Geschichte von Amerika", schrieb James Baldwin einmal. Johnson ist nur einer der afroamerikanischen Köche, die jetzt ihre eigene kulinarische Geschichte erzählen. Diese Entwicklung ist schon seit einer Weile erkennbar. Aber erst seit kurzem passiert das mit großer medialer Aufmerksamkeit.

Dass es überhaupt noch ein Thema ist, dass afroamerikanische Köche mit den Aromen, Geschmäckern und Kochtechniken ihrer Wurzeln spielen und damit in der Food-Welt vom Fine Dining bis zum tonangebenden Trendlokal endlich Ruhm einheimsen, sagt viel aus über die Lebensrealität der Schwarzen in den Vereinigten Staaten. Und diese hat sich auch in der Welt der Kulinarik institutionell und strukturell eingebrannt wie eine fiese Kruste in einem Topf.

Seit dem 17. Jahrhundert setzte im Süden der Vereinigten Staaten der Import von Sklaven primär von der Westküste Afrikas ein. Wie die europäischen Eroberer brachten auch sie Gewürze, Speisen und Kochtechniken aus der Heimat mit, etwa die Okraschote, Black-Eyed Peas, Reis oder Melonen. Obwohl die Rassentrennung bis ins 20. Jahrhundert, also lange über die Sklaverei hinaus, anhielt, vermischten sich kulinarisch Aromen und Zutaten schnell. Auch weil die Sklaven in den Küchen der Weißen arbeiteten und so das Essen auf den Plantagen beeinflussten. Vieles von dem, was man heute ganz allgemein als „Südstaatenküche“ versteht und worauf das basiert, was derzeit in der Gastro-Welt besondere Beachtung findet, hat seinen Ursprung in der Zeit. Obwohl Southern Food regional stark unterschiedlich ausfällt, hat sich insbesondere die kreolische Küche in New Orleans hervorgetan.

Von dort stammen zum Beispiel populäre Gerichte wie Gumbo – ein Multikulti-Eintopf mit afrikanischen, europäischen und uramerikanischen Einflüssen, meist mit Meeresfrüchten und geräucherter Wurst. Oder Jambalaya, ein weiterer Eintopfklassiker mit starken Anleihen bei der spanischen Paella, was Johnsons Oma gern kochte.

Nach der Abschaffung der Sklaverei und mit dem Einsetzen der Great Migration, der großen Wanderbewegung ehemaliger Sklaven in andere Teile des Landes, verbreiteten sich die Gerichte des Südens weiter und vermengten sich mit neuen Einflüssen. Heute sind sie allerorts Teil der amerikanischen Kultur. Der Einfluss der Afroamerikaner auf die Küche des Südens wurde jedoch lange unterschätzt.

Als Johnson begann, die vielen Spuren der afrikanischen Diaspora in seinen Gerichten zu verewigen, war er damit zunächst einer von sehr wenigen. 2010 trifft der frisch gebackene Gastro-Absolvent auf seinen Mentor, den Gastro-Unternehmer Alexander Smalls, damals einer der Ersten in New York, die sich auf afrikanische Wurzeln besinnen. In Harlem, einem der Epizentren afroamerikanischen Lebens, gibt er Johnson den ersten Job als Küchenchef im Cecil und dem Jazz-Club Minton’s, in beiden kocht er, was er selbst „pan-afrikanische Küche“ oder „Haute-Soul-Food“ nennt. Zwischenzeitlich wechselt Johnson ins schicke „Henry“ in Manhattan, bevor er heute mit „Field Trip“, einem Fast-Casual-Reisrestaurant, seine Geschichte in Harlem weitererzählt.

Anderswo, in Seattle, kreiert Edouardo Jordan in seinem Restaurant „Junebaby“ Speisen rund um seine eigenen afroamerikanischen Wurzeln. Mit Hilfe einer Kickstarter-Kampagne eröffnete er hier 2016 sein erstes eigenes Restaurant „Salare“, wo er bereits französisches und italienisches Handwerk mit Einflüssen aus den Südstaaten paarte. 2017 folgte die Eröffnung von „Junebaby“ ein paar Häuser weiter als „Testament der Südstaatenküche“, so Jordan, und zwar der schwarzen.

Im „Junebaby" stehen Ochsenschwanz und „Collard Greens", eine bestimmte Blattkohlsorte, genauso auf der Karte wie das bereits erwähnte Gumbo; Jambalaya, gekochte Erdnüsse nach Cajun-Art und: sogenannte Chitlins, die andernorts auch Chitterlings heißen.

Chitterlings, frittierter oder gekochter Schweinedarm, ist einer der explizit schwarzen Klassiker der sogenannten „Soul Food"-Küche - das also, was heute allgemein als Küche der Afroamerikaner verstanden wird. Zu Zeiten der Sklaverei war der Darm einer der wenigen Teile eines Tiers, welche die Sklaven nach dem Schlachten behalten durften. Später, nach der Befreiung, konnten sie sich oft nichts anderes leisten.

Es kommt nicht von ungefähr, dass Soul Food den Ruf hat, aus günstigen, auch minderwertigen Zutaten zu bestehen. Und obendrein besonders schwer und fetthaltig zu sein. Was heute oft im Gesundheitskontext kritische Erwähnung findet, liegt in den prekären Lebensumständen der Sklaven damals begründet, denen oft nur die „Abfälle" zum Leben blieben und die gleichzeitig auf eine stärkehaltige, besonders sättigende Ernährung setzen mussten, um den körperlich zehrenden Arbeitsalltag auf den Plantagen überhaupt zu überstehen.

Jessica Harris, eine renommierte afroamerikanische Kochbuchautorin und Verfasserin von „High on the Hog“, spricht in dem Zusammenhang von einer „kulinarischen Apartheid“, die sich bis in die Fast-Food-Gegenwart fortschreibt. Gleichzeitig geht es bei der Abwertung afroamerikanischer Speisen auch um Fragen von Identität, Marginalisierungserfahrungen und Politik.

Chitterlings sind ein gutes Beispiel. Viele Menschen ekeln sich vor ihnen. Die Assoziation mit Dreck und Exkrementen bot Rassisten eine Plattform, abfällig über Schwarze zu sprechen. Während der Black-Power-Bewegung ab den 1960ern wurde das Essen von Chitterlings, die nach dem Kochen einen milden Geschmack haben, erneut populär, weil es den Protestierenden als Abgrenzungsmerkmal zu den weißen Unterdrückern galt und gleichzeitig die Zugehörigkeit innerhalb der Community stärkte. Übrigens wurde in der Zeit der Begriff Soul Food erst geprägt und angeblich populär, nachdem er in der Autobiographie von Malcolm X auftauchte.


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