1 Abo und 2 Abonnenten
Artikel

Geschlechtergerechtigkeit: Frauen werden weltweit benachteiligt

Frauen im Tschad: Auf der Liste der "fragilen Staaten", (c) Finbarr OReilly/ REUTERS

Die Welt ist weit entfernt von Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern - so beschreibt es eine Studie der Organisation Equal Measures 2030 (EM 2030). Mädchen und Frauen seien weltweit strukturell in ihren Rechten und ihrem Wohlbefinden benachteiligt.

Frauen werden schlechter bezahlt als Männer und sind in Macht- und Entscheidungspositionen unterrepräsentiert. In manchen Regionen der Welt dürfen Mädchen keine Schulen besuchen und sind stärker von Hunger betroffen. Frauen sind häufiger Opfer sexualisierter Gewalt und erledigen öfter unbezahlte Tätigkeiten.

Besonders dramatisch ist die Lage laut des Reports von EM 2030 im Tschad. Dem zentralafrikanischen Land fehle es an Grundlagen wie einem funktionierenden Rechtsstaat sowie sozialer und wirtschaftlicher Stabilität, um die Rechte von Frauen und Mädchen durchzusetzen. Der Tschad ist eines der unterentwickeltsten Länder der Welt. Die OECD führt es auf ihrer Liste der "fragilen Staaten".

Die Organisation EM 2030 will die Geschlechtergerechtigkeit weltweit messbar machen. Genauer gesagt: Sie untersucht den Fortschritt der Länder bei der Umsetzung der Uno-Nachhaltigkeitsziele unter dem Gesichtspunkt von Geschlechterunterschieden.

Kein einziges Land schneidet "exzellent" ab

Die Uno hat 17 Bereiche definiert, in denen sie die Situation von Mensch und Umwelt bis 2030 verbessern will. Geschlechtergerechtigkeit ist einer dieser Bereiche - neben Armut, Bildung, Gesundheit und anderen. EM 2030 argumentiert: Auch in diesen anderen Bereichen gibt es Ungleichheit, Frauen seien etwa häufiger von extremer Armut betroffen als Männer.

All diese Facetten von Ungleichheit drückt EM 2030 in einem Index aus, einem Wert zwischen 0 und 100: Je geringer der Wert, desto stärker werden Frauen benachteiligt. Ab einem Wert von 90 gilt der Stand der Geschlechtergerechtigkeit als "exzellent" - bislang erreicht kein einziges Land diese Stufe.

Das erschütternde Ergebnis der Studie: 80 Prozent der Frauen und Mädchen weltweit leben in Ländern, denen EM 2030 einen "schlechten" oder "sehr schlechten" Stand der Geschlechtergerechtigkeit attestiert.

Die Ungleichheit zeigt sich in verschiedenen Bereichen:

1. Bezahlte Arbeit

Frauen verdienen nach Berechnung des Weltwirtschaftsforums im weltweiten Schnitt nur rund 63 Prozent des Lohns von Männern. Dieser Unterschied kommt auch dadurch zustande, dass Frauen öfter in Teilzeit und schlechter bezahlten Berufen arbeiten und seltener Führungspositionen besetzen.

Frauen leisten generell weniger bezahlte Arbeit und gelten so seltener als erwerbstätig. Weltweit liegt die Erwerbstätigenquote von Frauen zwischen 25 und 54 Jahren bei 63 Prozent - bei Männern sind es 94 Prozent.

In Nordafrika und Teilen Asiens ist die Differenz besonders groß, dort gilt nur rund ein Drittel der Frauen als erwerbstätig. Was diese Zahlen nicht zeigen: Frauen leisten häufiger unbezahlte Arbeit, sorgen für Kinder und Familie, tragen Verantwortung für Haushalt, Erziehung und die Pflege Älterer. Durchschnittlich leisten Frauen zweieinhalbmal so viel unbezahlte Haus- und Pflegearbeit wie Männer.

2. Extreme Armut

Rund 736 Millionen Menschen weltweit leben in extremer Armut. Wie die Weltbank beschreibt, sind Frauen stärker betroffen als Männer: Auf 100 Jungen kommen demnach 105 Mädchen, die extrem arm sind. Im Alter von 25 bis 34 Jahren sind es sogar 122 extrem arme Frauen gegenüber 100 Männern.

Insgesamt leben laut Weltbank rund fünf Millionen mehr Frauen als Männer in extremer Armut, besonders in Südasien, sowie in Afrika, südlich der Sahara.

Die "Feminisierung von Armut" hat unterschiedliche Ursachen, besonders die finanzielle Abhängigkeit. Noch immer ist es Frauen laut Uno in 104 Ländern nicht erlaubt, bestimmte Berufe auszuüben. In 18 Ländern können Männer ihren Ehefrauen grundsätzlich verbieten zu arbeiten. So müssen Frauen in Saudi-Arabien beispielsweise für die Ausübung bezahlter Arbeit generell die Erlaubnis eines männlichen Vormunds einholen.

Zudem sind Frauen in großen Teilen Afrikas, des Nahen Ostens, Südasiens und Lateinamerikas öfter inoffiziell beschäftigt und haben keine Sozial-, Kranken- oder Rentenversicherung. Krisensituationen, Scheidungen oder Witwenschaft treffen sie daher oft härter als Männer.

Armut sei dabei nicht nur als "Einkommens- und Konsumdefizit" zu verstehen, schreibt die Soziologin und Geschlechterforscherin Christa Wichterich. Frauen seien "arm an Rechten, Chancen, Macht, sozialer Sicherheit, Zeit, Gewaltfreiheit". Und das führe dazu, dass sie auch "arm an Ressourcen, Bildung, Gesundheit, Beschäftigung und Einkommen" seien, so Wichterich.

3. Politische Teilhabe

Frauen haben es vielerorts schwerer als Männer, an politischen Entscheidungen mitzuwirken. Das zeigt sich beispielsweise am Frauenanteil in Parlamenten. Noch immer gibt es kaum ein Parlament auf der Welt, dessen Frauenanteil jenen in der Bevölkerung widerspiegelt.

Allein Ruanda, Kuba und Bolivien bilden laut Auswertung der Interparlamentarischen Union (IPU) die Ausnahme. Hier sitzen, nicht zuletzt dank Quoten, anteilig sogar mehr Frauen im Parlament, als in der Bevölkerung leben.

Doch die Grafik zeigt auch: Besonders in autokratisch geführten Staaten wie der Türkei, Russland, Ungarn und Kuwait ist der Frauenanteil gering. In Papua-Neuguinea saß zuletzt sogar keine einzige Frau im Parlament. Dort ist die Unterdrückung der Frau besonders in ländlichen Regionen traditionell verankert. Frauen haben weniger Rechte als Männer, schlechteren Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung und müssen sich oft vollständig dem männlichen Familienoberhaupt unterwerfen.

Aber auch westliche, vermeintlich progressive Staaten sind zum Teil weit von einer Parität im Parlament entfernt. Die USA schaffen mit knapp 24 Prozent kaum ein Viertel Frauenanteil und auch Deutschland hat nicht einmal ein Drittel der Parlamentsplätze mit Frauen besetzt. Europäische Vorreiter sind hingegen Spanien, Schweden und Finnland, mit 47 Prozent sind sie nicht mehr weit von einer Parität entfernt.

Krisenregionen besonders betroffen

Die Equal-Measures-Studie zeigt auch, dass die Situation in Ländern mit bewaffneten Konflikten, Natur- oder humanitären Katastrophen besonders verheerend ist. Denn solche Krisen können Geschlechterunterschiede noch verschärfen: Vorher vorhandene Gewalt- und Ausbeutungsmuster verstärken sich und viele Frauen und Mädchen sind zusätzlicher Gewalt, Menschenhandel, ungewollten Schwangerschaften und Ausbeutung ausgesetzt.

EM 2030 hat für den Index die jeweils jüngsten verfügbaren Kennzahlen verwendet. Teilweise wurden diese vor aktuellen Konflikten zuletzt erhoben, wie zum Beispiel im Jemen, der in der aktuellen Studie den viertschlechtesten Gleichstellungswert erreicht. Die Autorinnen und Autoren gehen davon aus, dass sich die Gleichberechtigung dort seit Kriegsbeginn weiter verschlechtert hat.

Andere krisengeplagte Länder wie Syrien, Afghanistan oder die Zentralafrikanische Republik konnten gar nicht im Index erfasst werden, weil für sie nicht ausreichend Daten vorlagen.

Wirtschaftsstarke Länder bieten mehr Geschlechtergerechtigkeit

Den besten Indexwert erreicht Dänemark mit einem Score von 89,3. Generell liegen politisch und finanziell stabile Staaten vorn, die besonders in den Punkten Armut, Hunger, Wasserversorgung, Bildung und Frieden gut abschneiden. So sind unter den ersten 20 Staaten vor allem europäische Länder sowie Kanada, Australien und Neuseeland. Grundsätzlich schneiden Länder mit einer höheren Wirtschaftsleistung besser ab.

Der Zusammenhang ist laut EM 2030 vor allem darauf zurückzuführen, dass Länder mit hoher Wirtschaftskraft einfacher maßgebliche Grundlagen schaffen können, wie ein funktionierendes Gesundheitssystem, Bildung, Infrastruktur und Wasserversorgung. Wohlhabendere Staaten seien daher eher in der Lage, öffentliche Gelder in Programme für die Gleichstellung von Mädchen und Frauen zu investieren.

Doch es gibt auch Ausnahmen. Die USA beispielsweise haben weltweit das drittgrößte Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt (62.641 US-Dollar) und schneiden, gemessen daran, vergleichsweise schlecht ab (Score 77,6, Platz 28). Slowenien hingegen erreicht gemessen an seiner Wirtschaftsleistung (38.674 US-Dollar pro Kopf) einen unerwartet hohen Score von 86,5 und landet damit im Ranking auf Platz sechs.

Den Autorinnen und Autoren der Studie zufolge tun jedoch auch die Länder auf den ersten 20 Rängen nicht genug für Gendergerechtigkeit. Gerade in den wohlhabenderen Staaten gebe es noch Verbesserungsbedarf hinsichtlich der Geschlechtergleichheit im öffentlichen Dienst, der Bezahlung, der Gewaltprävention und in der Mitbestimmung von Frauen in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Das Fazit des Reports: "Kein Land hat die letzten Meter auf dem Weg zur Geschlechtergleichheit erreicht."

Zum Original