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Weiblicher Zorn: Wie gefährlich ist die wütende Frau? / F.A.Z Quarterly

Man kann der wütenden Frau ein Gesicht geben. Das von Greta Thunberg, die sich mit zornigem Blick für die Umwelt einsetzt. Das der amerikanischen Aktivistin Tarana Burke, welche mit starker Stimme und verärger- ter Miene die MeToo-Bewegung nach vorne gebracht hat. Auch das der Feministin Teresa Bücker, die ihre Wut über gesellschaftliche Ungerechtigkeiten hierzulande ruhig und mit sachlichem Gesichtsausdruck vorbringt.

Man muss der wütenden Frau aber kein Gesicht geben. Denn sie ist gerade überall. Sie demonstriert auf den Straßen von Los Angeles, Berlin oder Paris, gegen den Klimawandel, für Geschlechtergerechtigkeit, #MeToo und #BlackLivesMatter. Man findet sie in deutschen Büros, wo sie sich über den Pay-Gap ärgert und darüber, dass der Chefsessel für sie schwerer zu erklimmen ist. Oder im Privaten, wo sie frustriert ihre Kinder beim Heimunterricht betreut, weil seit Corona doch sie zu Hause bleibt. Die wütende Frau weint vor Zorn, lacht vor Wut und ärgert sich manchmal ganz leise. Weil sie weiß, dass ihre Rage ihn auf die Palme bringt.

Über die wütende Frau wird momentan viel ge- sprochen und berichtet. Lange galt weibliche Wut als gesellschaftliches Tabu. Dass sie heute an so vielen Orten geballt auf sich aufmerksam macht, bedeutet entweder, dass sich ihre Akzeptanz erhöht hat, oder, dass Frauen immer noch allen Grund haben, über bestehende Ver- hältnisse wütend zu werden.

In „Weibliche Wut: Die versteckten Botschaften hinter Ärger und Co. erkennen und nutzen“ schreibt die Psychologin Almut Schmale-Riedel: „Wut und Ärger (...) helfen uns, Grenzen zu setzen und uns zu schützen. Vor allem zeigen diese Gefühle uns an, dass etwas nicht stimmig ist, dass wichtige Bedürfnisse nicht respektiert werden.“ Wer wütend wird, dem geht es, grob gesagt, um Gerechtigkeit. Auch um Macht. Zorn ist eine Emotion, die sagt: Meine Meinung ist wichtig.

Frauen und Männer empfinden Wut dabei zwar grundsätzlich gleich. Allerdings gibt es im sozialen Umgang mit ihr noch erhebliche Unterschiede. Soraya Chemaly, Aktivistin und Autorin von „Speak out! Die Kraft weiblicher Wut“, sagt: „Wenn Männer Wut zeigen, legitimieren sie damit ihren Dominanzstatus. Wenn Frauen das tun, werden sie als emotional und irrational abgetan.“ Sie gelten dann als zickig, hysterisch, durchge- dreht, als Drama-Queens, Hexen oder haben ihre Tage.

Frauen ihre Wut abzusprechen gilt bis heute als ein effizientes Mittel ihrer Unterdrückung. Zorn bewusst zu artikulieren war gerade feministischen Bewegungen deshalb so schon immer ein Weg der Ermächtigung. 

Mittlerweile hat sich in Sachen Geschlechtergerechtigkeit in Deutschland wie in anderen westlichen Ländern zwar viel getan. Dennoch bemerkt Lilly Dancyger, Redakteurin der Anthologie „Burn it Down: Women Writing about Anger“, dass Jahrhunderte der Konditionierung hart zu entlernen seien, auch für Frauen selbst.

Das lässt sich mit Untersuchungen der Psychologin und Emotionsforscherin Ursula Hess von der Humboldt- Universität in Berlin stützen. Schon 2009 fand sie mit anderen Wissenschaftlern in einem Experiment, bei dem den Teilnehmern Bilder von wütenden Männern und Frauen gezeigt wurden, heraus, dass Betrachter Schwierigkeiten hatten, Letztere überhaupt als Frauen zu erkennen, weil Zorn so stark mit Männern verknüpft ist.

„Eine wütende Frau verliert an Status, ganz gleich in welcher Position sie ist“, bemerkt die Psychologin Victoria Brescoll in einer Studie der Yale-Universität, bei welcher Teilnehmer Videos von Bewerbungsgesprächen von Frauen und Männern ansahen. Ärgerliche Frauen stießen – anders als Männer – auf Ablehnung, ihnen wurde obendrein weniger Kompetenz zugesprochen. Wut zu zeigen wirkt sich demnach negativ auf die Karriere von Frauen aus.

Selbst jene, die es bis an die Spitze geschafft haben, sind davon nicht befreit. Andrea Nahles, eine, die ihren Ärger auf Parteitagen selten zurückhielt, wurde schon mal nachgesagt, sie habe sich nicht unter Kontrolle. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel dagegen so aufbrausend ist wie das Wattenmeer bei Niedrigwasser, dürfte laut Brescolls Studie also ihrer Karriere zuträglich sein. 

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