Bis heute wird auf der französischen Insel La Réunion im Indischen Ozean Vanille in kleinen Mengen angebaut. Auf den Spuren des begehrtesten Aromas der Welt
Wer von der Küstenstraße in der Nähe von Sainte-Suzanne abfährt und sich auf der Palmenallee dem weiß getünchten Haus mit der überdachten Veranda nähert, braucht nur das Fenster herunterzukurbeln und tief einzuatmen, um eine Idee davon zu bekommen, worum es geht. Vielleicht ist es auch nur die Vorfreude, die sich einen olfaktorischen Streich erlaubt. Und doch meint man, ganz leicht, den vertrauten Duft der Vanille zu erahnen, der einmal in die Nase gestiegen, an Eiscreme im Sommer erinnert und an Kekse im Winter. Hier auf der Farm La Vanilleraie verarbeitet man einen großen Teil des Vanilleanbaus der Insel La Réunion zu dem Gewürz. Der Leiter der Farm, Bertrand Côme, sagt: „Für mich ist Vanille das Köstlichste der Welt."
Sein Superlativ könnte mehr als eine subjektive Wahrnehmung sein. Vanille ist das Aroma mit der weltweit größten Nachfrage, noch vor Erdbeere, Schokolade und Nuss. Ihr Geruch wird kultur- und länderübergreifend positiv wahrgenommen. Mit der Muttermilch aufgesogen, sorgt Vanille schon bei Babys für Glücksgefühle. Die Lebensmittel- und Kosmetikindustrie nutzt das Aroma, sogar die Pharmabranche weiß damit umzugehen.
Vanille ist überall und nirgendwo. Denn in der Industrie wird meist synthetisch erzeugtes Vanillin verwendet. Nur rund zwei Prozent der weltweiten Nachfrage wird durch das Extrakt aus der echten Vanilleschote gedeckt. Selbst der Verweis „natürliches Aroma" ist trügerisch, weil es auch aus Naturprodukten wie Reiskleie gewonnen werden kann. Es gehört deshalb zu den Absurditäten des industriellen Massenkonsums, dass man lange suchen muss, um jemanden zu finden, der den Geruch und Geschmack von Vanille nicht kennt, während es fast genauso lange dauert, jemandem zu begegnen, der schon mal das Original gekostet hat. Echte Vanille ist Luxus, und man findet ihn auf La Réunion, elf Flugstunden von Paris entfernt, auf dem 2500 Quadratkilometer großen Fleck Frankreich im Indischen Ozean, nahe Madagaskar und Mauritius.
Die Ursprünge des Gewürzes, das aus den fermentierten Kapselfrüchten bestimmter Orchideenarten gewonnen wird, sind allerdings anderswo zu verorten: in Mexiko und Mittelamerika. Dort fanden schon die Azteken Verwendung dafür. Spanische Eroberer brachten es zunächst nach Europa. Mit der Ankunft der Franzosen auf der bis dato unbewohnten Vulkaninsel im Zuge der Kolonialisierung ab Mitte des 17. Jahrhunderts erreichten auch die ersten Orchideenpflanzen La Réunion. Sklaven aus Madagaskar, Ostafrika und Indien sollten auf den neuen Zuckerrohr- und Vanilleplantagen der Insel arbeiten. Man meinte es ernst. Die Insel nannte man Île Bourbon.
Allerdings war da das Problem mit der Blütenbestäubung. Die dafür nötigen Kolibris gab es auf der Insel nicht. Der Plantagensklave Edmond Albius war gerade zwölf Jahre alt, als er auf ein revolutionäres Verfahren kam: die Bestäubung per Hand, die mariage, also die Vermählung. Einige Jahre später war Albius frei, die Sklaverei wurde 1848 abgeschafft. Auf der Insel ernten Menschen wie Bertrand Côme bis heute die Früchte seiner Entdeckung.
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